Mosbach

Wirte wehren sich gegen Vorwürfe zu unfairen Arbeitsbedingungen

Sie würden gerne mehr zahlen - nur wovon? Gastronomen beziehen Stellung zu Vorwürfen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

14.07.2021 UPDATE: 15.07.2021 06:00 Uhr 3 Minuten, 59 Sekunden
Gut zu tun haben die Mitarbeiter der Gastronomiebetriebe in der Region (wie hier die Köche im Mosbacher Brauhaus) nach der langen Corona-Zwangspause inzwischen wieder. Über die allgemeine Situation gibt es mit Blick auf Arbeitsverhältnisse und -zeiten nun durchaus kontroverse Diskussionen zwischen Gewerkschaft und Gastronomen. Foto: Heiko Schattauer

Von Noemi Girgla

Mosbach. Inzwischen läuft das Geschäft in der Gastronomie wieder gut, darin sind sich Bernadette Martini (Hotel und Restaurant Lamm), Klaus Reger (Ludwig) und Tanja Littig (Hotel Restaurant zum Amtsstüble) einig. Die drei Gastronomen haben etwas geschafft, das während der Krise gerade außerhalb Mosbachs nicht allen gelungen ist: Sie konnten ihr gesamtes Personal halten.

Innerhalb von zwölf Monaten sollen 14 Prozent der Beschäftigten im Neckar-Odenwald-Kreis die Gastronomie verlassen haben – das eröffnete die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Region Heilbronn kürzlich in einer Pressemitteilung. Verantwortlich dafür macht sie, dass "schon vor Corona das Gastgewerbe nicht gerade für rosige Arbeitsbedingungen stand". Die Rede ist von unbezahlten Überstunden, einem rauen Umgangston und einer hohen Abbruchquote unter Azubis. Die Unternehmen hätten es über Jahre versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. Wer künftig überhaupt noch Fachleute gewinnen wolle, müsse jetzt umdenken und sich "zu armutsfesten Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen" bekennen. Dazu seien Tarifverträge unverzichtbar.

Harsche Worte, die Martini, Littig und Reger nach den Monaten der Schließung als einen Schlag ins Gesicht empfinden. "Das klingt ja, als hätten wir gar keine Tarifverträge", empört sich Martini. "Wir haben schon lange einen, der regelmäßig mit der NGG neu verhandelt wird." Auch zu den andren Vorwürfen beziehen die Mosbacher Gastronomen Stellung. "In der Gastronomie haben wir die Pflicht, die Arbeitszeiten unserer Mitarbeiter genau zu erfassen. Wir haben gar nicht die Möglichkeit, Stunden unter den Tisch fallen zu lassen", berichtet die Geschäftsführerin des Lamms und stellvertretende Dehoga-Kreisvorsitzende. "Vor 20 Jahren war das vielleicht so, aber inzwischen hat sich viel getan", fügt sie hinzu.

Klaus Reger ist gelernter Koch und seit 30 Jahren in dem Beruf tätig. Lange hat er auch ausgebildet. "Ich habe jeden gefragt, ob es wisse, worauf er sich da einlasse. Koch ist ein wunderschöner Beruf, aber eben auch ein Knochenjob. Wenn andere feiern, dann arbeiten wir", meint er. Betriebe sollten das Personal nicht erneut durch prekäre Löhne und schlechte Arbeitszeiten verprellen, schrieb die NGG. Ebenso: "Auch Servicekräfte haben ein Recht darauf, vor dem Dienst zu wissen, wann Feierabend ist."

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Die ewige Diskussion um die Arbeitszeiten versteht Tanja Littig nicht: "Das ist in vielen Berufen so. Ob bei der Polizei, Feuerwehr oder im medizinischen Sektor. Wir müssen eben da sein, wenn andere frei haben. Das bedeutet aber nicht, dass wir mehr arbeiten. Jeder hat seine beiden freien Tage in der Woche und arbeitet in der Regel acht Stunden am Tag."

Martini führt an: "Wir sind eine Dienstleistungsbranche, unsere Gäste erwarten von uns Flexibilität. Nichtsdestotrotz haben wir im Restaurant bereits vor längerer Zeit feste Öffnungszeiten eingeführt, sodass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tatsächlich Planungssicherheit haben, was den Feierabend betrifft. Dies trifft aber leider nicht selten auf Unverständnis bei Gästen. Bei Feierlichkeiten sind feste Schließzeiten natürlich nicht machbar. Hier möchte aber auch das Servicepersonal über die allgemeine Öffnungszeit hinaus für die Gäste da sein." Des Weiteren seien Schichten an Sonn- und an Feiertagen sehr beliebt. Es lockten ja auch steuerfreie Zuschläge.

Und noch etwas führt sie ins Feld: "Dass die Abwanderung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Auswirkung des langen Lockdowns darstellt, ist offenkundig und lässt sich allein schon dadurch belegen, dass die Beschäftigungsentwicklung in der Branche bis zur Coronakrise seit Jahren sehr positiv war: So stieg die Zahl der Sozialversicherungspflichtigen im baden-württembergischen Gastgewerbe seit 2010 von rund 102.000 auf 137.000 im Jahr 2019, was – anders als von der NGG behauptet – eben auch für die Attraktivität der Branche als Arbeitgeber spricht."

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Löhne in der Gastronomie im Vergleich zu anderen Branchen gering sind. Gerne würden alle drei ihren Mitarbeitern mehr zahlen – sie wissen nur nicht wovon. "In den letzten zehn Jahren ist die Gastronomie ordentlich gebeutelt worden", berichtet Littig. Immer mehr Auflagen seien hinzugekommen, immer mehr Bürokratie, Schulungen und Neuanschaffungen belasten die Wirte. "Die Kosten für unsere Lieferanten sind massiv gestiegen, Kaffee wird immer teurer, und dann ist die Wäsche noch nicht gemacht." In Regers Augen sind die Kosten unüberschaubar, manches habe sich verdoppelt. Die Menschen müssten sich klarmachen, was alles hinter der Gastronomie stecke. Das sei vielen nicht bewusst – wie auch?

Den Vorschlag der NGG, die Preise um ein paar Cent anzuheben, um dem Personal mehr zahlen zu können, hält Martini für "einen Tropfen auf dem heißen Stein". Allein um die Sonn- und Feiertagszuschläge auszugleichen, müsste man eigentlich an diesen Tagen um fünf Euro erhöhen. Das sei aber nicht möglich. Und Littig führt an: "Wenn man am Wochenende einen Handwerker ruft, kostet das um einiges mehr als unter der Woche. Letztlich sind auch Köche Handwerker – wir können das Geld aber nicht einfach auf die Gäste umlegen und am Wochenende mehr verlangen." Dass die Gäste für eine Preiserhöhung nach Corona Verständnis hätten, wie die NGG schreibt, sehen die drei skeptisch.

Was alle drei jedoch wirklich für eine Perspektive halten, um den Lohn der Angestellten aufstocken zu können, wäre, wenn die Politik die Mehrwertsteuer auf Speisen und nichtalkoholische Getränke dauerhaft auf sieben Prozent senken würde. Momentan gilt das bis Ende 2022 lediglich für Speisen. "Dieses Geld könnten wir zum Teil an unser Personal weitergeben", schlägt Martini vor.

Mit Sorge blicken alle drei in die Zukunft. Immer weniger junge Leute entscheiden sich für eine Ausbildung in der Gastronomie. "Das ist aber ein grundsätzliches Problem, der Trend geht zum Studium", meint Littig, die Vorsitzende der Dehoga-Fachgruppe Ausbildung im Kreis ist. Hinzu komme: Konnte man Bewerbern bislang einen lebenslang sicheren Arbeitsplatz versichern, sehe das nun ganz anders aus. Es brauche eine klare Perspektive vonseiten der Politik, um wieder Azubis gewinnen zu können. Und zwar die, dass die Gastronomie nicht erneut geschlossen werde und dauerhaft wirtschaftlich arbeiten könne.

Natürlich gebe es auch unter Wirten schwarze Schafe, die ihr Personal nicht gut behandeln, räumen alle ein. Aber das sei nicht die Regel. "Wir waren während des Lockdowns beständig mit unserem Personal in Kontakt und haben ihm die Möglichkeit gegeben, etwas zum Kurzarbeitergeld dazuzuverdienen. Niemand war gezwungen, voll in Kurzarbeit zu gehen, auch wenn sich das für uns nicht rentiert hat", ist unisono zu vernehmen. Martini bringt es auf den Punkt: "Unsere Angestellten sind nicht auf uns angewiesen – wir sind auf sie angewiesen. Und deshalb behandeln wir sie gut und fair."

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