Mit Extremsituationen umgehen
Bei der Suche nach einem 16-Jährigen im Neckar waren junge Feuerwehrmänner dabei - "Die meisten wissen, worauf sie sich einlassen"

In Seckenheim wurde beobachtet, wie ein Jugendlicher in den Neckar ging. Die Feuerwehr ließ daraufhin ihr Luftkissenboot ins Wasser. An Bord waren Gesamtkommandant Stephan Zimmer, sein Sohn Timo und Mika Dehoust, beide 21 Jahre jung. Foto: Pilz
Von Nicoline Pilz
Edingen-Neckarhausen. Rettungskräfte sind mit Situationen konfrontiert, die immer wieder auch extrem sind. Mit Suiziden, Verkehrsunfällen oder der Suche nach vermissten Menschen. So wie zuletzt, als ein 16-jähriger bei Seckenheim von Zeugen beobachtet wurde, wie er in den Neckar ging. Drei Tage lang suchten Einsatzkräfte nach dem Jugendlichen, bis jetzt noch ohne Ergebnis.
Mit dabei war eine Einsatzgruppe der Freiwilligen Feuerwehr Edingen-Neckarhausen: Drei Mann auf dem erstmals für einen Notfall zu Wasser gelassenen Luftkissenboot und weitere Kräfte an Land. Auf dem Rettungsboot saß Gesamtkommandant Stephan Zimmer am Steuer, mit an Bord waren sein Sohn Timo und Mika Dehoust, beide erst 21 Jahre jung.
Wie geht die Feuerwehr mit Ereignissen um, bei denen Verletzte oder vielleicht auch Tote zu beklagen sind? "Wir können uns darauf nicht vorbereiten und es gibt auch keine Seminare dazu. Wenn ein Einsatz aufläuft, muss ich das Personal nehmen, das da ist", schildert Stephan Zimmer.
Was ein Feuerwehrmann oder eine Feuerwehrfrau nicht leisten könne, müsse er oder sie auch nicht tun. "Wir haben einen super Feuerwehrmann bei uns. Aber er kann kein Blut sehen. Das berücksichtigen wir", sagt Zimmer. Bislang sei es immer so gewesen, dass gerade bei den jüngeren Kameraden das Interesse an einem Einsatz gesiegt habe. Dabei werden Grenzen ausgelotet und verschoben.
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"Wenn man bei der Feuerwehr ist, kann man davon ausgehen, dass die meisten wissen, worauf sie sich einlassen", meint Timo Zimmer. Er und Mika Dehoust kamen beide - durch die Väter familiär quasi "vorbelastet" - im Alter von zehn Jahren zur Feuerwehr, absolvierten die Jugend- und die Grundausbildung. "Die Ausbilder sagen uns schon, was uns erwarten könnte", meint Mika Dehoust. Im Kettensägenlehrgang lagen Bilder vor, wie Verletzungen mit dem Gerät aussehen können. Michael Stein erinnerte an das Hubschrauberunglück in Mannheim in den 80er Jahren: "Es war das erste Mal, dass es Bilder von einem Extremunfall gab", schildert der zweite stellvertretende Kommandant.
In der Einsatznachbesprechung wird einerseits die Vorgehensweise noch einmal beleuchtet. "Wir wollen dabei Entscheidungen, die wir oft sekundenschnell fällen müssen, noch einmal nachvollziehbar machen und Transparenz herstellen", sagt Stephan Zimmer. Oder auch selbstkritisch zugeben, dass etwas anders hätte laufen können. Andererseits gehe es auch darum, Einsatzkräften, die mit hochemotionalen Situationen und Beschimpfungen konfrontiert seien, den Rücken zu stärken, betont der erste stellvertretende Kommandant Marcus Heinze.
Wer möchte, kann sich an das Feuerwehr-Seelsorge-Team des Rhein-Neckar-Kreises wenden. Seelsorger der beiden Kirchen, Ärzte, Psychologen und Angehörige der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (Feuerwehr und Rettungsdienst) kümmern sich gleichermaßen um Einsatzkräfte und Angehörige von Opfern. "Wir hatten sie schon mehrfach hier, auch zu Vorträgen", schildert Stephan Zimmer.
Das Notfall-Team bietet Einzel- und Gruppengespräche an oder vermittelt zeitnah weiterführende Therapien. "Das Zugunglück von Eschede hat in diesem Bereich die Welt komplett gedreht", sagt Kommandant Zimmer. Weil es anschließend Suizide von Einsatzkräften gegeben habe, seien Notfallteams ins Leben gerufen worden. "Es gibt immer wieder unvorhergesehene Situationen über dem Standard mit Spätfolgen", sagt Marcus Heinze.
Die jüngeren Einsatzkräfte dürfen ab 18 Jahren an die "Front", wie es bei der Wehr heißt. Davon werden sie behutsam an die verschiedensten Szenarien herangeführt, immer begleitet von erfahrenen Kräften. "Die ersten Einsätze ist man noch nervös", meinen Timo Zimmer und Mika Dehoust. Bei einer Türöffnung habe er gedacht, das müsse jetzt nicht sein, sagt Timo Zimmer. "Das war ein Suizid." "Manchmal macht aber das Wissen, dass es ein Suizid war, das Ganze auch erträglicher", meint Michael Stein. Nicht für die Angehörigen. Aber für die Einsatzkräfte.
Auch Maximilian Pfaff war beim jüngsten Sucheinsatz nach dem 16 Jahre alten Jugendlichen entlang des Neckars dabei. Wie seine kaum älteren Kameraden wirkt der 19-Jährige ruhig und abgeklärt. Ein Wunder ist das nicht. Pfaff kam 2012 zur Feuerwehr, ist aber als OP-Assistent täglich mit dem Tod konfrontiert.