"Geschichte(n) aus dem Odenwald"

Das steckt hinter dem Hungerstein in der Mosbacher Schlossgasse

Bertold Hergenröder erzählte bei der Gästeführung - Ein "Denkzettel" aus dem Dreißigjährigen Krieg

02.09.2020 UPDATE: 03.09.2020 06:00 Uhr 2 Minuten, 13 Sekunden
Gästeführer Bertold Hergenröder ist schon oft an der Inschrift vorbeigekommen. Foto: Noemi Girgla

Mosbach. (gin) Gerade in einer Fachwerkstadt wie Mosbach sind Einheimische wie Besucher permanent von imposanten historischen Bauwerken umgeben. Kein Wunder, dass man, wenn man nach oben schaut, um nichts zu verpassen, gerne kleinere Details der Stadtgeschichte doch übersieht und "schon immer Dagewesenes" nicht hinterfragt. Dabei verstecken sich (nicht nur in Mosbach selbst) all überall Einzelheiten, die an eine längst vergangene Zeit erinnern. Die "Geschichte(n) aus dem Odenwald" befassen sich eben mit diesen kleinen, teilweise fast versteckten Überbleibseln, Geschichten und Erinnerungen – an Menschen, Legenden, Orte und Gebäude. Wir machten uns mit Gästeführer Bertold Hergenröder auf in die Mosbacher Altstadt.

Um die Ecke des Marktplatzes, etwas versteckt in der Schlossgasse, findet sich der sogenannte "Hungerstein". Hergenröder ist schon oft an ihm vorbeigekommen. "Oft höre ich bei meinen Führungen: ,Hier bin ich schon häufig vorbeigelaufen und habe die Inschrift gar nicht gesehen’", berichtet der Ur-Mosbacher.

Ein echter Hingucker ist die kleine Inschriftentafel am Seitenbau des Hotel "Schwanen" auch nicht. Die oberste Buchstabenreihe "A.S.A.P" steht definitiv nicht für das heute in der Internet-Chat-Sprache verbreitete "as soon as possible" (so schnell wie möglich), sondern ist bis heute nicht gedeutet. Bertold Hergenröder geht davon aus, dass es sich dabei um Initialen, eventuell die des Besitzers oder Steinmetzes, handeln könnte. Der Rest der Inschrift verrät jedoch einiges über die Mosbacher Stadtgeschichte. Übersetzt bedeutet sie so viel wie: "1636, da galt das Malter Korn 16 Gulden". Auch das klingt noch etwas kryptisch.

Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass das Land sich im Jahr 1636 mitten im Dreißigjährigen Krieg befand, das "Malter" ein altes Getreidemaß (in Baden damals etwa 150 Kilogramm) war und eine Hebamme in zwei Jahren um die 16 Gulden verdiente, sieht die Sachlage schon anders aus. Der Dreißigjährige Krieg war geprägt von Hungersnöten, und Mosbach wurde in dieser Zeit immer wieder besetzt und geplündert – durch Kaiserliche, Schweden und Franzosen. Für den Unterhalt der Truppen mussten Stadt und Bevölkerung aufkommen, die in der Folge verarmten.

"Bei dem Hungerstein handelt es sich um ein Zeitzeugnis des Dreißigjährigen Krieges, eine Art ,Denkzettel’, den man sich hin und wieder ins Gedächtnis rufen sollte", mahnt Hergenröder. "Der Begriff ,Hunger’ ist schon so alt wie die Menschheit selbst. Doch er kann eigentlich nur von dem richtig eingeschätzt werden, der ihn schon einmal am eigenen Leib verspürt hat."

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Woher der Name des "Denkzettels" kommt, erklärt der Mosbacher anschaulich: "Im Volksmund wurden Felsbrocken, die in besonders trockenen Jahren aus dem Flussbett ragten, als Hungersteine bezeichnet. Sie kündigten der Bevölkerung Hunger und Notzeiten an. Aber auch Steintafeln, wie die in der Schlossgasse, die außergewöhnliche Teuerungen des Hauptnahrungsmittels, also Brot und Getreide, festhielten, wurden so bezeichnet. Diese Teuerungen ergaben sich meist aus Missernten nach Naturkatastrophen oder kriegerischen Ereignissen."

Warum der Stein an dem Haus in der Schlossgasse angebracht wurde, darüber lässt sich nur spekulieren. Hergenröder vermutet, dass der Besitzer des Hauses ihn aus persönlichem Interesse anbringen ließ. Wenn man überlegt, wer der Besitzer des Hauses im 17. Jahrhundert gewesen sein könnte, wird Hergenröders Vermutung umso wahrscheinlicher. In einer historischen Ortsanalyse aus dem Jahr 2012 schrieb das Denkmalpflegeamt, dass das Gebäude "wegen seiner auffällig hohen Geschosse möglicherweise einst eine Sonderfunktion", möglicherweise als "Kontor", eine Niederlassung für Kaufleute, eingenommen haben könnte.

Welchen Zweck das Haus auch erfüllte, seine Inschrift gemahnt bis heute an eine (fast) vergessene Zeit. Eine Zeit, die die Stadt Mosbach prägte und an die die Bevölkerung bis heute erinnert wird – wenn sie denn weiß, wo sie dafür hinschauen muss ...

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