45-Jähriger wegen versuchten Totschlags verurteilt (Update)
"Zu gefährlich für die Allgemeinheit": Wegen Schuldunfähigkeit wurde der Mann in einer Klinik untergebracht.

Eppelheim/Heidelberg. (lesa) Es ist der 6. Juni, der das Leben von drei Personen ändert. Ein damals 44-Jähriger greift ein Ehepaar in dessen Wohnung im Eppelheimer Industriegebiet an. Er verletzt den 67-jährigen Mann und traumatisiert die zehn Jahre jüngere Frau – eine entfernte Verwandte. Und er besiegelt sein eigenes Schicksal: Das Heidelberger Landgericht verurteilte ihn am Mittwoch wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Weil der Mann zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war, wird er im Maßregelvollzug untergebracht.
> Die Tat: Bewaffnet mit Teleskopschlagstock, Klappmesser, Pfefferspray und Nunchaku betrat der Mann das Gelände in der Handelsstraße. Unter Beleidigungen schlug er mit dem Teleskopschlagstock die Terrassentür ein und verfolgte die beiden Bewohner ins Schlafzimmer, in dem sie sich verschanzt hatten. Er schlug und trat auf die Tür ein. Auf der Gegenseite hielten der 67- und die 57-Jährige dagegen. "Aber er hatte mehr Kraft", schildert nun der 67-Jährige, der als Nebenkläger auftritt. Der Angreifer schlug ihm zweimal mit dem Schlagstock auf den Schädel. Der 67-Jährige flüchtete nach draußen, der Angreifer folgte. Im Freien stellte ihn die Polizei.
> Die Folgen: Körperlich betrachtet, hatten die Eheleute Glück. Zwei Platzwunden trug der Mann davon, der nur ambulant behandelt werden musste. Anders sieht es bei den psychischen Folgen aus. "Unser Leben hat sich geändert", sagt der 67-Jährige. Wenn er das Haus verlasse, blicke er sich um. Seine Frau schildert, dass sie etwa beim Kochen die Dunstabzugshaube der Geräusche wegen nicht mehr anmachen kann. "Ich habe ganz viel Angst."
> Der Hintergrund: Die Vorwürfe hat der Beschuldigte wie berichtet eingeräumt, sich entschuldigt. Er habe den 67-Jährigen nur verletzen wollen. Aus Rache. Denn sein Opfer ist Mitglied der Eppelheimer Ahmadiyya-Gemeinde, zudem Bruder eines hochrangigen Mitglieds der islamischen Glaubensgemeinschaft im Ausland. Nach dem Angriff hatte der Beschuldigte vor, noch zur unweit entfernten Moschee zu gehen und dort weitere Personen anzugreifen. Denn: Die Ahmadiyya, denen der Beschuldigte selbst zugehörte, versagten ihm einst die Zustimmung zur Heirat mit einer Frau, die laut Schilderungen des Mannes mit einem anderen zwangsverheiratet werden sollte.
"Eine Hochzeit muss von der Gemeinde genehmigt werden", sagt der Nebenkläger auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Jochen Herkle. Er selbst habe damit aber nichts zu tun gehabt. Doch der Beschuldigte, der unter einer schizoaffektiven Störung leidet und aufgrund derer diverse Brüche in seiner Biografie aufweist, kam im Wahn zum Schluss, dass die Ahmadiyya für all sein Leid verantwortlich ist – und übertrug dies auf sein Opfer.
> Das Urteil: In der Bewertung der Tat waren sich sämtliche Juristen im Raum einig. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklagevertreter hatten aufgrund der Schuldunfähigkeit des Täters die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik und die Übernahme der Verfahrens- und Nebenklagekosten wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung gefordert.
"Er hat eine tödliche Folge billigend in Kauf genommen", fand Oberstaatsanwalt Lars-Jörgen Geburtig. Selbst Verteidiger Jens Klein schloss sich den Forderungen an, wenn er auch betonte, dass sein Mandant habe "bestrafen" wollen. "Und wenn ich höre, dass kirchliche Gemeinden Menschen das Heiraten verbieten wollen, steigt mir die Galle hoch", fand er nachvollziehbar, dass dieses Motiv bei einem "Menschen mit entsprechender Disposition auf fruchtbaren Boden fällt". Die Kammer folgte den Plädoyers.
"Sie haben gezeigt, wozu Sie krankheitsbedingt in der Lage sind", wandte sich Herkle an den Beschuldigten. "Damit scheinen Sie für die Allgemeinheit gefährlich. Zu gefährlich, um jetzt schon ein Leben in Freiheit führen zu können." Der Beschuldigte akzeptierte das Urteil noch im Saal. Es ist damit rechtskräftig.
Update: Mittwoch, 20. Dezember 2023, 19.47 Uhr
45-Jähriger gesteht "Rachepläne" gegen Ahmadiyya-Mitglieder
Eppelheim/Heidelberg. (luw) Eine verhinderte Zwangsheirat, angebliche Schikanierungen durch eine Glaubensgemeinschaft und Verfolgungswahn: Darauf fußt die Geschichte des Beschuldigten, der sich wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor dem Heidelberger Landgericht verantworten muss. Am zweiten Prozesstag legte der 45-Jährige ein Geständnis ab: Er gab zu, am 6. Juni ein Grundstück in der Eppelheimer Handelsstraße gestürmt zu haben; dabei trug er Helm, Protektoren sowie Spikes an den Schuhen und war unter anderem bewaffnet mit Teleskopschlagstock, Klappmesser und Pfefferspray.
"Ich war nicht mehr Herr meiner Lage, es tut mir sehr leid", sagte der Beschuldigte vor Gericht immer wieder. Ihm wurde eine "schizoaffektive Störung" diagnostiziert, deretwegen er es im Rachewahn auf Mitglieder der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde abgesehen habe. Er räumte ein, zweimal mit dem Schlagstock dem auf jenem Grundstück wohnenden Mann auf den Kopf geschlagen zu haben. Wie berichtet erlitt das Opfer Platzwunden am Schädel. Weil der 45-Jährige wohl im "schuldunfähigen" Zustand handelte, geht es im Verfahren um eine mögliche unbefristete Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik.
Nun gab er Einblicke in seine Biografie: Er wurde 1978 in Pakistan geboren, ehe seine Eltern 1990 mit ihm und seinen zwei Geschwistern nach Deutschland auswanderten: "Meine Familie gehört der Ahmadiyya-Gemeinde an und in Pakistan werden sie deswegen verfolgt." Über Umwege landete die Familie 1998 in der Heidelberger Region, wo bereits Verwandte wohnten. Der Beschuldigte erreichte hierzulande einen Hauptschulabschluss, den angestrebten Realschulabschluss schaffte er aber nicht. Im Jahr 2000 lernte er eine Frau kennen, die ebenfalls der Ahmadiyya-Gemeinde angehörte, jedoch: "Ihre Eltern mochten mich nicht, auch weil ich nicht so streng gläubig bin – deswegen sollte sie mit einem anderen Mann zwangsverheiratet werden." Dagegen wehrte sich das Paar: Es zog in den Stuttgarter Raum und heiratete gegen den Willen der Eltern, was auch bei der in Eppelheim ansässigen Ahmadiyya-Gemeinde nicht gut angekommen sei.
2002 wurde die Tochter des Paares geboren, doch das Familienglück hielt nicht lang. Wegen finanzieller Probleme kam es oft zu Streit: "Ich habe meiner Frau gesagt, dass sie auch arbeiten muss, aber das wollte ihre Familie nicht." Der heute 45-Jährige wurde psychisch krank, weshalb er mehrmals den Job wechselte – 2006 kam es zur Scheidung. Von der Ahmadiyya-Gemeinde wurde er offiziell ausgeschlossen. Sein späteres Opfer habe ihn in der Gemeinde als "Abtrünniger" und "Verräter" beschimpft. Diese und weitere Schikanen hätten seinen Zustand verschlimmert, sagte er und berichtete von zwei Suizidversuchen. Mehrmals kam er in psychiatrische Kliniken, wo er Medikamente bekam.
Kurz vor der Tat setzte er die Medikamente ab, worauf sich sein Zustand extrem verschlechterte: Er wollte sich nach eigenen Worten bei den für seinen Ausschluss Verantwortlichen rächen und sich das Leben nehmen. Kurz nach dem Angriff wurde er festgenommen. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.
Update: Dienstag, 19. Dezember 2023, 19.56 Uhr
45-Jähriger schmiedete "Racheplan" gegen Ahmadiyya-Mitglieder
Eppelheim/Heidelberg. (lesa) Von Rache getrieben, gefährlich, in akuten Krankheitsphasen von "wahnhaftem Erleben" bestimmt: Es sind drastische Worte, die am Mittwoch im Heidelberger Landgericht über einen 45-Jährigen fallen. Dieser sitzt – akkurat gekleidet und frisiert – auf der Anklagebank und nickt immer wieder bei den Ausführungen von Richter und Staatsanwaltschaft. Diese führen aus, was der Beschuldigte im Juni getan haben soll – und was ihn in Handschließen gefesselt vor die Kammer gebracht hat: versuchter Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
6. Juni, Eppelheim: Der damals 44-Jährige betritt zur Mittagszeit ein Grundstück in der Handelsstraße. Er ist bewaffnet: Neben Teleskopschlagstock, Klappmesser und Pfefferspray hat er ein Nunchaku bei sich, eine japanische Holzwaffe. Außerdem trägt er Helm, Rückenprotektor, Knie- und Ellbogenschützer sowie Spikes an den Schuhen.
Sein Ziel: das Wohnhaus und der Mann, der darin mit seiner Frau lebt – Mitglieder der muslimischen Ahmadiyya-Gemeinde. "Er hegte seit Langem einen Groll gegen die Ahmadiyya, weil er aufgrund wahnhaften Erlebens denkt, die Mitglieder seien für sein Unglück verantwortlich", heißt es in der Antragsschrift.
Also macht der Mann sich an einen "Racheplan" oder wie es der Staatsanwalt ausdrückt: daran, die Hausbewohner "körperlich massiv anzugreifen". Die sehen ihn kommen und schließen sich im Schlafzimmer ein. Der Angreifer schlägt die Glasschiebetür des Hauses ein und zerstört die Schlafzimmertür.
Im Raum schlägt er dem Mann "mindestens zweimal" mit dem Schlagstock auf den Kopf. Der Verletzte rettet sich blutend nach draußen, seine Frau versucht, den Angreifer aufzuhalten. Dieser folgt seinem Opfer, das er laut Staatsanwalt als erstes von weiteren Ahmadiyya-Mitgliedern angreifen will. Draußen trifft er auf die Polizei, die ihn stoppt.
Das Opfer erlitt zwei Platzwunden am Schädel. "Ihm war bewusst, dass der Schlag tödlich hätte sein können, was er billigend in Kauf genommen hat", ordnet die Staatsanwaltschaft ein. Aufgrund einer "schizoaffektiven Störung" sei der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt aber "nicht in der Lage gewesen, Unrecht einzusehen".
Daher wird ihm vorgeworfen, im Zustand "aufgehobener Schuldfähigkeit" versucht zu haben, einen Menschen zu töten und einen zu verletzen. Weil weitere "rechtswidrige Taten" zu erwarten seien, verhandelt das Gericht über die dauerhafte Unterbringung des Mannes in einem psychiatrischen Krankenhaus. Gegenwärtig ist er im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch untergebracht.
Dafür sind drei Verhandlungstage angesetzt, von denen der erste nur eine gute Viertelstunde dauerte. Weil der als Sachverständige geladene Psychiater laut Sprecherin Ina Untersteller einen anderen Termin hatte, wurde die Hauptverhandlung vertagt. Am 19. Dezember geht’s weiter.