Mittelgewann Edingen-Neckarhausen: Pfiffe, Buhrufe, Emotionen
Anschuldigungen und Polemik bestimmten großen Teil der Ratsdiskussion um Abgrenzung von Neubaugebiet für rund 600 Bürger

Die Idylle trügt: Ein geplantes, fast elf Hektar großes Neubaugebiet im Mittelgewann ließ in der Gemeinderatssitzung die Emotionen hochkochen. Mit zwölf zu fünf Stimmen genehmigte das Gremium den Grundsatzbeschluss. Foto: Kraus-Vierling
Von Nicoline Pilz
Edingen-Neckarhausen. In einer strapaziösen Mammutsitzung ebnete der Gemeinderat in öffentlicher Sitzung mehrheitlich den Weg für eine Bebauung des "Mittelgewanns". Bürgermeister Simon Michler, die CDU- und SPD-Fraktion sowie Einzelgemeinderat Uli Wetz stimmten für den Grundsatzbeschluss, im 10,7 Hektar großen Gebiet im Außenbereich von Edingen zwischen Wasserturm und OEG-Wagenhalle Wohnraum für rund 600 Neubürger zu planen. Die SPD beantragte zudem erfolgreich, dreigeschossiges Bauen für sozialen Wohnbedarf zuzulassen.
Die Unabhängige Bürgerliste aus FDP und Freien Wählern (UBL) sowie die Offene Grüne Liste (OGL) stimmten aus ökologischen Gründen gegen eine konzentrierte Bebauung im "Mittelgewann". Beide Fraktionen bezweifeln einen wirtschaftlichen Mehrwert für die Kommune und fürchten einen teuren Ausbau der Infrastruktur im Ort.
Hintergrund
Zitate aus der Sitzung
> Zuhörerin an Gemeinderäte und Gegner des Baugebiets: "Bei dieser ganzen Anti-Mittelgewann-Kampagne: Ich bin Besitzerin einer Streuobstwiese dort und wenn da so viele Kinder spielen würden, wie behauptet,
Zitate aus der Sitzung
> Zuhörerin an Gemeinderäte und Gegner des Baugebiets: "Bei dieser ganzen Anti-Mittelgewann-Kampagne: Ich bin Besitzerin einer Streuobstwiese dort und wenn da so viele Kinder spielen würden, wie behauptet, hätte ich das mitbekommen. Stattdessen sind hauptsächlich Hundebesitzer unterwegs, deren Tiere meine Wiese vollkacken."
> Dietrich Herold (UBL) an Bürgermeister Simon Michler: "Diese Vorgehensweise zeigt eine bisher nicht gekannte und nicht für möglich gehaltene Bürgerferne."
> Lukas Schöfer (CDU) an Gemeinderat und Zuhörer: "Sie wohnen alle in Häusern, wo früher Ackerland war."
> Herold an Bürgermeister Michler: "Sie hatten einen guten Start. Vielleicht war er zu gut."
> Bürgermeister Michler an Herold: "Legen Sie nicht jedes Wort von mir auf die Goldwaage."
> Bürgermeister Michler an Gemeinderat und Zuhörer: "In der Gemeinde gibt es das Gerücht, dass ich selbst dorthin (ins Mittelgewann, Anm. d. R.) ziehen will. Das will ich nicht. Ich suche früher etwas."
> Herold an Bürgermeister Michler: "Ich halte Sie für sehr intelligent. Aber bei der politischen Klugheit ist bei Ihnen noch Luft nach oben."
> Bürgermeister Michler an Herold: "Und bei Ihnen ist bei der politischen Fairness noch Luft nach oben." mwg/nip
Bürgerfragestunde dauerte mehr als zwei Stunden
Die UBL scheiterte zudem mit ihrem Antrag, vor einer Entscheidung des Gemeinderats das Thema ausführlich zu beraten. Fraktionssprecher Hans Stahl beklagte, das "Mittelgewann" sei erstmals in der Klausurtagung des Gemeinderats im April aufgetaucht, um von Michler schließlich im "Hauruck-Verfahren" auf die Tagesordnung der Juni-Sitzung gepackt zu werden. Michler konterte, er hätte über den Punkt im Juni gerne gesprochen, doch die UBL habe ihn vertagen lassen. Stahl wiederum argumentierte, der Bürgermeister habe die Sache bereits im Wissen, dass sechs Gemeinderäte befangen seien, eilends vorangetrieben.
Auch interessant
Tatsächlich mussten Stahl, Klaus Merkle und Helmut Koch von der UBL, Lukas Schöfer von der CDU, Eberhard Wolff von der SPD und Max Brummer von der OGL den Ratstisch verlassen. Sie oder Angehörige bis zum dritten Grad haben im Mittelgewann Grundbesitz.
Eingangs hatte Michler den rund 100 anwesenden Bürgern versprochen, ihre zumeist sehr kritischen Fragen über den Nutzen einer Bebauung des Mittelgewanns zu beantworten. Zwei Stunden lang ließ er mehrere Fragen- und Antwort-Runden zu; die angespannte und zum Teil gereizte Stimmung verschlechterte sich erstmals, als der Bürgermeister davon sprach, er "bedauere", dass die Fraktionen von UBL und OGL vor ihm eine Bürgerinformationsveranstaltung angeboten hätten.
Pfiffe und Buhrufe aus dem Publikum folgten dieser Aussage, die Fraktionsvertreter reagierten zornig. "Ruhe, oder ich werfe Sie hinaus", sagte Michler in Richtung der Zuhörer, entschuldigte sich dann aber, er sei noch nicht fertig gewesen mit seinen Ausführungen: "Ich bedaure, dass ich das nicht im Vorfeld gemacht habe. Das ist eine Kritik an mir selbst." Er werde die Bürgerinfo nachholen, jederzeit auch in Einzelgesprächen. Zehn Minuten lang schilderte er, warum er das Mittelgewann als Baugebiet forciert. Seit 50 Jahren sei das Areal im Flächennutzungsplan des Nachbarschaftsverbands als mögliches Baugebiet ausgewiesen, Alternativen in dieser Größenordnung gebe es nicht. Eine Bebauung von zehn Hektar Fläche sei von den Erschließungskosten günstiger, als dreimal drei Hektar zu bebauen. Pro erwachsenem Neubürger seien jährlich 1030 Euro an Einkommensteuerzuweisung zu erwarten, insgesamt rechne er bei einem noch recht niedrig angesetzten Bodenwert von 450 Euro pro Quadratmeter mit sieben Millionen Euro an Erlösen. Das Geld benötige die Kommune für anstehende Projekte. Verzichte man auf diese Einnahmen, werde man Abstriche bei der bestehenden Infrastruktur machen müssen: "Dann müssen wir auch überlegen, ob wir uns noch zwei Bäder leisten können."
Im "Mittelgewann" könnten erste Häuser vielleicht Ende 2019 stehen. Das Bebauungsplanverfahren ist auf drei Jahre taxiert. Im September könnte der Aufstellungsbeschluss fallen, 2017 soll es umfangreiche Naturschutz- und Verkehrsgutachten geben. "Ich will das Beste herausholen aus diesem Gebiet. Am Ende sollen alle zufrieden und die Anwohner stolz darauf sein, im Mittelgewann zu wohnen", sagte Michler weiter. Er hatte bereits einen Tipp für einen Erschließungsträger an der Hand: Die ESB Kommunal Projekt AG Baulanderschließung und Kommunalberatung von Thomas Dopfer.
In der Frage, ob Edingen-Neckarhausen in diesem Jahr "Schuldenkönig" im Rhein-Neckar-Kreis sei oder nicht, entspann sich zwischen UBL-Gemeinderat Dietrich Herold und Michler ein emotionaler Disput. Von "Erpressung" und "persönlichen Beleidigungen" war die Rede und davon, dass die UBL aus nicht öffentlichen Sitzungen berichtet habe. Es war Uli Wetz, der Ruhe in die Diskussion brachte und den Fokus auf die große Wohnungsnot in der Region richtete. In Edingen-Neckarhausen, so habe er errechnet, brauche man bis 2030 rund 1000 Wohnungen. Den ökologischen Verlust durch ein Baugebiet im Mittelgewann könne man drastisch abmildern. Wetz äußerte zugleich Kritik am Naturschutzbund (Nabu) Heidelberg, der in seiner Stellungnahme gegen eine Bauleitplanung im Mittelgewann keinen Beobachtungszeitraum zu seiner ökologischen Untersuchungen angegeben habe. Eine Bürgerin hatte zuvor beklagt, dass der Nabu widerrechtlich ihr Grundstück betreten habe, um ein Spechtloch zu fotografieren.



