Das steckt hinter dem Spuk um Bartholomäus Marsch und die Kalte Klinge
Die Sagen haben einen wahren Kern - Viele Versionen, kein positives Licht

Von Noemi Girgla
Neckargerach. Jede Sage hat einen wahren Kern, so heißt es. Und wenn man ein bisschen nach diesem sucht, stößt man mit etwas Glück auch auf ihn. Von der Legende, die sich in Neckargerach um Bartholomäus Marsch ranken, gibt es mehrere Versionen. Keine davon rückt ihn in ein positives Licht. Dennoch ist die "Kalte Klinge" zwischen Neckargerach und Reichenbuch auch als "Barthelmarsch-Klinge" bekannt und wird auf alten Karten so bezeichnet.
Esther Maria Fauß ist seit April Pfarrerin in Neckargerach. Als sie mit ihrer Familie in die Neckargemeinde zog, befand sich Deutschland bereits im Lockdown. So unternahmen sie erst einmal Ausflüge in die Umgebung, um ihre neue Heimat kennenzulernen. Auch die Kalte Klinge durchwanderte die Familie. "Erst danach erfuhr ich von der Geschichte, die sich um die Klinge rankt", erzählt die Pfarrerin. Es sei spannend gewesen, das Gelesene mit dem realen Ort in Verbindung bringen zu können.

Dort soll der Legende nach der "Barthelmarsch" sein Unwesen als Wilderer getrieben haben, schrieb die Neckargeracher Heimatdichterin Bertl Herbold in den 1960er-Jahren nieder. "Eines Tages sei Marsch von einem Förster überrascht worden", berichtet Fauß von der Sage. "Dieser ließ ihn zwar am Leben, verfluchte ihn aber für ,das gräuliche Morden am Wild’, auf dass sein Geist keine Ruhe fände und in dem Felssteig wandeln müsse." Seither soll der Barthelmarsch in der Klinge spuken – daher der Name. "In der Advents- und Fastnachtszeit heißt es, begegne dieser Geist dort mitternächtlichen Wanderern und setze sich auf ihr Gepäck, das daraufhin so schwer werden soll, dass man es kaum noch anheben kann", schließt Fauß die Erzählung.
Bernd Schulz kennt eine andere Version der Geschichte, die Ernst Brauch einst in "Binau Kleinod am Neckar" veröffentlichte. Hier wird Marsch nicht der Wilderei, sondern der Erbschleicherei bezichtigt, soll aber ebenfalls keine Ruhe gefunden haben. Die Neckargeracher wollen ihn nach seinem Tod noch am Fenster seines Hauses gesehen haben. "Um den bösen Geist zu bannen, ließ man sein Haus (...) auskehren und vergrub den Kehricht unter Bannsprüchen in einer Klinge, die seitdem ,Bartelmarschklinge’ heißt", steht es bei Brauch geschrieben.
Auch interessant
Bernd Schulz gehört dem VHS-Arbeitskreis Genealogie und Heraldik Mosbach an. Nach einiger Recherche stieß er auf die historische Person hinter den Legenden. "Irgendwas muss an dieser Familie drangewesen sein", bemerkt Schulz. Denn die "unschönen" Berichte über die Sippe des Joannes Bartholomäus Marsch, der von 1707 bis 1715 in Wirklichkeit Schultheiß (Gemeindevorsteher) in Neckargerach war, enden nicht mit dessen Tod im Jahr 1728.
"Ich bekam vor einiger Zeit eine Suchanfrage nach einer Margaretha Bienemann, geboren um 1745 in Neckargerach", erläutert Schulz, wie er auf die Familie stieß. "Der Geburtseintrag war schnell gefunden, jedoch ungewöhnlich", erzählt er weiter. Regelrecht eingequetscht und an falscher Stelle im Kirchenbuch sei der Eintrag getätigt worden. Warum dies geschah, wird durch eine Notiz des damaligen Pfarrers deutlich. "Er schrieb ,proles incestuosa’, das ,befleckte’ Kind, neben den Namen. Das bedeutet, dass Margaretha in Inzucht gezeugt worden war. Um herauszufinden, wer ihr Vater war, suchte ich nun nach allen in Frage kommenden männlichen Verwandten." So stieß Schulz auf die Familie Marsch.
"Margaretha war die Enkelin des durch die Sage bekannten Schultheiß Joannes Bartholomäus Marsch. Genauer gesagt, die Tochter seiner Tochter, der Witwe Elisabetha Bienemann. Da er zum Zeitpunkt von Margarethas Zeugung jedoch schon tot war, kommt als Kindsvater nur einer seiner beiden Söhne in Betracht", erläutert der Genealoge. Auch der in der ersten Sage benannte Förster könnte auf eine reale Person zurückzuführen sein. "Margarethas Patenonkel war nämlich der Lohrbacher Förster Daniel Kühner. Das kann allerdings auch ein Zufall sein", räumt Schulz ein. Soweit die historisch fassbaren Dokumente. "Der Rest bleibt Spekulation und lässt sich heute nicht mehr greifen", stellt der Ahnenforscher klar. Aber: "Joannes Bartholomäus Marsch genoss ganz offensichtlich keinen guten Ruf, darin stimmen die Erzählungen überein."
Dass er dennoch ein wichtiges Amt innehatte, ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass Schultheiße im 18. Jahrhundert nicht gewählt, sondern von den jeweiligen Gebietsherren ernannt wurden. Sie fungierten meist auch als Richter der niederen Gerichtsbarkeit. Das mag ebenfalls ein Grund für die geringe Meinung der Bürger über Marsch gewesen sein. In diese könnte auch hineingespielt haben, dass die Familie Marsch in Neckargerach nicht verwurzelt gewesen zu sein scheint. Laut Schulz ist der Familienname vor Joannes Bartholomäus Marsch nämlich nicht in den Kirchenbüchern gelistet. Bewiesen werden kann das allerdings nicht mehr.
Obwohl Marsch und seine Frau sechs Kinder hatten, verschwand der Familienname kurz nach Margarethas Geburt aus den Kirchenbüchern Neckargerachs. "Nach 1748 finden sich keine Familienangehörige mehr", stellt Bernd Schulz fest. Was aus den damals noch lebenden Kindern des ungeliebten Ortsvorstehers wurde, ist unbekannt. Lediglich die Sagen um den Barthelmarsch und die Klinge blieben bis heute im Volksmund erhalten. Ob Marsch jedoch tatsächlich in der Adventszeit in der nach ihm benannten Klinge spukt, muss wohl jeder mitternächtliche Wanderer für sich selbst herausfinden ...



