Flüchtlinge in Weinheim: Stadt wirbt für Begegnung

Infoveranstaltung zu Flüchtlingen im Ebert-Park-Hotel: Kreisvertreter erläuterten "dramatische Lage"– Erstes Weinheimer Flüchtlingsbaby geboren

03.11.2015 UPDATE: 04.11.2015 06:00 Uhr 2 Minuten, 19 Sekunden

Während die Temperaturen im Rolf-Engelbrecht-Haus trotz der Anwesenheit von circa 350 Interessierten frisch waren, erhielt eine Flüchtlingsfamilie aus Albanien "Applaus in Abwesenheit". Der Grund: Am Freitag kam ihr zweiter Sohn Orenion in Weinheim zur Welt. Foto: Kreutzer

Von Günther Grosch

Weinheim. "Weinheim begrüßt das erste Flüchtlingskind, das hier geboren wurde." Beifall brandete unter den gut 350 Zuhörern auf, die sich am Montagabend im Rolf-Engelbrecht-Haus bei der Infoveranstaltung von Stadt und Kreis zur Belegung des Ebert-Park-Hotels eingefunden hatten.

OB Heiner Bernhard hatte diese Nachricht an den Anfang gesetzt, um die zunächst spürbar angespannte Stimmung zu lockern. Mareike Merseburger, ehrenamtliche "Geburtshelferin", ergänzte: "Der kleine Orenion kam am Freitag um 16.02 Uhr in der GRN-Klinik zur Welt. Keine 24 Stunden, nachdem seine albanischen Eltern und sein Bruder in die Gemeinschaftsunterkunft eingezogen sind."

OB: "Jeder darf seine Sorgen äußern"

Was die Weinheimer seit Wochen aus Fernsehen und Radio erfahren und bisher aus einer eher unpersönlichen Perspektive heraus betrachtet hätten, nehme nun konkret Gesicht und Gestalt an, so Bernhard: "Es kommen Menschen, die gar nicht so viel anders sind als wir." Dass der kleine Orenion nicht lange das einzige in Weinheim zur Welt gekommene Flüchtlingsbaby bleiben wird, belegt die Tatsache, dass sich unter den Neuankömmlingen neun Schwangere befinden.

Auch interessant
: Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im Ebert-Park-Hotel in Weinheim füllt sich
: Flüchtlinge in Weinheim: Helferabend trifft auf gewaltige Resonanz
: RNV-Großkontrolle: Falsche Gerüchte über Flüchtlinge als Schwarzfahrer

Weniger gute Nachrichten kamen von der Kreisbehörde: Der Rhein-Neckar-Kreis stehe vor einer dramatischen Lage, so Ordnungsamtsleiter Stefan Becker. Demnach gilt es, bis Ende des Jahres im Kreis weit mehr als 5000 Flüchtlinge unterzubringen, 3800 von ihnen habe man bereits "mehr oder weniger gut" auf 24 Kommunen und 41 Standorte verteilt. Davon leben 2100 in Gemeinschaftsunterkünften wie etwa den beiden ehemaligen Weinheimer Hotels (G.U.P.S. und Ebert-Park), 900 in Wohnungen und 800 in Notunterkünften wie zum Beispiel in der Lützelsachsener Winzerhalle.

Weitere 1160 Menschen erwarte der Kreis im November. "Und im Dezember werden es mit Sicherheit nicht weniger." Das Ebert-Park-Hotel sei dem Kreis bereits im August als "absolut geeignete" Unterkunft angeboten worden, so die Sozialarbeiter Karl Winkler und Christoph Kölmel.

In dem früheren Hotel gebe es in jedem Zimmer sanitäre Einrichtungen, außerdem seien Räume für Ehrenamtliche, Verwaltungsmitarbeiter, Sozialarbeiter und Hausmeister vorhanden. Deshalb werde das Ebert-Park-Hotel bis auf weiteres Hauptstandort für die soziale Beratung und Betreuung aller in Weinheim lebender Flüchtlinge. Ulrike Herrmann, die kommunale Beauftragte für Integration und Flüchtlingsfragen, stellte zehn Themenbereiche vor. Diese reichen von Sprachkursen über Beschäftigungsmöglichkeiten bis hin zur Förderung der Selbstorganisation von Flüchtlingen. Zusätzliche Anregungen für Ehrenamtliche geben die "One World Cafés" im ehemaligen G.U.P.S.-Hotel (freitags von 15 bis 17 Uhr), im evangelischen Gemeindesaal in Lützelsachsen (mittwochs von 15.30 bis 17.30 Uhr) und demnächst auch im Ebert-Park-Hotel.

Ihre Ängste und Sorgen brachten viele der Anwesenden dennoch zum Ausdruck: "Wir reichen den Asylsuchenden die Hand. Aber wollen sie sich überhaupt integrieren?", lautete eine der Fragen. Flüchtlinge hätten jüngst die ganze Nacht auf den Fensterbänken gesessen, sich laut unterhalten und eine Shisha-Pfeife geraucht, sagte eine sichtlich genervte Anwohnerin. Sie forderte von den Flüchtlingen ein "nachbarschaftsgerechtes Verhalten" und von den Behörden die Bereitstellung von Aufsichtspersonal ein. Eine 24-Stunden-Security gebe es nur in Notunterkünften, so Becker. Er räumte jedoch ein, dass im Umfeld der Kreisunterkünfte "nicht immer alles konfliktfrei abläuft". Sein Rat: Sich direkt an die Sozialarbeiter vor Ort wenden. Abgesehen von den bereits bekannten beziehungsweise geplanten Unterkünften seien in Weinheim derzeit keine weiteren Objekte im Gespräch, so Becker auf Nachfrage.

Beifall erntete OB Bernhard für eine persönliche Erklärung: Niemand, der seine Besorgnisse und Frustration äußert, dürfe in die rechte Ecke gestellt werden. Gleichzeitig gelte es aber auch, das Bewusstsein dafür zu fördern, dass auch Flüchtlinge einen Lernprozess durchleben. Die Verwaltung biete in diesem Zusammenhang zahlreiche Begegnungsmöglichkeiten an. Das Ziel: "Durch ein persönliches Kennenlernen Nähe und Verständnis aufbauen." Bernhard: "Dann reden auch Sie anders mit und über diese Menschen."

Info: Anwohner melden sich bei Bedarf unter fluechtlinge@rhein-neckar-kreis.de und u.herrmann@weinheim.de.