Mord aus verschmähter Liebe?
Albert Stumpf erzählt, was am "Mordstock" in Neunkirchen vor 200 Jahren geschah.

Von Noemi Girgla
Neunkirchen. Ein paar Gehminuten außerhalb von Neunkirchen lädt ein steinernes Tischchen mit zwei Bänken entlang des Waldweges zum Verweilen ein. Daneben stehen ein alter, morscher Baum sowie zwei junge Buchenstämme, die miteinander verflochten wurden. Und ein Gedenkstein steht hinter dem Tisch. Seine Aufschrift ist weniger idyllisch als der Ort: "Mordstock". Der Stein wurde vom Lions-Club (LC) Kleiner Odenwald gestiftet und wird dieser Tage offiziell eingeweiht. Er erinnert an den Mord an Eva Elisabetha Leibfried, die vor fast 200 Jahren auf dem Weg von Eberbach nach Neunkirchen getötet wurde.
Albert Stumpf ist nicht nur Mitglied des Lions-Clubs und Inhaber des Natur-Kultur-Hotels Stumpf in Neunkirchen. Auch seine Familiengeschichte ist (wie auch die anderer Neunkirchner Familien) mit dem Mord von 1822 verwoben. Albert Stumpf ist der Ur-Ur-Ur-Enkel von Georg Adam Leibfried, dem Ehemann des damaligen Opfers. "Aus der Ehe mit Eva Elisabetha gingen keine Kinder hervor. Aber Georg Adam Leibfried heiratete ein zweites Mal und von den Nachkommen dieser Linie stamme ich ab", erklärt Stumpf den Familienstammbaum.
In seinem Besitz ist eine alte Familienbibel aus dem Jahr 1788. Hier findet sich ein handschriftlicher Eintrag von Georg Adam Leibfried. "Das ist das einzige Dokument, dem ich wirklich glaube", erläutert Stumpf. Leibfried schrieb damals Folgendes: "1822 d(en) 29 te Junii ist mein Frau nach Eberbach gegomm und mit einem Korb vol Kirschen, die zu verkauffen, wie dieselbe nach Hauß gegomm ist sie von einem leichtfertigen Mörter erstochen worden." Mit "Elff Stich in die hertzkamer", habe die Obduktion ergeben, sei Eva Elisabetha getötet worden. Der Verdacht fiel "auff ein leichtfertigen Jeger".

Das Wort "leichtfertig" habe damals noch eine andere Bedeutung gehabt, erläutert Stumpf: Es sei mit dem heutigen Wort "hinterhältig" gleichzusetzen. Leibfrieds Eintrag bewegt Stumpf bis heute. "Es spricht so viel Schmerz aus diesen Zeilen, wenn er von ihr als ,O mein getrein hauß frau’ spricht und beschreibt, dass sie ,den schreckligen Dot leiten’ musste."
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Wie gesagt, ist die Familienbibel das einzige Dokument, dem Stumpf Glauben schenkt. Wahrheit und Legende sind nicht immer leicht auseinanderzuhalten. Damals wie heute nicht. So kam kurz nach dem Mord das Gerücht auf, das sich bis heute hält, die 23-Jährige sei von dem Forstgehilfen Fritz Niebergall getötet worden, den sie zuvor verschmäht haben soll. Nach der Tat sei dieser verschwunden gewesen, weshalb der Mord nie gänzlich aufgeklärt werden konnte. Es geht die Legende, Niebergall habe sich nach Amerika abgesetzt.
Eher ins Reich der Mythenbildung gehört wohl die Geschichte, sein Schiff sei in einen Sturm gekommen und er sei als Opfer über Bord geworfen worden. Eine andere Sage erzählt, der Kapitän des Schiffes habe gefragt, ob ein Mörder an Bord sei, woraufhin sich der mutmaßliche Täter selbst reumütig ins Wasser gestürzt habe.
Bis heute bewegt das Schicksal von Eva Elisabetha Leibfried die Gemeinde Neunkirchen. In den frühen 1950er-Jahren schrieb der Lehrer und Maler Rudolf Menge das Skript zu einem Theaterstück über die Tat. Seine Frau steuerte die Lieder dazu bei. In Menges Version wurde die Frau jedoch nicht ermordet, sondern fiel einem Wildunfall zum Opfer. 1992 und 1998 inszenierte Bernd Kühnle das Theaterstück mit Laienschauspielern, übernahm jedoch Elemente aus der ursprünglichen Version der Geschichte.
Zwei Jahre nach dem Tod von Eva Elisabetha heiratete Georg Adam Leibfried Katharina Wagner. Ihr Ur-Ur-Ur-Enkel Albert Stumpf hält das Familiengedächtnis in Ehren. Wenn dieser Tage der neue Gedenkstein am "Mordstock" eingeweiht wird, so bleibt das Schicksal von Eva Elisabetha Leibfried auch außerhalb der Familie weiter im kollektiven Gedächtnis der Gemeinde Neunkirchen – und vielleicht auch darüber hinaus ...



