Chance für das komplexe Ökosystem
Naurschützer plädieren für Sachlichkeit in der Wolfs-Debatte - Raubtier bringt Naturverjüngung und Nahrungsgrundlage für Aasfresser

Den Wolf nicht als Schafsmörder sehen sondern als Bestandteil der Natur, der innerhalb der Biodiversität eine Funktion erfüllt, raten Sprecher Odenwälder Naturschutzverbände. Diese Wolfs-Aufnahme entstand im Freigehege Bayerischer Nationalpark. Foto: Nabu/Andreas Kunz
Eberbach/Oberzent. Zur Rückkehr des Wolfs in den Odenwald haben die Naturschutzorganisationen Nabu-Kreisverband Odenwald und der Verein MUNA eine Mitteilung veröffentlicht. Darin sprechen sie sich dafür aus, das Wiederansiedeln dieses Beutegreifers als Chance für das komplexe regionale Ökosystem zu sehen und Betroffenen wie etwa Tierhaltern beim Einstellen auf die neue Situation zu helfen.
Das Auftauchen eines Wolfes im Odenwald nach über 150 Jahren bringt aufgrund fehlender Erfahrungen im Umgang mit diesem großen Beutegreifer einige Verunsicherungen und Ängste mit sich. "Gerade für Schaf- und Ziegenhalter bedeutet der nun erforderliche Aufwand zum Schutz ihrer Tiere eine Mehrbelastung an zusätzlichen Kosten und Zeit", erläutert Dirk Bernd, Vorsitzender des Vereins MUNA (Mensch, Umweltschutz, Natur- und Artenschutz).
Bernd besitzt selbst eine kleine Schafherde zur Landschaftspflege. "Wir sehen durchaus die Problematik in der Rückkehr des Wolfes als Beutegreifer in eine Region, die an den Umgang mit Raubtieren nicht gewohnt ist." so Martina Limprecht, Vorsitzende des Nabu-Kreisverbandes Odenwaldkreis.
"Gerade in dieser Situation halten wir einen sachlichen Austausch und gegenseitige Unterstützung für nötig." Ziel solle dabei sein, den Versuch der Natur, in ein Gleichgewicht zurückzufinden nicht durch eine emotional geführte Debatte zu gefährden.
Der Wolf sei natürlicher Teil des Ökosystems. Die Naturschützer plädieren dafür, die positive Rolle des Wolfs in den natürlichen Abläufen nicht außer Acht zu lassen. Danach haben Wölfe nicht nur einen quantitativen, sondern auch einen qualitativen Einfluss auf das Vorkommen ihrer Beutetiere, in der Regel Rehe, Wildschweine und Hirsche.
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Häufig haben Wölfe nur bei jungen noch unerfahrenen, alten, schwachen oder kranken Tieren Jagderfolg, meint Bernd. Damit entlasten Wölfe den Gesamtbestand und wirken dem Ausbreiten von Infektionskrankheiten bei ihren Beutetieren entgegen. Die Folge sei ein in seiner Gesamtheit vitalerer Wildbestand und ein im Gleichgewicht gehaltenes Ökosystem.
So trage der Wolf auch ganz nebenbei zu einer verbesserten Naturverjüngung des Waldes bei, die in vielen Bereichen nur noch möglich ist, wenn man den Jungwald einzäunt.
Ein weiterer Aspekt ist, dass im Gegensatz zum menschlichen Jäger, der ein erlegtes Tier immer aus dem Wald nimmt und keiner sonst davon profitieren kann, der Wolf meist nicht seine gesamte Beute auf einmal frisst, ergänzt Limprecht. Die verstreuten Kadaverteile bedeuten für viele Aasfresser eine lebenswichtige Nahrungsquelle und bilden somit für viele Organismen notwendige ökologische Nischen.
Mit der Anwesenheit des Wolfes werde das Nahrungsnetz größer, da die Nutznießer wiederum eine Nahrungsgrundlage für andere Tiere darstellen. Für Bernd und Limprecht ist klar: Der Wolf ist ein wichtiger Bestandteil der Biodiversität und er ist eine Tierart, zu deren Schutz sich die europäische Union und Deutschland entschlossen haben.
Seit Jahren bemühten sich Naturschutzverbände, wie der Nabu und MUNA, durch den Dialog mit Schäfern, ein möglichst konfliktarmes Miteinander von Wolf und Mensch möglich zu machen.
Das Gründen einer "schnellen Eingreiftruppe" des Nabu, die betroffene Schäfer beim Sichern ihrer Tiere unterstützen kann, habe gezeigt, dass ein Miteinander für den Wolf und die Interessen der Tierhalter möglich sei. Durch Informationsbroschüren wolle man Befürchtungen und Ängsten in der Bevölkerung begegnen und so zu einem sachlichen Umgang mit diesem Thema kommen.
"Wir setzen uns täglich Gefahren aus, ohne uns darüber auch nur Gedanken zu machen. Wir steigen ohne Zögern ins Auto, dabei ist die Gefahr relativ groß, in einen Unfall verwickelt zu werden. Wir sind als Fußgänger unterwegs, betreiben Freizeitsport und bewegen uns dabei ständig im erhöhten Unfallrisikobereich. Die Gefahr, die von einem Wolf ausgeht, ist im Vergleich dazu gleich Null," erläutert Bernd. Schon die Wahrscheinlichkeit, je einen Wolf in freier Natur zu Gesicht zu bekommen, sei sehr gering.
Keinesfalls solle man Wölfe füttern, da sie dann, wie Wildschweine, zutraulich werden können. "Wir wollen keine bettelnden Wölfe im Odenwald, die nach Futter suchen", so Limprecht weiter. Die Naturschützer verweisen darauf, dass seit der Rückkehr der Wölfe nach Deutschland (1998) kein Fall bekannt worden sei, in dem Wölfe aggressives Verhalten Menschen gegenüber zeigten.
"Wir sollten hier im Odenwald die Chance nutzen, die die Rückkehr des Wolfes mit sich bringt, und zeigen, dass wir gemeinsam in der Lage sind die Herausforderung zu meistern, und dass wir das Thema Artensterben und Biodiversität in ihrer ganzen Bandbreite ernst nehmen." so Limprecht.
Info: Martina Limprecht und Dirk Bernd sammeln Beobachtungen zu Wolfssichtungen im Odenwald. Entsprechende Beobachtungen aber auch Fragen zum Wolf kann man an die Artenschutzexperten der beiden Naturschutzvereine NABU sowie des Vereins Mensch, Umweltschutz, Natur- und Artenschutz richten unter der Telefonnummer 01 62 / 9 67 16 94 (Limprecht) und 0 62 54 /94 06 69 (Bernd).