Erst mal kein Ganztagskonzept für die Weinheimer Pestalozzi-Grundschule
Enttäuschung, Tränen, Wut: Die Pestalozzi-Grundschule steht nach Ratsbeschluss wieder auf Null - "Fühlen uns wie vor den Kopf geschlagen"

Das Schulleben geht jetzt weiter, auch ohne verbindliche Ganztagspädagogik. F.: Kreutzer
Hintergrund
Weinheim. (web) Die Kritiker einer verbindlichen Ganztagsschule haben am Mittwoch eine Vielzahl an Einwänden ins Feld geführt und sich am Ende durchgesetzt. Die wichtigsten Argumente:
> Die Fragestellung der Schule: Die Pestalozzi-Grundschule hatte
Weinheim. (web) Die Kritiker einer verbindlichen Ganztagsschule haben am Mittwoch eine Vielzahl an Einwänden ins Feld geführt und sich am Ende durchgesetzt. Die wichtigsten Argumente:
> Die Fragestellung der Schule: Die Pestalozzi-Grundschule hatte im letzten und in diesem Jahr je eine Bedarfserhebung durchgeführt. Dabei sollten die Eltern angeben, ob sie sich eine Ganztagsschule in verbindlicher Form wünschen. Bei der Fragestellung sei die Alternative "offene Ganztagsschule" jedoch außer Acht gelassen worden, monierten Sascha Pröhl (CDU), Monika Springer (Freie Wähler) und Karl Bär (WL).
> Die Argumente der Stadt: Die besten pädagogischen Konzepte kämen in einer verbindlichen Ganztagsgrundschule eher zur Entfaltung als anderswo, außerdem sei die heutige Hortbetreuung teuer, hatte die Verwaltung angeführt. WL-Rat Bär vermisste jedoch Studien, die den pädagogischen Vorteil belegen. CDU-Mann Pröhl konzedierte, dass es gute Konzepte gebe: "Das heißt aber nicht, dass wir den pädagogischen und finanziellen Rahmenbedingungen alles unterordnen müssen."
> Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Andrea Reister kritisierte, dass das Land die verbindliche Ganztagsgrundschule durchsetzen wolle, indem es die Schulen mit Zuschüssen und Lehrerstunden ködere. Dabei gebe es andere Methoden, um die Betreuungszeiten an die Bedürfnisse der Eltern anzupassen, fand CDU-Rrat Pröhl. WL-Stadtparlamentarier Bär sagte: "Wir opfern die Vereinbarkeit von Familie und Schule nicht der Vereinbarkeit von Familie und Beruf."
> Das Thema Schulbezirkswechsel: Die Weiheimer Bildungsexperten hatten auf die zentrale Lage der Pestalozzi-Grundschule verwiesen. Wer das Konzept der Innenstadtschule nicht mit trage, könne in die Nachbarbezirke wechseln, hieß es. Für WL-Mann Bär kein Argument: "Das ist eine Gängelung der Eltern." FDP-Politikerin Reister: "Die Lützelsachsener Grundschule ist schon heute überbelegt."
> Die räumliche Situation: Hier stellte sich die Frage, ob das Pestalozzigebäude groß genug sei, um alle 300 Schüler von 8 bis 15 Uhr aufzunehmen. Das Prädikat "ausreichend" war der Mehrheit der Räte nicht genug. Gleichwohl wies Freie-Wähler-Rätin Springer darauf hin, dass sie sich eine Sanierung der ehemaligen Archivräume innerhalb des Gebäudes wünsche.
> Das Thema Betreuung: Trotz gewisser Anreize können verbindliche Ganztagsgrundschulen nicht alle zusätzlich anfallenden Stunden mit Lehrern besetzen. Daher wird ein Teil der Stunden "monetarisiert", sodass die Schule Angebote von Vereinen, Musikschulen oder Ehrenamtlichen finanzieren kann. Eine Elterninitiative hatte die "mangelnde Qualität" dieser Angebote kritisiert.
Von Philipp Weber
Weinheim. Die Pestalozzi-Grundschule war gut vertreten am Mittwoch im Gemeinderat: Schulleiterin Jutta Lieder, mehrere Lehrer und Elternsprecherin Valerie Wichelmann saßen im Publikum, als der Rat das verbindliche Ganztagskonzept der Schule mit 14 zu 13 Stimmen kippte. "Ich kann nicht für die ganze Schulgemeinschaft sprechen; aber diejenigen, die ich seither getroffen habe, fühlen sich wie vor den Kopf geschlagen", sagte Elternvertreterin Wichelmann am gestrigen Donnerstag im RNZ-Gespräch: "Ihr jahrelanges Engagement ist mit einer Abstimmung zerstört worden."
Der Pestalozzischule bleibt jetzt nichts anderes übrig, als das Abstimmungsergebnis zu akzeptieren. So läuft wohl auch im Schuljahr 2017/18 der Halbtagsbetrieb weiter. Für Familien mit berufstätigen Eltern gibt es die Grundschul- und die Hortbetreuung. Theoretisch kann sich die Schule erneut auf den Weg zu machen: in Richtung offene Ganztagsschule (Wahlform). Nachdem man aber intensiv für die verbindliche Ganztagsgrundschule geworben hat, wird das nicht einfach.
Die wahren Verlierer - und darin waren sich mehrere RNZ-Gesprächspartner einig - sind jedoch weniger wohlhabende Familien: Anders als die bisherige, kommunale Betreuung wäre die Ganztagsschule kostenlos gewesen. Auch Wichelmann hat das mitbekommen: "Mehrere Eltern haben angerufen, eine Mutter brach in Tränen aus." Auch Stadtrat Carsten Labudda (Die Linke) hatte seine Ratskollegen auf dieses Problem hingewiesen. Apropos "links": Der eine oder andere fragte sich gestern auch, wie die Abstimmung ausgegangen wäre, wenn GAL (dafür) und SPD (mehrheitlich dafür) vollständig an den Ratstischen gesessen wären.
"Vielleicht haben wir nicht energisch genug für das Konzept geworben, hier und da war wohl auch die Kommunikation das Problem", räumt Wichelmann ein. Es sei aber auch schwierig gewesen, alles richtig zu machen: "Das verbindliche Ganztagskonzept musste ja Schritt für Schritt vorangebracht werden, und die Besetzung der Schulgremien ändert sich jedes Jahr."
Aus Sicht der Befürworter verlieren die Schüler jetzt auch die Chance, als Gemeinschaft, unabhängig von Sozialstatus der Eltern zu lernen. Stichwort: soziale Kompetenzen. Für Irritationen sorgt zudem, dass sich am Mittwoch mehr als ein Dutzend Räte anders entschieden als im Winter: Damals wurde die Grundschulkonzeption - die eine verbindliche Ganztagsschule in der Stadt vorsieht - einstimmig bestätigt. Auch im Kinder- und Jugendbeirat waren die Verhältnisse klar.
Besonders bitter stoßen den Befürwortern die Vorwürfe einiger Räte auf: "Als die Aussage kam, es habe im Gesamtelternbeirat heftige Diskussionen gegeben, haben Thomas Schwiderke und ich uns nur staunend angeschaut", so Wichelmann. Zwar hätten der Gesamtelternbeiratschef und sie Diskussionen miterlebt. Dabei sei es jedoch nicht um das Konzept an sich gegangen, sondern um die Frage, warum die Pestalozzischule ausgewählt wurde. "Es gab 2015 und dieses Jahr Elternabende, zuletzt mit Infoständen." Und die sechs Elternvertreter hätten - ebenso wie die schriftlich angefragten Eltern - mit klarer Mehrheit für die Ganztagsschule votiert. Und: Von den vier Befürwortern haben drei Kinder, die betroffen gewesen wären.