Neckar-Odenwald-Kreis

Trotz Corona-Stau bleibt die Tür geschlossen

Ist ein Heimbewohner am Coronavirus erkrankt, wird auch heute noch eine strenge Quarantäne angeordnet. Selbst Therapeuten dürfen nicht rein.

22.05.2022 UPDATE: 23.05.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 18 Sekunden
Auf einen Logopädieplatz warten Kinder zum Teil aktuell neun Monate, auf der anderen Seite werden Termine nicht abgesagt. Foto: zg

Von Stephanie Kern

Neckar-Odenwald-Kreis. Die Corona-Pandemie hat einige Schwächen offengelegt: Die digitale Ausstattung an Schulen reichte im ersten Lockdown nicht für richtiges Homeschooling. Menschen in Pflege- und Altenheimen verbrachten das Weihnachtsfest alleine. Wenn das Coronavirus in einer Einrichtung grassierte, waren sie sogar in vollständiger Isolation. Diese Menschen feierten Geburtstag und Ostern via Skype oder sahen ihre Familie durchs Fenster.

Auch im Bereich Therapie hat das Virus Grenzen aufgezeigt. Das bedeutete im ersten Lockdown Kurzarbeit für Logopäden, Physiotherapeuten und auch Ergotherapeuten. Es bedeutet bis heute einen großen Therapiestau. Christian Pink führt eine große logopädische Praxis in Mosbach und Buchen. Bei Logopädie mag man vielleicht erst an Kinder denken, aber rund 50 Prozent von Pinks Patienten sind Senioren bzw. Pflegebedürftige. Zunehmend ist die logopädische Therapie bei älteren Menschen nach einem Schlaganfall oder bei Demenz gefragt, aber auch andere neurologische Erkrankungen können Logopädie erforderlich machen.

Viele der Patienten der Praxis Pink leben in den verschiedenen Heimen im Mittelbereich Mosbach und zum Teil auch darüber hinaus. "Aglasterhausen, Michelbach, Hüffenhardt, Neunkirchen, Limbach, Waldhausen, Billigheim – wir haben ein großes Einzugsgebiet", erzählt Christian Pink.

Was ihn ärgert: wenn er oder seine Angestellten die zum Teil weiten Fahrtwege auf sich nehmen und dann vor verschlossener Tür stehen. Denn immer noch schließen manche Einrichtungen ihre Türen für Externe, wenn ein oder mehrere Bewohner an Corona erkrankt sind. Die Therapeuten werden meistens nicht benachrichtigt. "Denn die Heime sind nicht unsere Vertragspartner", sagt Pink.

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Eigentlich müssten die Angehörigen einen Behandlungstermin absagen – aber die bekommen meist selbst erst durch den Anruf der Logopäden mit, dass das Heim überhaupt geschlossen ist. Eine Ausfallrechnung führt meist zu erstaunten bis erbosten Anrufen. "Wir bezahlen aber Angestellte, bezahlen die Fahrt – und haben dann keine Einnahmen. Wenn uns dann die Tür vor der Nase zugeknallt wird, war die Fahrt umsonst."

Üppig vergütet werden die Hausbesuche übrigens nicht: 19,73 Euro gibt es dafür von der Krankenkasse. "Eine Richtlinie, wie weit man fahren und wie viele Hausbesuche man machen soll, gibt es nicht", erklärt Pink. Die Zumutbarkeit legt der Therapeut fest. "Würden meine Angestellten und ich aktuell die Warteliste in den Praxen abarbeiten und die Pflegeheime, die uns komplett den Zugang verwehren – es sind nicht alle –, außen vor lassen, würden wir wirtschaftlicher arbeiten. Dies entspricht aber nicht unserem Umgang mit unseren Patienten. Zum anderen haben alle Niedergelassenen mit den Krankenkassen einen Rahmenvertrag geschlossen, der Hausbesuche einschließt."

Auch andere Therapeuten, Physio- und Ergotherapeuten, sind davon betroffen. "Ich spreche hier nur für meine Praxen in Mosbach und in Buchen, weiß aber, dass es zum Rückgang bzw. zum völligen Ausbleiben von Therapien gekommen ist und das auch noch anhält."

Etwa 250 Kilometer fährt alleine Pink in der Woche für die Hausbesuche. Auch weitere Angestellte sind mit dem Pkw unterwegs. Pink: "Die Therapie ist wichtig, das Dranbleiben ist wichtig." Denn vor Ort könne man das Pflegepersonal mit einbinden. "Und nur therapeutische Konstanz führt zu einer Stabilisierung", sagt Pink. Ansonsten drohe sich der Zustand zu verschlechtern. "Wir haben Patienten, die kommen schon seit Jahren zu uns. Eine Pause von sechs bis acht Wochen bedeutet oft deutliche Rückschritte."

Pink weiß, wovon er spricht: Seit 23 Jahren arbeitet er als Logopäde, seine Frau ist seit 15 Jahren dabei. "Es gibt einen Wahnsinnsbedarf", ist er überzeugt. Neben dem Corona-Stau gebe es nämlich auch Corona-Defizite (vor allem bei Kindern), die aufgearbeitet werden müssen. "Ein Kind wartet im Moment manchmal bis zu neun Monate auf einen Therapieplatz", weiß Pink. Was die verschlossenen Heimtüren umso ärgerlicher macht: Andere könnten in dieser Zeit ihre dringend notwendige Behandlung erhalten. Die Schwächen, die die Corona-Pandemie offengelegt hat, sind bei Weitem noch nicht abgearbeitet ...

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