Meinungen zur Stadtbahn Nord: "Das System funktioniert nicht!"
365 Tage im Einsatz: Eine erste Stadtbahnbilanz fällt gemischt aus

Neckar-Odenwald-Kreis. (bma) In 365 Betriebstagen haben sich viele eine Meinung über die Stadtbahn gebildet. Die RNZ hat die Einschätzung von Menschen eingeholt, die sich in der Vergangenheit - mal mehr, mal weniger - mit der Stadtbahn auseinandersetzen mussten.
Verkehrsminister Winfried Hermann: "Eine deutliche Leistungsausweitung um 77 Prozent und die Schaffung einer umsteigefreien Verbindung nach Heilbronn machen die Stadtbahn für viele neue Pendler wie auch Stammkunden attraktiv. Nach Anfangsschwierigkeiten läuft die Stadtbahn mittlerweile weitestgehend rund. Das Land Baden-Württemberg hat sich im Zuständigkeitsbereich darum gekümmert, das Angebot an Zügen zu erweitern und die Anschlusszeiten zu optimieren. Außerdem wurden am Morgen zusätzliche durchgehende Verbindungen nach Stuttgart geschaffen, die von allen Pendlern gewünscht waren. Das heißt, ab Neckar᠆elz fährt um 6.16 Uhr, 6.52 Uhr und 7.52 Uhr eine Bahn. Auch möglichen Verspätungen konnte mit einem Zeitpuffer vorgebeugt werden. Die Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg hat sich hier positiv eingebracht. Zukünftig wird mit der Inbetriebnahme des Netzes Eins (Juni 2019) die durchgängige Verbindung von Stuttgart nach Neckarelz am Nachmittag geschaffen, der Umstieg in Bad Friedrichshall wird am gleichen Bahnsteig möglich sein".
AVG-Geschäftsführer Ascan Egerer: "Nach einem schwierigen Start bin ich sehr zufrieden mit der Entwicklung unserer beiden neuen Strecken in Heilbronn-Nord. Wir konnten mit unseren Kooperationspartnern die meisten Probleme lösen, die aufgrund der Komplexität dieses Zwei-System-Verkehrs, inklusive der Integration in den überregionalen Bahnverkehr, entstanden sind. Für die aufgebrachte Geduld möchte ich mich bei den Fahrgästen bedanken. Wir werden intensiv an Optimierungen arbeiten und setzen zum Fahrplanwechsel einige Verbesserungen um."
Teilnetzmanager DB Regio Baden-Württemberg, Marco Stoll: "Wir haben uns eng mit der AVG und der NVBW abgestimmt und Lösungen entwickelt: So kann morgens eine Regionalbahn in Neckarsulm bis zu vier Minuten länger auf die Züge der AVG warten, nachmittags fahren zwei Regionalbahnen bis Bad Friedrichshall, wo ein deutlich längerer Umstieg auf die AVG möglich ist. Diese Maßnahmen haben die Situation weitgehend verbessert".
Landrat Dr. Achim Brötel: "Irgendwie habe ich den Eindruck, dass die Einführung der Stadtbahn von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Zuerst die Verzögerungen im Vorfeld, dann der alles andere als reibungslose Start, bis hin zu weiteren Problemen. Natürlich versucht jeder, im Vorfeld Fehlerquellen zu minimieren. Trotzdem braucht manches seine Zeit. Immer wieder haben sich Fahrgäste mit Beschwerden, aber auch mit konkreten Anregungen an uns gewandt. Dafür bin ich sehr dankbar. Allen diesen Hinweisen sind wir nachgegangen. Der eingerichtete Arbeitskreis hat Verbesserungen in zahlreichen Punkten erreicht. Jetzt muss es darum gehen, dass daraus ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess wird. Wir sollten die Dinge nicht permanent schlecht reden, sondern gemeinsam konsequent daran arbeiten, dass die Stadtbahn zu einem Erfolgsmodell wird".
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SPD-Landtagsabgeordneter Georg Nelius: "Auch wenn ich in dieser Woche die Unzulänglichkeiten des ÖPNV hautnah ’erleben’ durfte, glaube ich, dass das Stadtbahnprojekt die pubertäre Phase verlassen hat. Dazu beigetragen haben sicher die Beschwerden der Nutzer, aber auch die vielen Gespräche mit der NVBW, der Bahn und der AVG. Politisches Ziel muss es sein, mehr durchgängige Verbindungen von Mosbach nach Stuttgart und zurück, vor allem auch am Spätnachmittag sowie in den Abendstunden, zu erreichen".
Oberbürgermeister Michael Jann: "Die Stadtbahn hat sich als gutes Verkehrsmittel im Nahverkehr entwickelt. Nach den anfänglichen Problemen ist das System deutlich stabiler geworden. Aus Mosbacher Sicht ist die umsteigefreie Fahrtmöglichkeit zu den Nachbarorten Neckarzimmern, Haßmersheim, und nach Heilbronn hervorzuheben. Auch die regelmäßige Anbindung aller Regionalexpresszüge an das Stadtzentrum durch die Pendelfahrten zwischen Mosbach und Neckarelz ist positiv zu bewerten. Leider nicht befriedigend ist die Situation für die Fernpendler nach Stuttgart. Das liegt weniger an der Stadtbahn selbst, als an der Baustelle für Stuttgart 21 und den dadurch verspäteten Zügen zwischen Stuttgart und Heilbronn bzw. Neckarsulm. Aus Fernpendlersicht fehlen umsteigefreie Verbindungen nach Stuttgart, was wir gegenüber dem Land nicht nachlassen zu betonen".
Pendlerin Gabi Wülk: "Die Situation hat sich nach der Einführung nur verschlechtert, es gibt fast keine durchgehenden Verbindungen mehr nach Stuttgart und zurück. Der Sitzkomfort in der Stadtbahn ist überhaupt nicht rückenfreundlich. Es ist Stress genug, dass man bis Bad Friedrichshall immer zittert - erreiche ich die Stadtbahn nach Neckarelz oder nicht? Dass aber zunehmend die Züge ab Neckarelz von der DB Regio morgens ausfallen, potenziert das Ganze. Ehrlich gesagt, ist die Stadtbahn mit all’ den Folgeerscheinungen eine Katastrophe. Von verlässlichem öffentlichen Personennahverkehr kann keine Rede mehr sein. Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Arbeiten DB Regio und die Stadtbahn etwa zusammen, um die Strecke Neckarelz / Stuttgart auszuhungern?"
Pendlerin Gabriele Kappe: "Mein Leben hat sich seit der Einführung der Stadtbahn auf die Schiene bzw. auf den Bahnsteig verlegt. Das System und die viel gerühmten Umsteigezeiten funktionieren nicht! Durch die Umstellung, welche auch die derzeitige Landesregierung mitverantwortet, wurden viele Pendler von der Bahn auf die Straße verdrängt. Ich zahle schon sehr viel Geld für das Jahresticket. Nun soll ich mir noch zusätzlich ein Auto kaufen, nur um halbwegs pünktlich nach Stuttgart zu kommen? Der Neckar-Odenwald-Kreis kann einpacken, wenn der Pendlerverkehr nach Ludwigsburg oder Stuttgart so aufgestellt bleibt, wie dies der Fall ist. Ich freue mich für die ,Audianer’, für diese brachte die Stadtbahn Verbesserungen, die anderen Pendler wurden von den Verantwortlichen vergessen".
Pendler Sven Reger: "Ich habe als Audi-Mitarbeiter mit der Stadtbahn sehr positive Erfahrungen gemacht. Die Zuverlässigkeit ist bei der Stadtbahn höher als bei der Deutschen Bahn. Wenn man nicht umsteigen muss, dann ist eine kleine Verspätung nicht tragisch. Durch die Stadtbahn erspare ich mir den Stress auf dem Weg zur Arbeit. Ich wünsche mir, dass die App der AVG endlich funktioniert, damit ich Verspätungen und vereinzelte Zugausfälle besser einplanen kann."

Sven Reger



