Walldürn

Einst legendärer Bolzplatz hinter Gitter gesetzt

Der Bolzplatz mit Erinnerung an Silvia Neid wurde nun umzäunt. Das soll zum Schutz der Eigentümer und Jugendlichen sein.

27.08.2022 UPDATE: 27.08.2022 06:00 Uhr 5 Minuten, 56 Sekunden
Nur noch die verlassenen und heruntergekommenen Tore erinnern an den ehemaligen Bolzplatz in Walldürn. Er ist Sinnbild für die vergangenen Tage. Foto: Ann-Kathrin Frei

Walldürn. (ankf) Auf dem Bolzplatz hat schon lange niemand mehr gekickt. Verwahrloste Tore stehen zwischen meterhohem Gras. Der Zauber der Vergangenheit wird überdeckt von herumliegenden dreckigen Matratzen und leeren Bierflaschen. Es ist ein Platz, der eigentlich die Geschichte der Vergangenheit erzählen will. Damals war es ein Dreh- und Angelpunkt für Fußballfreunde. Willkommen war dort jeder, ob Profi oder Amateur – die Leidenschaft verband. Auf diesem Areal an der Dr.-August-Stumpf-Straße, versteckt hinter der ehemaligen Firma Heidelberger Spieleverlag, legte einst Nationalspielerin und Bundestrainerin Silvia Neid den Grundstein für ihre Karriere. Mittlerweile umrandet ein Zaun der anliegenden Firma das Gelände rund um den Platz. Der Grund dafür: Vandalismus, Zerstörung und Brandstiftung.

Der Zaun ist das Ergebnis von vielen letztlich gescheiterten Gesprächen, eine andere Lösung zu finden. "Keiner war böse oder hasst Kinder", so Petra Hofstetter, die Miteigentümerin des Grundstücks. Es ist ein Versuch, wieder Herr über die Lage zu werden und dafür Sorge zu tragen, dass niemand zu Schaden kommt. Die große Frage, die sich durch elf Jahre Bolzplatz zieht, war immer: "Wer übernimmt die Verantwortung?"

Von der Firma zur Partyhöhle

Zur Vorgeschichte: 2010 wurde das Grundstück – andere sagen dazu Ruine – vom Heidelberger Spieleverlag gekauft. Noch vor dem Einzug musste das gesamte Areal saniert werden. Im Inneren des Gebäudes fand man Überreste von vielen Partynächten, Farbaktionen und zerstörte Fenster. Nicht nur die Firma selbst, auch das Areal mit Bolzplatz wurde wieder in Stand gesetzt. Schon 2011 habe die Firma überlegt, ob man aus dem Bolzplatz einen Spielplatz mache. Hier kam es bereits zu Gesprächen mit der Stadt, wie Petra Hofstetter berichtete. Doch das große Problem hierbei: Die Firma kann nicht die Verantwortung für den Spielplatz übernehmen. Damit war entschieden: Der Bolzplatz bleibt.

Ruhe kehrte ein

Bis 2016 "waren dann auch alle zufrieden", so Hofstetter. Der Heidelberger Spieleverlag hatte rund 37 Mitarbeiter in Walldürn angestellt. Sobald reger Betrieb herrschte, war "vor Ort alles gut", bestätigt die Miteigentümerin. "Dann wurde unser größter Spielelieferant von dem Konzern ,Asmodee‘ aufgekauft." Kurz darauf übernahm der Konzernriese auch den Heidelberger Spieleverlag. Das Gebäude selbst blieb aber weiterhin im Besitz von Peter Gutbrod und Petra Hofstetter. "Wir wollten die Arbeitsplätze für die Mitarbeiter erhalten, versprochen wurden Standortsicherheit und Arbeitssicherheit." Aber die Eigentümer sollten sich täuschen. Die deutsche Tochter des französischen Konzerns vernachlässigte den Firmensitz in Walldürn mehr und mehr. Zwar behielten die Angestellten ihren Job, aber früher oder später "haben fast alle Mitarbeiter gekündigt".

"Probleme gab es zuhauf"

Danach kam, was kommen musste: Das Gebäude stand erneut leer, und die Probleme kamen wieder. Und "Probleme gab es zuhauf", wie Hofstetter berichtete. Auf dem Firmengelände wurde bereits zur Zeit, als dort noch das Bademodehaus Ari ansässig war, der Bau eines dritten Gebäudes geplant. Das Fundament dafür war bereits gelegt, weiter ging es aber nie. Jetzt befinden sich metertiefe Löcher in der Erde, Stahlstangen oder Betonsteine, die von der Natur verschlungen wurden und damit perfekte Stolperfallen sind. "Ich habe eigentlich nur darauf gewartet, dass sich jemand verletzt und wir dann schuld sind", sagt Petra Hofstetter.

Die beiden Eigentümer verwiesen daher mit einem Schild auf die Gefahr beim Betreten des Areals. Außerdem suchten sie das Gespräch mit den Jugendlichen. "Ich habe immer gesagt, dass sie bitte nicht zu nah am Gebäude sein sollen." Damit die Jugendlichen einen Anreiz hatten und von Randale abgelenkt wurden, "haben wir sogar extra Bänke und einen Tisch aufgestellt" – ein weiterer Versuch, für Sicherheit zu sorgen und ihr Gebäude zu schützen. Die Frage, die blieb, war aber: "Wer übernimmt die Verantwortung, wenn etwas passiert?"

Brandstiftung und Ruhestörung

Bis zum Zaunbau im Januar 2022 hatten unbekannte Randalierer mittlerweile "alle Rauchklappen eingetreten, Paletten angezündet und Wände besprayt". Auch zur Ruhestörung sei es regelmäßig gekommen. "Jedes Wochenende war ,Highlife‘", erinnert sich Hofstetter. Zwar wurde oft die Polizei gerufen, aber "bis jemand da war, waren alle schon weg". Das Areal mit dem Bolzplatz sei nicht einzusehen, daher sei man hinter dem Gebäude immer "etwas versteckt".

Dann fiel letztes Jahr der Entschluss: "Wir zäunen ein". Die Frage nach der Verantwortung ist geklärt. Die Nachbarschaft und die Firma Goldschmitt, die in der Zwischenzeit Teile des Gebäudes als Lagerräume gemietet hatte, waren froh. Die Sorge um weitere Zerstörungen des Gebäudes wurden weniger. "Bei der Zaunaktion haben wir zehn Jahre Grillgeschichte aufgesammelt", berichtet Petra Hofstetter der RNZ. Das Resultat waren zwölf Müllsäcke mit Altglas, Müll, Dreck, Autoreifen, Grüngut, "und sogar Rasenschnitt haben die Leute auf das Gelände abgeladen". Im Zuge der Arbeiten, so erzählt es Petra Hofstetter, kam es zu einem bizarren Erlebnis: "Es kam eine Frau vorbei, die gefragt hat, wer denn da die ,Berliner Mauer‘ bauen würde. Sie hätte noch so schöne Erinnerungen daran, wie ihre Kinder in der Halle Paintball gespielt hätten. Darauf erwiderte ich nur, dass ich noch die Erinnerung hätte, wie wir die Halle danach saniert haben."

Was trotz des Zauns erhalten bleibt, sind die Schleichwege. Petra Hofstetter denkt dabei vor allem an die Hundehalter in der Nachbarschaft. Außerdem komme man dadurch schneller und leichter zum Fußballplatz in der Dr.-Heinrich-Köhler-Straße. Für die Nachbarschaft sei es eine Erleichterung, denn durch den Erhalt des Schleichwegs habe man noch alle Vorteile, nur die Nachteile seien eben weg.

Verständnis für die Jugend

Petra Hofstetter zeigt Verständnis für die Jugendlichen: "Wenn einmal die Hemmschwelle durchbrochen ist, dann macht man da einfach auch mit." Beispielsweise führt sie an, dass – wenn zwei Scheiben bereits eingeschlagen seien – sich manch einer wohl leichter dazu überwindet, noch eine dritte einzuschlagen. "Schlimm ist nicht das Treffen, sondern die Randale", sagt sie. Gerade weil das Verständnis da war, fiel die Entscheidung zum Zaunbau erst so spät. Man habe stets versucht, eine andere Lösung zu finden. "Die Jugend muss ja irgendwohin. Sie brauchen einen Ort, wo sie unter sich sein können. Trotzdem braucht es aber eine gewisse Führung und Grenzen, sonst läuft alles aus dem Ruder." Petra Hofstetter ist die "richtige Dosis" wichtig. Ihr Versuch, das Gleichgewicht zu finden, ist aber gescheitert. Daher musste ein Zaun um das Areal, um sowohl die Eigentümer als auch die Jugendlichen zu schützen.

Endlich ein Ende in Sicht?

Seitdem die Umzäunung nun steht, sei alles gut. "Gott sei Dank", wie sie erleichtert feststellt. Man hätte den Platz auch der Stadt überlassen. Aber die Aufgabe der Sicherungen und die Instandsetzung seien ein Thema, deren Zuständigkeit schwierig in der Umsetzung sei. Sowohl die Firma als auch die Stadt konnten nicht die Verantwortung übernehmen. "Haftungstechnisch ist das ein Kopfschuss", ist sich Hofstetter sicher. Sie habe daher vollstes Verständnis dafür, dass sich die Stadt Walldürn nicht um den Platz kümmern könne. "Der Wunsch war und ist immer noch, dass dieser Platz der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird."

Petra Hofstetter könnte sich vorstellen, dass er für Einrichtungen, die die Stadt Walldürn bereichern, genutzt werden könnte. Auch das zurzeit leer stehende Bürogebäude biete sich dafür an. Hierbei denkt sie an integrative Einrichtungen für körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen, an Begegnungsstätten oder eben an Spielplätze. "Es ist einfach nur traurig, unnötig und dumm, dass wir diesen Platz absperren mussten." Eine andere Lösung habe Hofstetter aber nicht mehr gefunden. "In Kürze wird sich daran auch nichts ändern."

Im Gespräch mit Bürgermeister Markus Günther wurde deutlich, dass die Aufgabe der Haftung und der Verantwortung nicht in den Händen der Stadt liegen kann. Auch wenn Markus Günther auf diesem Platz als Jugendlicher an seiner, wie er zugab, "nicht gewesenen" Fußballkarriere gearbeitet hatte, waren die Gefahren zu groß, um den Bolzplatz weiter zugänglich zu halten. "Der Bau des Zauns war mit uns abgesprochen." Der Platz sei "zweckentfremdet" worden und durch den freien Zugang zum hinteren Areal war eine Kontrolle nicht möglich. Auch die Waldbrandgefahr sei ein hohes Risiko gewesen. Als Ausgleich gebe es den Platz an der Nibelungenhalle, welcher besser einsehbar sei und gepflegt werde.

Jürgen Flachs erinnert sich gerne an seine Zeit auf dem Bolzplatz. Damals gab es noch keine Handys, daher habe man sich auch nicht verabredet: "Wir sind einfach zum Platz gefahren und da war immer jemand da." Zurück ist man erst gefahren, als es dunkel wurde. Der Platz sei damals noch mit Kies und Splitt gewalzt gewesen. "Zum Leid unserer Eltern sind wir oft mit aufgeschürften Knien heimgekommen. Aber am nächsten Tag war man gleich wieder draußen."

„Es ist sehr schade, was aus dem Platz geworden ist“, bedauert Jürgen Flachs. Foto: Petra Hofstetter

Im Gespräch mit Dieter Streun, der in seiner Jugend ebenfalls ständig auf dem Bolzplatz anzutreffen war, wird deutlich, welch hohen Stellenwert er hatte. "Wir waren richtig viele Leute – bis zu 40. Wir haben oft mit acht Mannschaften gespielt", erinnert sich Streun. Mit den Bonanzarädern ging es nach der Schule direkt raus. "Damals hatte man noch den Bananensattel und den Fuchsschwanz am Rad", erzählt er lachend. Noch dazu erinnert er sich daran, dass Silvia Neid damals das einzige Mädchen auf dem Platz war. Dort habe sie Fußball gelernt, auch ihr Bruder sei dort gewesen und habe ebenfalls "sehr gut gekickt", weiß Dieter Streun.

Flachs und Streun erzählen im Gespräch mit der RNZ von vergangenen Tagen und halten mit ihren Erinnerungen die Legende vom alten Walldürner Bolzplatz am Leben. Und beide sind sich sicher: Er könnte bestimmt noch viel mehr Geschichten erzählen. Jetzt wartet der Platz aber verlassen hinter dem Zaun auf bessere Tage.

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