Ein Auftrag an künftige Generationen
Gedenkfeier in Neckarzimmern anlässlich des 80. Jahrestages der Deportationen der badischen Juden nach Gurs.

Von Dorothea Damm
Neckarzimmern. "Gedenkstätten sind Orte der Erinnerung und der Begegnung" betonte Dr. Kathrin Hammerstein, die den entsprechenden Fachbereich in der Landeszentrale für politische Bildung leitet. Und diesen Zweck erfüllte das Mahnmal an der evangelische Jugendbildungsstätte Neckarzimmern anlässlich der zentralen Gedenkfeier am 80. Jahrestages der Deportationen der badischen Juden nach Gurs, zu der Jugendvertreter der evangelischen und der katholischen Kirche geladen hatten.
Die Anwesenheit der vielen Gäste, die es sich trotz der Einschränkungen durch die Pandemie nicht nehmen ließen, sei "sichtbares Zeichen, dass das Mahnmal in die Gegenwart hinein spricht", betonte Landesjugendpfarrer Dr. Jens Adam und hob damit ebenso wie die Landtagspräsidentin Muhterem Aras hervor, "welch großartige Arbeit an dieser Stelle geleistet wird". Gerade, dass die Mehrheit der Zwillingssteine, von denen jeweils einer in der Gemeinde der Deportierten aufgestellt ist und der andere den Davidstern am zentralen Gedenkort komplettiert, von Jugendlichen erstellt wurden, beeindruckte die Landtagspräsidentin. "Gedenken heißt, sich einzusetzen für eine offene und liberale Gesellschaft", sagte Aras.
Hintergrund
Weitere Artikel zum Thema:
https://www.rnz.de/gurs
Weitere Artikel zum Thema:
https://www.rnz.de/gurs
Da Landesrabbiner Moshe Flomenmann nicht anwesend sein konnte, wurde sein Grußwort von Jürgen Stude, der von Seiten der evangelischen Landeskirche das Gedenksteinprojekt leitet, verlesen. Der Rabbiner mahnte: "Gedenken allein reicht nicht aus" und forderte aktives Eingreifen gegen den aktuell wieder wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Dabei zog er eine Linie von den Deportation der badischen Juden vor 80 Jahren, die am jüdischen Laubhüttenfest stattfand, hin zu den aktuellen Anschlägen in Halle und Hamburg. Flomenmann forderte dazu auf, "die Stimme gegen Antisemitismus zu erheben, damit es selbstverständlich wird, dass Angehörige der jüdischen Gemeinden in Deutschland ohne Angst leben können".
Dass die Kirche damals geschwiegen habe, bekannte Landesbischof Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh. Zwar habe es einzelne Christen gegeben, die sich aktiv gegen den Hass eingesetzt hätten und an die man auch heute noch denken würde, doch seien es viel zu wenige gewesen. Umso wichtiger fand er, dass die Kirchen heute ganz anders agieren würden. Heute sei man froh über die gute Zusammenarbeit mit dem "großen Bruder", wie er die jüdischen Gemeinden nennt, und er betonte, dass die Kirchen jetzt aktiv Stellung gegen Antisemitismus und Rassismus beziehen würden. An einem solchen Gedenktag ginge es immer auch darum, den einzelnen Menschen die von Gott gegebene Würde wiederzugeben, die man ihnen habe rauben wollen. Daher würden kommende Woche die Namen der Deportierten am Jahrestag in den Gemeinden verlesen. Des Weiteren leitete er davon einen Auftrag an künftige Generationen ab.
Auch interessant
Weihbischof Dr. Peter Birkenhofer betonte, dass man sich heute bewusst sei, dass damals die gesamte Zivilgesellschaft – auch die Kirchen – versagt hätten. Für ihn bedeute das Gedenken an das Schicksal einzelner Menschen immer auch, dass man ein Licht in die Dunkelheit brächte, das gegen das Vergessen leuchte. Er sprach dabei nicht von der Erinnerung, sondern holte die Geschichte auch durch den Begriff der "Vergegenwärtigung" ganz aktiv in das Hier und Jetzt. "Durch das Gedenken wird nicht die Vergangenheit geheilt, aber es führt zu einer proaktiven Haltung für Toleranz", so Birkenhofer, der angelehnt an die Worte von Papst Franziskus mit "niemals mehr" seinen Beitrag schloss.
Das musikalische Rahmenprogramm, bestritt allein Harald Schnabel mit seiner Klarinette. Dass es bei einem Mahnmal auch um den künstlerischen Aspekt geht, wurde deutlich, als vor dem Ende der Gedenkfeier drei neue Zwillingssteine vorgestellt wurden – von Vertreter der Gemeinden Muggensturm, Merchingen und Nussloch.
Wieder hatten Jugendliche oder sogar die ganze Gemeinde über die Gestaltung ihres Zwillingssteines nachgedacht und die Geschichte der früheren Nachbarn, die aus ihrer Heimat und ihrem bisherigen Leben gerissen worden waren, erforscht. Beeindruckend sei das gewesen, betonte eine Konfirmandin. Wenig jünger als sie jetzt war vor 80 Jahren Dr. Kurt Salomon Maier, einer der letzten Überlebenden, der damals mit zehn Jahren nach Gurs deportiert wurde. Er wäre bei der Gedenkfeier gern dabei gewesen, sagte er in seinem Grußwort, das er an seine "lieben Freunde" richtete von Michael Miltenberger, Jugendreferent der Erzdiözese Freiburg, verlesen wurde.
Sein Bericht brachte die menschliche Seite des sich am 22. Oktober zum 80. Mal jährenden Verbrechens gegen die Menschlichkeit ganz nah. Im nächsten Jahr freue er sich darauf, wieder dabei zu sein. Maier setzt sich seit Jahren dafür ein, dass die Erinnerungen wach bleiben und liefert eben jene Berichte, die dem Erinnern ein Gesicht geben, die aus Zahlen Namen machen und die Geschichte zum Leben erwecken.
Dass Oberkirchenrat Dr. Wolfgang Schmidt abschließend einen Psalm aus einer deutschen Übersetzung des Tanach las, zeigte, wie gut die interkonfessionelle Zusammenarbeit heute funktioniert. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist und dass Erinnerung auch ein Auftrag für die Zukunft ist, wird nicht vergessen, denn dafür gibt es ein Mahnmal, Gedenkstunden und viele gemeinsame Begegnungen und Projekte – und vor allem Menschen, die sich aktiv dafür einsetzen.



