Leiter des Anna-Scherer-Hauses sieht lange Quarantäne kritisch
Lebensqualität der Bewohner ist wichtiger

Bammental. (cm) Es war der bis dato größte Corona-Ausbruch in einem Seniorenheim der Region: 36 von ursprünglich 48 Bewohnern hatten sich im Oktober in Haus II des Anna-Scherer-Hauses in Bammental infiziert. Neun positiv Getestete sind bis heute verstorben, alle anderen gelten inzwischen als genesen. Doch die Folgen durch die fünfwöchige Quarantäne bleiben.
Michael Nicolaus sieht diese kritisch: "Man muss hinterfragen, ob die angeordneten Maßnahmen wirklich sinnvoll waren", sagt der Einrichtungsleiter. Nach fünf Tagen sei es den meisten Bewohnern sehr schlecht gegangen. "Wäre das ohne die Quarantäne anders gewesen?", fragt Nicolaus. Obwohl alle Bewohner in ihren Zimmern bleiben mussten, hätte es noch weitere positive Testergebnisse gegeben.
Von den verstorbenen Bewohnern hatte keiner eindeutige Corona-Symptome, so Nicolaus. In diesem Jahr seien nicht mehr Bewohner verstorben als in den Vorjahren. Die Frage, ob es ohne Quarantäne mehr oder weniger Todesfälle gegeben hätte, könne niemand beantworten. Es müsse darüber nachgedacht werden, welche Maßnahmen zu welchem Ergebnis führen. Für das Gesundheitsamt habe der Schutz der nicht infizierten Bewohner oberste Priorität. "Mir wäre bei einer Abwägung die Lebensqualität der Bewohner wichtiger", so Nicolaus. "Der Mensch ist zum Leben da und maximalen Schutz gibt es nicht." Trotz aller Schutzmaßnahmen würden viele "Einflugschneisen" für das Virus übrig bleiben. So hätten Mitarbeiter Familien und es würden positiv getestete Patienten aus Kliniken aufgenommen. "Man kann nicht vermeiden, dass das Virus in die Einrichtung kommt", so Nicolaus.
Der Chef des Pflegeheims gibt zu, dass er "kein großer Freund" von Schnelltests ist, wie sie in anderen Heimen zum Einsatz kommen sollen. Diese seien nicht zuverlässig genug. "Wer haftet für ein falsches Testergebnis?", fragt er. Außerdem sieht Nicolaus die Gefahr, dass Besucher fernbleiben. Hinzu komme der große Aufwand. "Bei uns wird es keine Schnelltests geben", so Nicolaus. "Wir werden diesen Aufwand nicht betreiben."
Der Einrichtungsleiter lobt seine Mitarbeiter, die viel leisten würden. Zu diesem gehören auch Wohnbereichsleiterin Martina Horn und Aaron Elsdon, examinierter Altenpfleger. "Die vergangenen Wochen waren sehr anstrengend", sagt Elsdon. So gab es zusätzlichen Aufwand zum Beispiel durch Fiebermessen. "Und für jedes Zimmer musste die Kleidung gewechselt werden", ergänzt Horn. Zudem seien positiv getestete Kollegen ausgefallen. "Viele hatten keine Symptome und hätten gerne gearbeitet, durften aber nicht", so Horn. Die Mitarbeiter mussten auch Anfeindungen über sich ergehen lassen. Im Supermarkt sei man komisch angeschaut worden, so Elsdon.
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Hinzu kam noch die psychische Belastung durch die Todesfälle. Zum Glück hätten die meisten Bewohner nur milde Symptome gehabt – eine 105-Jährige zum Beispiel sogar gar keine. Martina Horn sieht auch positive "Nebenwirkungen": "Wir haben viel gelernt und es hat das Team zusammengeschweißt."



