Was Bürgermeister Gänshirt über 2022 sagt und was 2023 ansteht
Bürgermeister Ralf Gänshirt spricht im Jahresinterview 2022 über die Ortsumgehung. Stolz ist er auf die Solidarität der Hirschberger.

Das Hirschberger Rathaus. Foto: Reinhard Lask


Bürgermeister von Hirschberg
Von Annette Steininger
Hirschberg. Die Hirschberger sind 2022 zusammengestanden, was auch Bürgermeister Ralf Gänshirt im RNZ-Jahresinterview lobend hervorhebt. Außerdem erläutert er, warum er inzwischen ein Gegner einer Ortsumgehungsstraße ist und verrät, welche Großprojekte 2023 anstehen.
Herr Gänshirt, kaum waren Sie im Amt, kam die Corona-Krise, jetzt die Energie-Krise. Würden Sie sich selbst als Krisenbürgermeister bezeichnen?
Nein, sicher nicht. Wir sitzen ja alle in einem Boot und müssen mit den Umständen zurechtkommen. Da muss man zusammenstehen und gemeinsam durchkommen.
Und doch war 2022 um einiges leichter als die Jahre zuvor, Begegnungen waren wieder zwanglos möglich. An welcher Stelle haben Sie das am meisten gemerkt beziehungsweise geschätzt?
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Da gibt’s keine einzelne Stelle. Was ich aber sehr geschätzt habe, war, dass ich wieder zu unseren Jubilaren gehen durfte. Und dass ich wieder mehr bei den Vereinen sein konnte. Das war für mich sehr wertvoll, um in die Bevölkerung reinhören und wieder direkt in Kontakt kommen zu können. Ich schätze es ungemein, wenn die Menschen zusammenkommen, zum Beispiel bei Vereinsaktivitäten oder unseren Brauchtumsveranstaltungen. Ich denke da besonders gerne zurück an die Kerwe, das Straßenfest oder auch den Sommertagszug. Das macht unser Hirschberg ja auch aus, und dort fühle ich mich am wohlsten.
Hirschberg hat seinen Sanierungsmarathon dieses Jahr fortgesetzt, sei es bei der Heinrich-Beck-Halle oder beim Sportplatz-Gebäude. Sollen wir Sie doch lieber als Sanierungsbürgermeister bezeichnen?
(lacht) Irgendein treffender Name wird vielleicht gefunden. Das überlasse ich aber gerne anderen. Mein Credo ist in der Tat: Wir müssen unsere kommunalen Gebäude instandhalten, damit die Menschen zum Beispiel weiter Sport treiben und kulturelle Veranstaltungen besuchen oder selbst durchführen können. Und wenn es eine Sanierung ist, ist es eben eine Sanierung. Und wenn man einen Anbau braucht wie an die Sachsenhalle oder an die Grundschule, ist das eben so. Mir geht es einfach um die Daseinsfürsorge. Wir haben bekanntermaßen einen Sanierungsstau, aber sind jetzt auf einem guten Weg.
Sie haben mal gesagt, dass Ihnen die Instandhaltung der kommunalen Gebäude wichtiger ist, als sich selbst ein Denkmal zu setzen. Nehmen wir mal an, dass der Sanierungsstau in ein paar Jahren aufgelöst ist. Gibt es da nicht vielleicht doch ein Projekt, das Sie dann gerne angehen würden?
Das ist kein Geheimnis. Wenn wir in meiner Amtszeit den Sanierungsstau beenden können, dann gibt es durchaus Projekte, die ich gerne verstärkt angehen würde. Zum Beispiel das Vereins- oder Kulturhaus. Aber alles zu seiner Zeit. Und es muss natürlich finanzierbar sein. Aktuell und in Zukunft müssen wir zudem den Klimaschutz weiter vorantreiben, sei es mit der Entsiegelung von Flächen oder bei energetischen Maßnahmen an unseren eigenen Gebäuden oder durch Unterstützung von Privateigentümern bei der Sanierung. Wenn wir denn die entsprechenden Mittel dafür frei haben.
Sie haben ein Vereinshaus angesprochen. Da wäre doch der Platz gegenüber vom Rathaus, wo eigentlich das Gemeindehaus der Evangelischen Kirchengemeinde Leutershausen geplant war, ein idealer Ort dafür?
Jein. Ich weiß, dass es da Begehrlichkeiten gibt. Letztlich muss das der Gemeinderat entscheiden, wenn wir uns dem Thema nähern. Ich habe diesbezüglich auch schon andere Gedanken gehegt.
Andere Gedanken heißt ein anderer Standort?
Ich sehe Potenzial im Bereich der Heinrich-Beck-Halle. Mir geht’s da auch um Synergien: Wo sind die Menschen? Wo sind ohnehin schon Versorgungs- und Entsorgungseinrichtungen? Man kann aber über alles reden. Aber das ist wirklich Zukunftsmusik. Auch die Bevölkerung wird letztlich ein gewichtiges Wörtchen mitreden müssen, denn da wird es um eine große Investition gehen, wenn wir uns dem Thema widmen wollen.
Der Schulpavillon wäre ja auch eine Option, oder?
Der Schulpavillon und seine künftige Nutzung und auch dessen Sanierung stehen auf der Agenda. Die Kinder des katholischen Kindergartens St. Martin, die ja derzeit noch im Pavillon untergebracht sind, werden wohl im kommenden Jahr wieder in ihr Gebäude zurückkehren. Wir werden uns zwischenzeitlich überlegen müssen, was wir mit dem Pavillon machen. Dass er für eine Vereinsnutzung oder andere kulturelle Dinge geeignet ist, ist für mich schon klar. Aber ich sehe nicht, dass sich der ureigenste Wunsch nach einer größeren Veranstaltungsstätte im Ortsteil Leutershausen, wie ihn einige Vereine vor zwei Jahren vorgetragen haben, hier realisieren ließe.
Eine Entscheidung, wie es mit der Ortsrandstraße weitergeht, sollte ja eigentlich bis Ende des Jahres fallen. Doch es ist nichts passiert. Warum?
Alle Fakten liegen inzwischen auf dem Tisch. Es war genug Zeit, um sich im politischen Umfeld Gedanken zu machen. Es ist schon eine wichtige Entscheidung, auch für mich. Auch wenn es etwas gedauert hat, ist die Zeit jetzt reif dafür. In der nächsten Gemeinderatssitzung am 20. Dezember wollen wir über das weitere Vorgehen entscheiden. Ich selbst habe meine Meinung zu dem Projekt zwischenzeitlich geändert und das auch bereits kundgetan.
Können Sie das bitte erläutern?
Ich habe mich gegen die Ortsrandstraße ausgesprochen. Zum einen aufgrund der vielen Unwägbarkeiten. Und zum anderen – und das ist eigentlich der Hauptgrund – wegen der Zeitenwende, der Energiewende und der Verkehrswende. Es verändert sich gerade unglaublich viel. Das hat mich dazu bewegt zu sagen: Das ist für Hirschberg nicht der richtige Weg. Jetzt geht es um zwei Dinge: Will der Gemeinderat die Entscheidung in die Bürgerschaft geben? Oder will der Gemeinderat selbst eine Entscheidung treffen – und wenn ja, welche?
Und Sie wären für einen Bürgerentscheid, auch wenn Sie schon eine klare, ablehnende Haltung zur Ortsumgehung haben?
Nein (schüttelt entschieden den Kopf). Ich glaube, dass der Gemeinderat sehr wohl selbst in der Lage ist, das zu entscheiden, und würde daher keinen Bürgerentscheid anstreben. Der Gemeinderat ist die gewählte Vertretung der Bürgerschaft. Letzterer steht es aber natürlich offen, gegen einen Ratsbeschluss zu votieren und einen Bürgerentscheid selbst anzustreben. Es steht den Bürgern auch jetzt schon zu, ein Bürgerbegehren ins Leben zu rufen.
Dann haben Sie bezüglich eines Bürgerentscheids aber auch Ihre Meinung geändert.
Genau. Man hört ja auch in die Bevölkerung rein, und ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Ich stehe zu meinem Umdenken. Für mich ist es aufgrund der Gesamtumstände einfach zu klar, dass wir uns einem solchen Projekt nicht nähern und eher unseren Fokus darauf legen sollten, die Verkehrswende anders zu begleiten. Nicht mit zusätzlichen Straßen, sondern zum Beispiel durch eine Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs und anderer Verkehrsmittel. Man darf schon die Hoffnung haben, dass es ein verändertes Verkehrsverhalten gibt. Und da passt eine solche Straße einfach nicht in die Zeit.
Auch das Thema Neubaugebiet scheint sich zu ziehen. Mehr als die Entscheidung für ein Modul bei der Wohnraumoffensive ist bisher nicht gefallen. Da gibt es ja wenig Hoffnung für Wohnraumsuchende, dass bald was passiert ...
Es ist ein Ziel für das kommende Jahr, dass wir auch da einen Knopf dranbekommen. Auch da gilt es, Untersuchungen in alle Richtungen zu führen. Wir haben ein Leerstandskataster und ein Beteiligungsmodul und werden jetzt noch eine Potenzialanalyse anschließen. Dann liegen aus unserer Sicht auch die Themen auf dem Tisch, sodass man eine Entscheidung treffen kann, wohl wissend, dass es da unterschiedliche Auffassungen gibt und wir unter Umständen wieder in ein Beteiligungsformat gehen werden müssen. Wir brauchen den Wohnraum. Innenverdichtung lässt sich nicht einfach so realisieren, auch wenn, oberflächlich betrachtet, die Flächen dafür da wären. Und das muss man akzeptieren. Ein Eingriff ins Eigentum ist nicht möglich an der Stelle.
Würden Sie denn an dieser Stelle einen Bürgerentscheid präferieren?
Nein, aus meiner Sicht ist es eine Aufgabe des Gemeinderates. Auch hier gibt es nach der Gemeindeordnung die Möglichkeit, dass sich die Bürgerschaft noch stärker einbringt. Das wurde ja auch schon so angekündigt und würde mich nicht überraschen.
Still und klar ruht der See auch bei der Gewerbegebietserweiterung. Ist die Gemeinde den Bürgern, die sich rege am Bürgerentscheid beteiligt haben, es nicht auch schuldig, dass sie hier mehr über den Fortgang informiert?
Ja, würde ich auch gerne tun, kann ich aber nicht; wir sind nicht der Erschließungsträger. Das Projektteam, von dem die Gemeinde nur ein kleiner Teil ist, hat sich noch mal neu strukturiert, wodurch wir gut ein Jahr verloren haben. Darauf hatte die Gemeinde keinen Einfluss, aber ich möchte da auch niemandem einen Vorwurf machen. Wir arbeiten gemeinsam daran, und ich hoffe, dass wir im ersten Halbjahr Zwischenergebnisse präsentieren und diskutieren können. Manche Dinge dauern eben länger, bis sie gut werden, richtig gut. Davon bin ich überzeugt.
Sorgen bereitet Ihnen die Flüchtlingssituation in der Gemeinde. Wie angespannt ist die Lage denn aktuell?
Wir wollen ja nicht nur über Sorgen reden, sondern auch über Dinge, die einfach wunderbar und beeindruckend waren. Und da möchte ich die Hirschberger wirklich loben, welche Welle der Hilfsbereitschaft durch den Ort ging, als Putin die Ukraine angegriffen hat. Diese Solidarität war fantastisch anzusehen, als Oxana Klohr und Inna Göhrig die Hilfsaktion an der Markthalle starteten. Wir haben TVG und SGL gemeinsam auf dem Spielfeld gesehen im Benefizspiel gegen die ukrainische Nationalmannschaft. Das vergisst man nicht, und daran müssen wir uns immer erinnern. Viel Liebe und Solidarität hat man auch darin gesehen, wie die Hirschberger Ukrainer in ihren Privatunterkünften willkommen geheißen haben.
Aber die Gemeinde könnte bei der Unterbringung der Geflüchteten nun an ihre Grenzen stoßen, oder?
Dass wir perspektivisch noch mehr tun müssen, ist kein Geheimnis. Wir werden im kommenden Jahr noch mal um die 100 Menschen aufnehmen müssen. Da zeigt sich schon die von Ihnen angesprochene Brisanz. Für Hirschberg ist das schon eine große Zahl. In der nächsten Gemeinderatssitzung wird es auch einen Sachstandsbericht geben. Wir haben einige Wohnungen angemietet, und inzwischen leben 170 Geflüchtete bei uns, um die 100 davon sind Ukrainer. Klar ist aber: Wir werden dringend weiteren Wohnraum brauchen. Und da kann ich nur an die Hirschberger appellieren, noch einmal in sich zu gehen. Denn die Ultima Ratio ist immer die Nutzung öffentlicher Gebäude, was auch eine große Einschränkung für die Vereine nach sich zieht. Das wollen wir unbedingt vermeiden.
Rechnen Sie damit, dass die Alte Turnhalle gebraucht wird?
Wir müssen damit rechnen. Ich werde zurzeit viel gefragt, auch von Seiten der Vereine: "Wie ist das denn – können wir mit der Alten Turnhalle planen?" Ich antworte dann: "Nein, nicht zu 100 Prozent." Alles andere wäre Kaffeesatzleserei und auch nicht seriös. Die Alte Turnhalle ist unsere Notgemeinschaftsunterkunft, und wir müssen dazu in der Lage sein, innerhalb weniger Tage dort bis zu 50 Menschen unterzubringen. Darauf sind wir vorbereitet. Wenn es aber nicht dazu kommt, bin ich sehr dankbar. Alle können mithelfen, damit wir nicht in diese Situation kommen.
Ein großes Thema ist auch der Klimaschutz. Die Grüne Liste Hirschberg, die Sie ja unterstützt hat als Bürgermeister-Kandidat, findet, Hirschberg tut noch zu wenig. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Das sehe ich nicht so. Ich gebe aber zu, wir haben Nachholbedarf. Einige Maßnahmen aus unserem Energiebericht und bei den Sanierungen konnten wir bereits umsetzen, und auch für das kommende Jahr haben wir weitere Pläne dazu. Wir wollen mehr tun, allerdings geht das eben nicht von heute auf morgen. Da sind wir wieder beim Thema Sanierungen, bei denen wir Umwelt- und Klimaschutz auch gleich immer mitdiskutieren, ebenso bei anderen Maßnahmen. Das wird sich in der Folge auch zeigen. Wir werden in der Zukunft aber auch darüber reden müssen, was wir uns leisten können und wollen, denn Klimaschutz kostet Geld, wenn auch gut angelegtes. Jetzt haben wir seit August einen Klimaschutzmanager, der ein Klimaschutzkonzept erarbeitet, das bis Ende 2023 dem Gemeinderat vorgelegt werden soll. Zuvor bedarf es hier eines Beteiligungsprozesses. Darüber hinaus werden wir im kommenden Jahr auch verstärkt über Photovoltaik auf unseren Gebäuden diskutieren. Durch die Kooperationsvereinbarung Klimaschutz mit dem Rhein-Neckar-Kreis haben wir uns eine Selbstverpflichtung auferlegt, und diese gilt es nach Kräften umzusetzen. Daran werden wir uns stets messen lassen müssen.
Wenn Sie auf 2022 zurückblicken, was hat Sie in der Gemeinde am meisten gefreut, was hat Sie am meisten geärgert?
Mich haben ganz viele Dinge gefreut, aber vor allem die Begegnungen mit den Menschen, die jetzt wieder möglich sind. Ein schöner Meilenstein war für mich zudem die Fertigstellung des Kindergartens "Storchennest" in Leutershausen. Positiv zu sehen ist auch, dass wir im Gemeinderat wieder eine Geschlossenheit an den Tag legen bei den wichtigen Themen unserer Gemeinde. Und stolz macht mich auch, dass Hirschberg dank der Ansiedlung des Drogeriemarkts, des Standortbekenntnisses der beiden Banken und demnächst auch noch mit einem neuen Ärztehaus mit Apotheke infrastrukturell gut dasteht. Was mich generell nicht freut, ist unsachliche Kritik, ohne vorher mal das Gespräch gesucht zu haben.
Welche Projekte stehen nun für 2023 auf der Agenda?
Was uns sehr stark und wahrscheinlich auch das ganze Jahr beschäftigen wird, ist die Planung für das ganze Areal Sachsenhalle/Grundschule. Das betrifft die Energieversorgung und die Umsetzung der An-/Neubauten sowie die Hallensanierung. Weitere, auch energetische, Maßnahmen an den kommunalen Gebäuden – zum Beispiel Heinrich-Beck-Halle und Sportplatzgebäude – werden uns beschäftigen, ebenso die Sanierung der Alten Villa, das Klimaschutzkonzept und die kommunale Wärmeplanung. Wir haben uns auch auf die Agenda gesetzt, dass wir uns im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz besser aufstellen. Dafür benötigen wir eine umfassende Kommunale Notfallplanung. Wir werden uns weiter mit den Straßen und allem, was drunterliegt, beschäftigen. Dazu gehört neben Ver- und Entsorgungsinfrastruktur auch der barrierefreie Ausbau unserer Bushaltestellen. Außerdem wollen wir weitere E-Ladesäulen aufstellen. Das Partnerschaftsjubiläum werden wir endlich groß feiern. Und im nächsten Jahr wird der Glasfaserausbau in der Öffentlichkeit hoffentlich stärker thematisiert werden können. Ich hoffe, dass viele Bürger mitmachen, denn dies ist die Zukunftstechnologie! Außerdem wird die Projektbegleitung der Zukunftswerkstatt ihrem Ende zugehen– ein großes Lob an alle Mitwirkenden! Einige Dinge konnten bereits umgesetzt werden, und das große Engagement stimmt mich sehr hoffnungsvoll, dass auch in den kommenden Jahren weitere Projekte realisiert werden können.
Welche Frage würden Sie gerne beim Jahresinterview 2023 von mir gestellt bekommen?
Hätten Sie gedacht, dass Sie dieses Arbeitspensum schaffen? (schmunzelt)