Walldürn-Altheim

Warum Landwirte so wenig Wertschätzung erfahren

Der Altheimer Siegfried Schmitt macht auf angespannte Lage der Landwirte aufmerksam. Preiskapriolen bedrohen Existenz der Höfe.

31.05.2022 UPDATE: 01.06.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 53 Sekunden
Siegfried Schmitt und seine Halbtagskraft Jennifer kümmern sich um die 60 Milchkühe des Bauernhofs in Altheim. Doch der Weiterbetrieb steht auf der Kippe. Foto: Janek Mayer

Altheim. (jam) "Der Kampf um die Ernährung der gesamten Menschheit ist vorbei. In den 1970er Jahren werden Hunderte von Millionen Menschen verhungern [...]" So schreibt es der deutsche Mediziner Paul Ehrlich 1968 in der Originalausgabe seines Bestsellers "Die Bevölkerungsbombe" und warnt in dieser düsteren Prophezeiung vom Untergang ganzer Länder – auch in Europa. Das Gegenteil trat ein: Heute ist die Rate der Menschen, die weltweit aufgrund von Hungersnöten sterben, so niedrig wie nie zuvor. Der Dank dafür gebührt Erfindern wie Fritz Haber, Carl Bosch und Norman Borlaug, aber auch Landwirten wie Siegfried Schmitt aus Altheim, die dafür sorgen, dass wir genug Essen auf dem Tisch haben. Also warum erfahren er und seine Kollegen so wenig Wertschätzung aus der Gesellschaft?

"Wenn ich mir eines aus dieser Krise erhoffe, dann, dass wir Landwirte wieder einen besseren Ruf bekommen", sagt Siegfried Schmitt im Gespräch mit der RNZ. Dabei ist das geringe Ansehen für seine Branche nur eine von vielen Baustellen, die dem Altheimer aktuell die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. "Die Kosten sind explodiert: für Dünger, für Pflanzenschutzmittel, für Diesel, sogar für Reparaturen und den Tierarzt", erklärt der Vollerwerbslandwirt, der zwei Halbtagskräfte beschäftigt, Ackerbau betreibt und 60 Milchkühe hält.

Wie lange er diese Familientradition noch fortsetzen kann, steht für Schmitt in den Sternen. Denn zumindest bei der Milchproduktion kann sein Betrieb die Kosten nicht mehr decken. "Ich bin am Überlegen, mein Milchvieh zum Jahresende aufzugeben", sagt der Altheimer. Einfach macht er sich diese Entscheidung nicht. Bei seinem Vertriebspartner Danone hatte er auf seine deutlich gestiegenen Preise für Futter und Energie hingewiesen. Doch die Molkerei habe abgewunken, sie beharre auf den Altverträgen. Schmitts Problem: Als Rohstofferzeuger steht er am Anfang der Handelskette und kann den Preis nirgends weitergeben. "Der Lebensmittelhandel macht Milliardengewinne auf unsere Kosten", ärgert sich der Landwirt. Immerhin ist der Altheimer nicht in einer Preisspirale, in der er immer weiter drauflegt, gefangen: "Mein Stall ist 25 Jahre alt und abbezahlt: Ich kann morgen aufhören."

Seine Felder will Siegfried Schmitt aber unter allen Umständen weiter bewirtschaften – trotz der vielen Unwägbarkeiten. Zwei Drittel seiner letzten Weizenernte hatte er zum Tagespreis und im Winter verkauft – für 180 bzw. 250 Euro pro Tonne. Für den Rest bekam er im Frühjahr – nachdem die russische Invasion den Getreidepreis durch die Decke getrieben hatte – 400 Euro pro Tonne. "Ich bin jetzt 40 Jahre Bauer. Und solche Preiskapriolen hat es noch nicht gegeben", betont der erfahrene Landwirt.

Doch selbst dieser doppelte Weizenpreis bedeutet für Landwirte nicht automatisch große Margen. "Gleichzeitig hat sich ja der Preis für Dünger verfünffacht", sagt Schmitt. Und bei Herbiziden und Fungiziden werden ebenfalls neue Rekordpreise erreicht. "Ich muss genau durchrechnen, was sich an Pflanzenschutzmitteln noch lohnt." Aufgrund der Versorgungsengpässe müssen deutsche Landwirte also in Betracht ziehen, in Zeiten hoher Rohstoffkosten vorübergehend schlechtere Ernten in Kauf zu nehmen. "Wenn die Düngemittelpreise so exorbitant hoch bleiben, werden wir das beim Ertrag extrem merken", prophezeit Schmitt.

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Kleinere Familienbetriebe haben dem Altheimer zufolge wenig Optionen, auf den Markt zu reagieren und ihre Produktion umzustellen. "Jeder Bauer sucht natürlich nach Möglichkeiten, weniger stickstoffintensive Pflanzen anzubauen", weiß Siegfried Schmitt. Er gibt allerdings zu bedenken, dass gerade kleinere Betriebe nur auf einen spezialisierten Maschinenpark zurückgreifen können. Außerdem geben zum Beispiel EU-Programme die fünfgliedrige Fruchtfolge exakt vor.

Kopfzerbrechen bereitet Schmitt vor allem die Ernte ab 2023. "Bei der jetzigen Ernte komme ich noch mit einem blauen Auge davon", schätzt er. Aber aktuell produziert er bereits mit höheren Kosten und muss zudem alles für das nächste Jahr vorstrecken. "Das ist mittlerweile wie ein Lotteriespiel", beschreibt er den volatilen Markt. Seine größte Sorge derzeit: "Der Weizenpreis kann jederzeit zusammenbrechen. Und das kann einem Familienbetrieb wie dem meinen das Genick brechen." Denn von Luft und Liebe könne kein Bauer leben, sagt Schmitt. "Wir reden hier über Sein oder Nicht-Sein", ergänzt der Altheimer. Als große Unbekannte bezeichnet Schmitt die Lage in der kriegsgeplagten Ukraine, in der noch mehrere Millionen Tonnen Getreide einlagern. Diese Ernte der Kornkammer Europas ist damit vom Weltmarkt abgeschnitten.

Eine Teilschuld an der Misere seines Berufsstands sieht der Altheimer bei der Bundesregierung um den Agrarminister Cem Özdemir. Den hatte zuvor bereits der Kreisbauernverbandsvorsitzende Albert Gramling kritisiert. Schmitt schlägt nun in die gleiche Kerbe: "Wenn die Lebensmittel noch teurer werden, weiß ich nicht, wie die Politik dem Verbraucher unsinnige Entscheidungen wie die Vier-Prozent-Regel erklären kann." Hintergrund: Die EU-Kommission hatte beschlossen, dass ab 2023 in ganz Europa auf mindestens vier Prozent der Ackerfläche nichts mehr wachsen soll. Die deutsche Regierung will von dieser Entscheidung nicht abrücken – trotz Ukrainekrieg und drohenden Hungersnöten in ärmeren Weltregionen.

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