Drei Fraktionen gegen drei Prozent Erhöhung
Der Gemeinderat passte die Gebühren für die Kinderbetreuung an. In der Debatte ging es zuvor jedoch vorrangig um Gerechtigkeit.

Von Philipp Weber
Weinheim. Elisabeth Kramer wollte gleich mit einem Missverständnis aufräumen. Es gehe nicht um ein "Entweder-oder", sondern um ein "Sowohl-als-auch", betonte die Fraktionssprecherin der GAL. Die Grüne/Alternative Liste und die SPD hatten im Vorfeld der Gemeinderatssitzung am Mittwoch beantragt, bei den städtischen Gebühren für die Kinderbetreuung auf ein Modell umzuschwenken, das sich stärker am Verdienst der Eltern orientiert. Damit sei die bisher geltende Berücksichtigung der Zahl von Kindern innerhalb einer Familie aber nicht vom Tisch, so Kramer. Diese komme weiter zur Geltung. Als Blaupause diente Grünen und SPD das Heidelberger Modell.
Anlass des Antrags waren die anstehenden Beschlüsse zur Erhöhung von Betreuungs- und Verpflegungsgebühren in Weinheims städtischen Betreuungseinrichtungen, zu denen neben den Kitas zum Beispiel auch die Grundschulbetreuung gehört. Hieran orientieren sich auch kirchliche und freie Träger. Angesichts massiv steigender Kosten hatte die Verwaltung eine Erhöhung der Hauptgebühren um drei Prozent vorgeschlagen. Um den Elternanteil – dieser liegt bei rund 20 Prozent der Gesamtkosten – stabil zu halten, hätte es wohl noch weiterer Prozentpunkte bedurft. Die Verwaltung begnügte sich jedoch mit der dreiprozentigen Erhöhung für das Kindergarten- und Schuljahr 2022/23, um die Familien nicht zu stark zu belasten. Im kommenden Jahr soll dann erneut verhandelt werden, dann für das Jahr 2023/24.
Grünen und SPD genügte das nicht. Besonders die SPD-Fraktionssprecherin Stella Kirgiane-Efremidou lehnte die Gebührenerhöhung vehement ab ("Sie kommt zur Unzeit"). Sie und Kramer waren sich einig darin, dass das Gebührensystem ausdifferenziert werden müsse. Die Stadt solle wirtschaftlich schwächere Familien entlasten, während Wohlhabende etwas mehr schultern müssten, so ihre Argumentation. Tatsächlich orientiert sich die Höhe der Betreuungsgebühren in Heidelberg seit vielen Jahren am Einkommen der Eltern, aber auch an der Zahl der Unter-18-Jährigen in den Familien. Das Heidelberger Modell umfasst seit 2018 sechs Stufen. Es gilt in den dortigen städtischen Einrichtungen und bei einem Teil der freien Träger.
Kramer sah auch keinen überbordenden Bürokratieaufwand. In Heidelberg würden die Angaben der Familien zum Verdienst nicht zu 100 Prozent überprüft; man verlasse sich auf ein gewisses Maß an sozialer Kontrolle.
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Diese Ausführungen ärgerten CDU-Fraktionssprecher Heiko Fändrich derart, dass er sich zu einem Zwischenruf hinreißen ließ, in dem mehrere Beteiligte das Wort "Stasi" vernahmen. Das "Schnüffelei"-Vorwurf war indes nicht der einzige Kritikpunkt an dem rot-grünen Antrag. OB Manuel Just stellte klar, dass man nicht ad hoc darüber abstimmen könne. Schließlich bräuchten alle anderen Fraktionen Zeit, den Antrag zu prüfen und sich zu positionieren. Auch die Verwaltung habe Abstimmungsbedarf: nicht zuletzt mit den kirchlichen und freien Trägern, ohne die es auch bei einer politischen Mehrheit für eine Einkommensstaffelung nicht geht. Und: Man diskutiere leider ein Thema, dass die Tagesordnung gar nicht vorsehe. Auf die nicht-staatlichen Träger wies auch Günter Bäro (Freie Wähler) hin: Er sehe die Gefahr, dass diese nicht mehr verlässlich planen könnten, wenn Viel- und Wenig-Zahler ständig wechseln. Außerdem drohe die Gefahr, dass ein Kind "wertvoller" werden könnte als das andere. Dass soziale Härtefälle anderweitig berücksichtigt würden, stehe jedoch außer Frage.
Thomas Ott (CDU) zeigte sich enttäuscht darüber, "dass hier ein Riesen-Fass aufgemacht wird, das gar nichts mit der aktuellen Beschlussfassung zu tun hat". Wenn man schon grundsätzlich diskutiere, müsse man Bund und Land in die Pflicht nehmen: Diese müssten den Familien unter die Arme greifen und zumindest einen Teil der Kindergartenzeit kostenlos anbieten. Einkommensausgleich funktioniere ansonsten über Besteuerung, nicht über Gebühren.
Hierin war er sich nicht ganz uneins mit Susanne Tröscher. Die fraktionsfreie Stadträtin zeigte sich zwar offen für eine Überprüfung des Heidelberger Modells, warnte aber davor, bei jeder Gebühr die Einkommensfrage zu stellen. Das führe zu neuen Ungerechtigkeiten und belaste den Mittelstand. Zumal sich Wohlhabende oft schon einbringen: etwa in Fördervereinen von Schulen und Kitas.
Matthias Hördt (Die Linke) unterstrich die Bedeutung des frühkindlichen Lernens. Dieses müsse in einem reichen Land kostenlos sein, ebenso wie die Verpflegung der Kinder vor Ort, bei der sich die Kosten übrigens um elf Prozent erhöhen. Einer lokalen Einkommensstaffelung konnte er jedoch nichts abgewinnen: Gerechtigkeit müssten andere Stellen schaffen. Karl Bär (FDP) wiederum stimmte der Verwaltungsvorlage schweren Herzens zu, auch wenn er bei der Verpflegung gern beim alten Tarif geblieben wäre. Die Abstimmung über die dreiprozentige Gebührenerhöhung ging mit 17:14 trotzdem knapp aus. Der Grund: Grüne, SPD und "Die Linke" stimmten dagegen, zum Teil aus sehr grundsätzlichen Erwägungen.
Der "Heidelberg-Antrag" von SPD und Grünen könnte laut Gemeindeordnung im Juli beraten werden. Die Verwaltung bat jedoch darum, die Recherchephase auszudehnen und im September zu entscheiden. Dem stimmte die andere Seite zu.