"Katastrophaler" Zustand

Fast jeder Baum des Sandhäuser Waldes braucht Pflege

Der Forstbezirksleiter erläuterte die Krise des Waldes: In den vergangenen Jahren wurden 100 Prozent Schadholz gefällt.

29.12.2020 UPDATE: 30.12.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 19 Sekunden
Auf dieser Aufnahme des Sandhäuser Waldes am Forsthaus dominiert das Grün – doch insbesondere durch absterbende Kiefern kommen immer mehr braune „Flecken“ hinzu. Foto: Priebe

Von Lukas Werthenbach

Sandhausen. Die Beschreibung "Intensivpatient" trifft den Gesundheitszustand des Sandhäuser Waldes wohl recht gut. Und zwar nicht nur wegen der rapide ansteigenden Zahl an absterbenden Bäumen, sondern auch wegen des hohen Personalaufwands, der mit seiner Pflege verbunden ist. Das lässt sich aus der Präsentation von Forstbezirksleiter Philipp Schweigler in der Festhalle schließen, in der er den Gemeinderäten den aktuellen Zustand des Gemeindewaldes erläuterte. "Den Kiefern und weiteren Baumarten geht es schlecht", so Schweigler. "Das sind nicht nur einzelne, sondern es tritt wirklich flächig auf."

Hintergrund

Räte wollen weniger Nutzwald

Mit zahlreichen Fragen und Anregungen reagierten die Gemeinderäte auf die Präsentation des Forstbezirksleiters Philipp Schweigler (vgl. Artikel rechts). Dabei ging es unter anderem um die mögliche Einbindung von Bürgern in

[+] Lesen Sie mehr

Räte wollen weniger Nutzwald

Mit zahlreichen Fragen und Anregungen reagierten die Gemeinderäte auf die Präsentation des Forstbezirksleiters Philipp Schweigler (vgl. Artikel rechts). Dabei ging es unter anderem um die mögliche Einbindung von Bürgern in aufwendige Pflegearbeiten, um eine neue Form der Waldbewirtschaftung und um Kritik am Vorgehen mit dem gerade erst ausgewiesenen Naturschutzgebiet "Brühlwegdüne".

"Vor fünf Jahren haben wir uns noch geärgert, dass der Wald keine Erträge abwirft, dann haben wir uns gefreut auf Null herauszukommen", sagte Lars Albrecht (CDU) mit Blick auf den Wandel im Forsthaushalt (vgl. "Forst 2021"). "Und die letzten Jahre wird das Defizit immer größer." Er warb dafür, "Geld in die Hand zu nehmen, neue Bäume zu setzen und tote zu fällen". So wollte er von Schweigler wissen, wie viel Wald man in einem Jahr pflanzen kann und was das kostet. "Ein Hektar pro Jahr sollte machbar sein", entgegnete der Fachmann, "das kostet etwa 40.000 bis 50.000 Euro pro Hektar, bis er fertig ist und man den Zaun abbauen kann".

Besonders sorgfältig mit den Zahlen und Fakten zum Forst beschäftigt hatte sich Georg Diem (FDP). "Unser Holzboden steht zu 51 Prozent auf Dünenfläche", hob er hervor, "das ist wirtschaftlich sehr wenig attraktiv". Er warf in Schweiglers Richtung die Frage auf, ob es nicht "Zeit zum Umdenken auf eine Dauerwaldbewirtschaftung" sei; bisher herrscht wie in ganz Deutschland auch in Sandhausen die Betriebsform eines auf Holzernte ausgerichteten Altersklassenwaldes vor. Mit einem Dauerwald verband Diem "eine wirkliche Priorisierung von Naherholung und Ökologie", zumal man damit "bestens gerüstet" für "Krisenereignisse wie Dürren" sei. Dazu erklärte Schweigler: "Ob Dauerwald oder Altersklassenwald, das ist nicht die Frage, die wir uns zurzeit stellen. Sondern zurzeit brennt das Dach, das müssen wir zuerst lösen."

Beate Würzer (GAL) würde das "Ziel der Herstellung eines lichten Kiefernwaldes aufgeben". Vielmehr solle man auf diesen Fläche auf die "offenbar entwicklungsfähige Naturverjüngung" setzen. Ähnlich wie Diem sah auch Würzer gute Gründe für "einen Paradigmenwechsel: weg vom Wald als alleinig ökonomischem Produkt, hin zur ganzheitlichen Betrachtung des Waldes als Dauerwald". Dieser sei auch in der Lage, "enorme Mengen an CO2 zu binden". Zudem könnte aus ihrer Sicht "bürgerschaftliches Engagement positiv genutzt werden", um die Waldarbeiter bei der Beseitigung der schädlichen Kermesbeere zu unterstützen. Auch sprach sich Würzer dafür aus, Bürgern zweimal jährlich "forstliche Waldbegehungen" anzubieten. Dafür zeigte sich Schweigler ebenso offen wie für eine Bekämpfung der Kermesbeere mit Ehrenamtlichen.

Auch für Thomas Schulzes (SPD) Fraktion ist "die Naherholungs- und Klimaschutzfunktion unseres Waldes schon lange am wichtigsten". Daher könnten sie die Aussage über eine "zweitrangige Nutzfunktion" unterstreichen. Um den Wald "zukunftsfähig" umzubauen, nehme man höhere Kosten durch mehr Pflegeaufwand in Kauf. Als "Lichtblick" bezeichnete Schulz, dass sich die Verjüngungsvorräte vermehrt haben. Auch er warb für einen "Waldumbau mit einer besseren Durchmischung der verschiedenen Baumarten".

[-] Weniger anzeigen

Bei seinem Besuch zeigte er den Räten – die allesamt die Gesundheit des Sandhäuser Waldes spürbar umtreibt – auch einen Zehnjahresplan auf, anhand dessen die "Nachhaltigkeit sichergestellt" werden soll. Dazu merkte er angesichts des "katastrophalen" Forst-Zustands gleich an, dass diese Planung mit "zwei bis drei Fragezeichen" zu verstehen sei.

"Von normalen Zeiten sind wir in der Rheinebene weit entfernt", fand Schweigler drastische Worte. Analog zum Klimawandel befinde sich insbesondere auch der Wald der Hopfengemeinde "in einem dramatisch sich verändernden Prozess". Mit Blick auf eine längerfristige Planung zur nachhaltigen Bewirtschaftung – durch die "nicht mehr Holz aus dem Wald genommen werden soll als nachwächst" – gestand der Fachmann, dass "das Ziel leider nicht klar ist". Zu dynamisch sei die Klimaveränderung der vergangenen Jahre und daraus resultierend auch jener Wandel im Forst. Eine entsprechend "große Herausforderung" sei zurzeit diese Planung.

Beispiele für ebenjene Dynamik hatte Schweigler auch parat: Eine Grafik zeigte die Anteile der verschiedenen Baumarten im Gemeindewald, wonach nur 13 Prozent aus Buchen bestehen. "Vor fünf Jahren hätte ich noch gesagt, die Buche ist ein Hoffnungsträger", so Schweigler über die Baumart, die "nicht nur hier leidet, sondern zum Beispiel auch im Kraichgau". Oder die Kiefer, deren Anteil 2009 noch 80 Prozent ausgemacht hatte – jetzt sind es 58 Prozent: "So einen schnellen Rückgang habe ich noch nie erlebt." Die Hoffnungen bremsen musste er auch bezüglich der immer stärker nachgefragten Robinie, die "eigentlich eine der wärme- und trockenresistenten Arten" sei: "Aber hier auf den Sandböden ist sie auch nicht wirklich stabil. Auch dahinter müssen wir also leider ein Fragezeichen setzen."

Auch interessant
Brühlwegdüne Sandhausen: CDU kritisierte Rodungspläne in neuem Naturschutzgebiet
Sandhausen: Diese Bäume sollen dem Klima standhalten
Sandhausen: Der Wald wird bewässert
Sandhausen: "Der Wald kämpft ums Überleben"
Sandhausen: Petition gegen Sportplätze vor dem Aus - Waldschützer ratlos (Update)
Belohnung für Hinweise: Massenhaft Müll im Sandhausener Wald entsorgt
Klimawandel und Artensterben: Die globalen Herausforderungen sind riesig

Ebenso eindrucksvoll belegen die Zahlen des Holzeinschlags seit 2010 die Probleme: 7700 Erntefestmeter in zehn Jahren waren geplant, tatsächlich wurden über 9000 Erntefestmeter gefällt. "Der Schadholzanteil betrug die letzten vier Jahre 100 Prozent", erklärte Schweigler, "kein gesunder Baum wurde umgesägt". In Sandhausen wirke sich besonders "die enge Verzahnung von Wald und Bebauung" aus, sodass durch die sogenannte Verkehrssicherungspflicht ständig beschädigte Bäume in der Nähe von Straßen und Gebäuden gefällt werden müssten. "Der Wald wird eigentlich betreut wie ein Park, da wird sich fast um jeden Baum gekümmert."

Hintergrund

Die wichtigsten Zahlen des Betriebsplans für das Forstwirtschaftsjahr 2021 (alle Angaben in Euro):

Einnahmen

Ernte: 25.300

Kulturen: 3300

Erholungsvorsorge:

[+] Lesen Sie mehr

Die wichtigsten Zahlen des Betriebsplans für das Forstwirtschaftsjahr 2021 (alle Angaben in Euro):

Einnahmen

Ernte: 25.300

Kulturen: 3300

Erholungsvorsorge: 5400

Gesamt:34.000

Ausgaben

Ernte: 62.350

Kulturen: 72.000

Waldschutz: 16.100

Bestandspflege: 2400

Erschließung: 3000

Erholungsvorsorge: 4000

Gemeinkosten: 18.950

Verwaltungskosten: 24.800

Gesamt: 203.600

[-] Weniger anzeigen

Dabei ließ Schweigler auch durchblicken, dass dies für eine "extreme Arbeitsbelastung" sorge, die "kaum zu schaffen" sei. Entsprechend "hohe Kosten" werde künftig allein die Verkehrssicherung verursachen. Probleme bereiteten auch die sich stark ausbreitende und junge Bäume überschattende Kermesbeere, ebenso wie Maikäfer beziehungsweise deren Larven – beides könne nur mit hohem Aufwand beseitigt werden.

Im Zuge der "Verjüngungsplanung" sollen 22,6 Hektar "junger Wald den alten ablösen", wie es der Bezirksleiter ausdrückte. Die zunächst im Plan vorgesehenen 3,3 Hektar an neu anzubauendem Wald würden aber nicht ausreichen, meint er. Allein im nächsten Jahr sollen auf einem Hektar 5200 Bäume gepflanzt werden: Traubeneiche, Roteiche, Hainbuche, Winterlinde und Feldahorn gehören zu den Arten, denen die Experten unter Berücksichtigung eines immer wärmeren und trockeneren Klimas eine besonders hohe Stabilität zutrauen.

Ebenfalls im nächsten Jahr soll auf 7,1 Hektar "Kultursicherung" stattfinden: Dazu gehöre etwa die händische Beseitigung der Kermesbeere. Unterm Strich steht im Forsthaushalt 2021 ein Minus von 170.000 Euro. Der Gemeinderat stimmte der Zehnjahresplanung für den Wald ebenso wie dem Forsthaushalt einstimmig zu.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.