Heiligkreuzsteinach macht die Laternen seit 30 Jahren nachts aus
Hier gehen die Straßenlaternen schon lange nachts aus. Erst wurde Heiligkreuzsteinach dafür belächelt, nun ist die Gemeinde Vorbild in Sachen Energiesparen.

Von Christoph Moll
Heiligkreuzsteinach. In der Energiekrise wird auch in der Region darüber diskutiert, ob wirklich die ganze Nacht die Straßen beleuchtet werden müssen. In einigen Orten rund um Heidelberg werden die Laternen gedimmt, auch eine Komplettabschaltung in der Nacht ist kein Tabuthema mehr. In einem kleinen Dorf im Odenwald gehen die Lichter schon lange aus: Heiligkreuzsteinach schaltet seine Straßenlaternen seit 30 Jahren nachts zwischen 1 und 5 Uhr aus. Lange wurde es dafür belächelt, inzwischen gilt das Dorf als Vorreiter.

Doch wie kam es dazu? Karl Brand erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. "Als ich ins Amt kam, mussten wir jeden Pfennig zweimal umdrehen", erzählt der 76-Jährige, der von 1989 bis 2013 Bürgermeister war. "Wir mussten damals den Ort erst wieder finanziell auf die Füße bekommen." Zahlreiche teure Investitionen aus den Vorjahren drückten den Haushalt.
Schon damals nahm Brand die Energie ins Visier. So wurde die Heizung in der Schule gedrosselt. Doch die Sparmaßnahmen reichten noch nicht. "Ich habe weitere Möglichkeiten gesucht und alles auf den Prüfstand gestellt", erinnert sich Brand an einen Tag im Jahr 1992: "Ich saß vor dem Haushaltsplan und habe gelesen, was die Straßenbeleuchtung kostet."
20.000 bis 25.000 D-Mark waren es damals. Brand kam die Idee, zwischen 1 und 5 Uhr ganz abzuschalten und damit ein Drittel zu sparen. Vom Stromnetzbetreiber habe er erst die Auskunft bekommen, dass die Gemeinde zur Straßenbeleuchtung verpflichtet sei. Doch als Brand die Rechtslage einsehen wollte, kam heraus: Diese Auskunft stimmte nicht.
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"Wer ist schon nachts um 1 Uhr unterwegs?", fragte sich der Bürgermeister und schlug die Maßnahme dem Gemeinderat vor. Es gab überraschend keine Diskussion, sondern Zustimmung. Und auch auf die Bekanntgabe der Entscheidung im Amtsblatt habe es wider Erwarten keine Beschwerden gegeben. "Die Leute haben es mitgetragen", sagt Brand. "Es war die letzte Möglichkeit zum Sparen." Warum Proteste ausblieben, erklärt sich der Ex-Bürgermeister so: Die Abschaltung habe niemandem wehgetan, pünktlich zum ersten Bus um 6 Uhr sei es wieder hell gewesen. Zudem habe er deutlich gemacht, dass die Maßnahme helfe, um Sparmaßnahmen bei Vereinen zu verhindern.
"Von Klima- und Umweltschutz hat damals noch niemand gesprochen", räumt Brand ein. "Das Ganze war aus der finanziellen Not heraus geboren." Dennoch sei er etwas stolz darauf gewesen. "Meine Amtskollegen haben sich aber drüber lustig gemacht und mich gehänselt", erinnert sich Brand, der sich vor allem über die Akzeptanz in der Bevölkerung freute. "Es gab in all den Jahren keine Beschwerden", so der 76-Jährige.
Im Gegenteil. "Einmal hat eine Frau gemeldet, dass etwas mit den Straßenlaternen nicht stimmt." Denn diese hätten die ganze Nacht geleuchtet. Obwohl es der Gemeinde in den Folgejahren finanziell besser ging, blieben die Lichter aus. "Niemand hat gefordert, sie wieder anzuschalten", berichtet Brand. Anfang der 2000er-Jahre ließ der damalige Rathauschef die beiden Kirchen im Ort anleuchten. In der völligen Dunkelheit seien diese besonders gut zu sehen gewesen.
Brand weiß, dass es Amtskollegen mit ähnlichem Ansinnen schwerer hatten. "Ein Kollege aus dem Hessischen hat es mal probiert, aber dann ist die Bevölkerung Sturm gelaufen", erinnert er sich. "Heute wäre es wohl einfacher." In Bammental hat der damalige Bürgermeister Gerhard Vogel es im Jahr 2003 versucht. Die Straßenlaternen erhielten schon ein rotes Band als Zeichen der Nachtabschaltung, doch dann votierte der ganze Gemeinderat dagegen.
Als Brand schon nicht mehr im Amt war, erhielt er vor etwa fünf Jahren den Anruf eines Bürgermeisters. "Er wollte wissen, wie ich das damals gemacht habe", erzählt er. Warum die Lampen in Heiligkreuzsteinach nicht mit einer roten Banderole gekennzeichnet sind, weiß Brand nicht. Möglicherweise sei dies einfach versäumt worden.
Auch Brands Nachfolgerin Sieglinde Pfahl denkt nicht daran, die Lampen nachts angeschaltet zu lassen. Die Abschaltung sei immer mal wieder ein Thema, meist würden sich Neubürger wundern, erzählt sie. Für diese sei die Abschaltung ungewöhnlich, es fehle nur an der Erklärung. "Manche denken, es wäre etwas kaputt und melden sich im Rathaus", sagt sie. Selbst als es im vergangenen Jahr eine Einbruchserie gab, sei die Abschaltung nicht in die Kritik geraten. Generell sei die Kriminalitätsrate aber niedrig. Die Einheimischen seien schon lange mit der Maßnahme vertraut. Und diese sei in Zeiten des Klima- und Umweltschutzes auch völlig richtig.
Die 454 Laternen im Ortsgebiet benötigen noch rund 115.000 Kilowattstunden im Jahr. Es könnten noch weniger sein, da sie noch nicht auf die besonders sparsame LED-Technik umgerüstet sind. Die Umrüstung der Natrium-Dampf-Lampen war schon einmal geplant, doch 2016 wurde das Geld für die Wasserversorgung gebraucht. Außerdem wollte man nicht nach nur sieben Jahren schon wieder die Laternen umrüsten, so Pfahl. Paradox: Die Investition würde sich wegen der verkürzten Leuchtdauer erst später amortisieren.
Pfahl hatte in letzter Zeit Anfragen von Amtskollegen größerer Städte. Sie wollten wissen, wie die Bevölkerung mit der Maßnahme lebe. "Wir sind ein Dorf und keine Großstadt", gibt Pfahl zu bedenken. "Wir haben zum Beispiel keinen S-Bahnhof, der beleuchtet sein muss." Zwischen 1 und 5 Uhr seien auch keine Busse mehr unterwegs, und die meisten Einwohner würden schlafen. Mit der Zeit wurden aber Ausnahmen zu besonderen Anlässen eingeführt: An Silvester, an Rosenmontag, am Maifeiertag sowie während der Kerwe und des Weihnachtsmarktes bleiben die Laternen nachts an.
Die Bürgermeisterin lässt nun prüfen, ob die Laternen nachträglich mit einer roten Banderole ausgestattet werden müssen. "Wir stehen voll hinter der Maßnahme, die auch ein täglicher Beitrag zum Klimaschutz ist", betont Pfahl. "Wir werden das System beibehalten."




