RNZ-Sommertour

Hinter den Kulissen der Obrigheimer Kläranlage (Fotogalerie)

Die Leser lernten die Abwasser-Aufbereitung in Obrigheim kennen. 1000 Liter werden hier pro Sekunde wieder sauber.

03.08.2021 UPDATE: 04.08.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 7 Sekunden
Erste Station: Rechenmaschine. Hier werden alle Grobstoffe aus dem Wasser geholt.

Von Caspar Oesterreich

Obrigheim. Die Kläranlage hat Klaus Heiß schon immer sehr interessiert. "Als Obrigheimer laufe ich hier hin und wieder vorbei, hatte aber nie die Chance zu einer Besichtigung." Durch den Zaun aus der Ferne sehe man nicht sonderlich viel, "und erklären tut mir da auch niemand etwas." Heiß ist einer der ersten Besucher, der sich am Dienstagmorgen am großen Tor anmeldet und von Bertram ter Horst, dem Geschäftsführer des Abwasserzweckverbands (AZV) Elz-Neckar, zur RNZ-Sommertour begrüßt wird.

"Wir freuen uns schon, besondere Einblicke zu bekommen und hinter die Kulissen zu schauen", betonen ein paar Minuten später auch Monika und Peter Stoll aus Guttenbach. Die beiden sind gespannt: "Unser Abwasser aus Neckargerach wird ja zukünftig hier aufbereitet – das wollten wir uns einfach mal anschauen, verstehen, wie das funktioniert." Ter Horst grinst und antwortet prompt: "Rechen, filtern, pusten – keine große Sache", untertreibt er.

Artur Baumbusch und Bert Hergenröder kennen die Prozesse dagegen schon grob, besuchen nicht zum ersten Mal die Kläranlage in Obrigheim. "Das ist aber schon lange her, uns interessiert vor allem die moderne Technik, die mittlerweile hier zum Einsatz kommt", erzählen die zwei Senioren noch bevor ter Horst auch schon mit dem Rundgang beginnt.

Am Anfang steht Geschichte auf dem Sommertour-Plan: Als die Kläranlage in den 1970er-Jahren errichtet wurde, seien 90 Prozent der Kosten gefördert worden, berichtet ter Horst auf dem Weg zu der lauten Rechenmaschine, die als erste Station alle Grobstoffe aus dem Abwasser fischt. "Von den damaligen Fördermitteln profitiere ich quasi heute noch", macht der Verfahrensingenieur deutlich. Denn dank des vielen Geldes habe man damals ebenso großzügig wie weitsichtig geplant und gebaut; überall auf dem Gelände seien Möglichkeiten für Erweiterungen gelassen worden.

Auch interessant
Neckar-Odenwald-Kreis: RNZ-Sommertour startet in der Eberstadter Tropfsteinhöhle
RNZ-Sommertour: Faszinierende Unterwelt bei Eberstadt
Obrigheim: Wie Bakterien täglich 70 Millionen Liter Abwasser klären (plus Fotogalerie)

So auch in dem Betonbau, wo Rechenmaschine und Sandfang die erste Reinigungsstufe bilden. "Wir werden noch jeweils eine weitere Maschine anschaffen, um zweigleisig zu fahren und mehr Spielraum bei Ausfällen zu haben. Platz ist ja da", erläutert ter Horst und deutet auf zwei große Bodengitter, wo die neuen Maschinen einmal stehen sollen. Dank der vorausschauenden Planung der damaligen Architekten und Ingenieure habe er die Kapazitäten, das Abwasser zahlreicher Gemeinden in Obrigheim zu klären, macht der AZV-Geschäftsführer deutlich.

Ob denn der Kanal von Neckargerach nach Obrigheim schon verlegt sei, will Monika Stoll wissen. Was ter Horst verneint. "Und welche Größe soll das Rohr dann haben?", fragt Artur Baumbusch nach Details. Er kennt sich schließlich aus, hat der heute 81-Jährige doch bis 2002 im Mosbacher Bauamt gearbeitet und die letzten zehn Jahre vor dem Ruhestand alle Projekte rund ums Thema Wasser begleitet. Die Antwort – es sind 25 Zentimeter Durchmesser – erstaunt ihn dann aber doch. "So klein, und das reicht? Hätte ich jetzt nicht gedacht", sagt er verblüfft. Ter Horst nickt zuversichtlich. "Das reicht allemal", versichert er.

Hintergrund

> Das Abwasser wird von den einzelnen Pumpwerken zur Kläranlage gefördert. Hier findet zunächst eine mechanische Reinigung statt, bei der Grobstoffe und Sand aussortiert werden.

> In den Vorklärbecken setzt sich dann der Primärschlamm ab und wird direkt in den

[+] Lesen Sie mehr

> Das Abwasser wird von den einzelnen Pumpwerken zur Kläranlage gefördert. Hier findet zunächst eine mechanische Reinigung statt, bei der Grobstoffe und Sand aussortiert werden.

> In den Vorklärbecken setzt sich dann der Primärschlamm ab und wird direkt in den Faulbehälter befördert.

> Im Belebungsbecken folgt die biologische Reinigung. Hier kommen die unzähligen Mikroorganismen ins Spiel. Um die Phosphor-Elimination zu verstärken, werden sie durch wechselnde Bedingungen (belüftet/unbelüftet) angeregt. Im Ablauf zum Nachklärbecken findet zudem eine chemische Phosphor-Elimination statt.

> Im Nachklärbecken wird das Wasser vom Belebtschlamm befreit (dieser kommt zurück in das Belebungsbecken) und wird in den Neckar geleitet. Die verbleibenden Sekundär- und Tertiärschlämme werden zum Faulbehälter gepumpt, wo Biogas entsteht.

> Anschließend wird mit Pressen die Restmasse aus dem Faulbehälter entwässert. Das, was übrig bleibt, wird zur Wärmegewinnung verbrannt.

> Innerhalb der nächsten fünf Jahre will Bertram ter Horst die Anlage noch einmal erweitern, eine vierte Reinigungsstufe bauen. In ihr soll das Wasser dann von Medikamentenrückständen und Mikroplastik befreit werden. (cao)

[-] Weniger anzeigen

Ter Horst ist Pragmatiker, kennt die Anlage und das Kanalnetz aus dem Effeff und hat schon viele Erweiterungen initiiert. Wie man es sich eigentlich vorstellen würde, riecht es auf der Anlage keineswegs – weil ter Horst die stinkende Luft aus den Klärschlammpressen zurück ins Belebungsbecken leitet, in dem die Bakterien fleißig ihre Arbeit tun und das Wasser bei Sauerstoffzufuhr reinigen.

2015 ging unter seiner Regie auch die Faulungsanlage in Betrieb, ein paar Monate später folgte der Anschluss ans Blockheizkraftwerk. Rund 250 Kilowattstunden Strom und zusätzlich 360 kWh Wärmeenergie werden aus dem Biogas direkt im Klärwerk erzeugt, was 70 bis 80 Prozent des eigenen Energiebedarfs deckt. "Theoretisch wären auch 100 Prozent möglich", sagt ter Horst. Produziere er jedoch zu viel Strom, bekomme er bei der Einspeisung ins Netz nur zwei Cent pro Kilowattstunde. "Das rechnet sich dann nicht mehr", erklärt er.

Besonders beeindruckt die "RNZ-Sommertouristen" aber die moderne Technik, die den Betrieb der Kläranlage sicherstellt. Fast 10.000 Sensoren speisen das Kontrollprogramm ununterbrochen mit einer Flut aus Daten. Selbst aus den angeschlossenen Pumpwerken strömen sie in den Server im Verwaltungsgebäude in Obrigheim. Die ganzen Informationen kann ter Horst, der große Teile des Programms selbst geschrieben hat, auf jedem Rechner im Klärwerk mit nur ein paar Mausklicks visualisieren.

So zeigen Grafen und Kurven etwa Sauerstoffzufuhr und Fließgeschwindigkeiten in den Klärbecken an. Auch die Durchschnittstemperatur im Faulturm und die erzeugten Kilowattstunden werden gemessen. "Brauche ich mehr Strom, kann ich am Computer ,Gas geben’ und Fettschlamm zuführen. Der gibt mehr Energie", erklärt ter Horst. Und wenn die Presse für den Klärschlamm einmal voll ist, bekommt ein Mitarbeiter schlicht und einfach per SMS gemeldet, dass das Reservoir geleert werden muss. Eine der wenigen Arbeiten, die noch per Hand erledigt werden müssen.

Hintergrund

Berichte weiterer Sommertouren unter

www.rnz.de/sommertour

[+] Lesen Sie mehr

Berichte weiterer Sommertouren unter

www.rnz.de/sommertour

[-] Weniger anzeigen

Nur neun weitere Mitarbeiter kümmern sich gemeinsam mit Bertram ter Horst um den gesamten Betrieb der Anlage. "Das meiste läuft hier automatisch ab", sagt er. So werden ohne viel Zutun 1000 Liter Abwasser wieder sauber – und das jede Sekunde, 365 Tage im Jahr.

Klaus Heiß ist begeistert. "Ich hätte nicht gedacht, wie groß und komplex die Anlage ist. Das ist einfach der Wahnsinn", resümiert er und freut sich über die Einblicke, die er bei der RNZ-Sommertour gewinnen konnte.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.