Eberbach

Dr.-Schmeißer-Stift wird für Flüchtlinge "besser als Turnhallen"

Bundestagsabgeordneter Lars Castellucci besichtigt das Dr.-Schmeißer-Stift und informiert sich bei der Ukraine-Flüchtlingshilfe.

28.10.2022 UPDATE: 28.10.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 16 Sekunden
Lars Castellucci und Robin Uhrig besichtigen das völlig marode Dr.-Schmeißer-Stift und wissen: Es gibt viel zu tun! Foto: Carmen Oesterreich

Von Carmen Oesterreich

Eberbach. Betritt man das Dr.-Schmeißer-Stift, richten sich die Haare an den Armen auf in Habachtstellung. Gänsehaut. Es ist kalt und feucht, riecht muffig und nach Beton. Der Putz unten an den Wänden ist aufgequollen, die Decke wohl undicht, auf dem Boden zeichnen sich feuchte Stellen ab. Seit zwölf Jahren steht dieses ehemalige Altersheim nun schon leer, auch das zum Haaresträuben. Kein Strom, kein Wasser, hier und da liegt was rum, im Saal gibt es noch ein paar Möbel und Küchenutensilien.

Aus dem Untergeschoss jedoch scheint warmes Licht, das den Weg zu neuer Nutzung weisen zu scheint. Denn dort hat die Ukraine-Flüchtlingshilfe, organisiert von Sandra Wäsch und Natalie Reinig, die Kleiderspenden-Börse eingerichtet. Auch Betten, Matratzen, Kindersitze und kleinere Utensilien werden von dort ausgegeben.

Lars Castellucci zeigt sich im Gespräch mit Natalie Reinig, Vitalina aus der Ukraine und Sandra Wäsch beeindruckt von der Kleider-Börse im Untergeschoss des Dr.-Schmeißer-Stifts. Foto: Carmen Oesterreich

Dieses Engagement der beiden war Anlass für den "Realitätscheck" von Lars Castellucci. Der Bundestagsabgeordnete für den Rhein-Neckar-Kreis trifft sich in sitzungsfreier Zeit gerne mit Menschen in seinem Wahlkreis, um sich zu vergewissern, dass politische Entscheidungen und Anträge im Parlament dem Bedarf in der Gesellschaft entsprechen.

Über Natalie Reinig fand der Sprecher für Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion nun also ins Dr-Schmeißer-Stift. Dieses soll für die vorübergehende Aufnahme von rund 120 Flüchtlingen saniert werden. Darüber informierten Heiko Stumpf, Vereinsvorsitzender der "Stiftung Altersheim Eberbach e. V.", sowie Gerhard Rohr aus dem Vorstand, Rainer Menges vom Ordnungsamt und Robin Uhrig vom Ressort Schulen-Sport-Kinderbetreuung der Stadt. An den Kosten für die notdürftige Sanierung wolle sich nach derzeitigem Stand der Kreis mit einer Million Euro und die Stadt mit rund 600.000 Euro beteiligen, war zu hören.

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Die 90 Zimmer sollen schon in neun Monaten möglichst mit mehreren Personen belegt werden. Die Türen der früheren Bäder sollen verschlossen und stattdessen sanitäre Gemeinschaftsanlagen eingerichtet werden. Auf den Balkonen müssen die asbesthaltigen Blumenkästen entfernt werden, doch ansonsten haben laut Gerhard Rohr Probebohrungen ergeben, dass das Dr.-Schmeißer-Stift asbestfrei sei. Probleme gebe es weiterhin beim Brandschutz. Hier plane der Kreis, Nottreppen und Brandschutztüren einzubauen.

Der Bedarf an weiteren Unterkünften ist da: Auch wenn die Flüchtlinge aus der Ukraine jetzt oft im Fokus stünden, sei man bereit, auch weiteren Schutzsuchenden aus anderen Ländern im Dr.-Schmeißer-Stift eine erste Unterkunft zu geben, versicherte Stumpf.

Allein 171 Flüchtlinge aus der Ukraine sind in Eberbach zurzeit provisorisch privat untergekommen. Viele von ihnen suchen deshalb dringend eine eigene Wohnung. Das berichtete auch Vitalina, die mit ihrer auf den Rollstuhl angewiesenen Schwester und ihren vier Kindern besonders dankbar für die erste Hilfe direkt nach ihrer Flucht ist. Jetzt revanchiert sie sich durch eigene Hilfsbereitschaft. "Immer, wenn wir jemanden zur Unterstützung brauchen, Vitalina kommt sofort", sagte Sandra Wäsch.

Natalie Reinig machte auf die verschiedenen Erwartungen der Behörden aufmerksam, etwa beim Datenschutz. "Vor allem in der Kommunikation gibt es viele Missverständnisse", meinte sie. Manchen Mitarbeitern falle es schwer, sich in die Lage der Flüchtlinge zu versetzen. "Die Hilfe muss menschenfreundlicher werden", betonte Lars Castellucci. Dafür solle es auch Schulungen geben. "2015 waren wir in der Flüchtlingshilfe auf Platz 1, jetzt sind wir auf Platz 9", stellte der Bundestagsabgeordnete fest. Er ist froh über die Sanierungsabsicht im Dr.-Schmeißer-Stift, da "diese Unterbringung in jedem Fall besser sei als in Turnhallen".

Die gesamte Lage im Blick, plädierte er als Reaktion auf den kriegerischen Angriff durch Putin für besonnenes Handeln, abgestimmt mit den Partnern. Er sorgt sich, dass hilfsbereite Menschen durch die Krise ihr Herz nicht mehr so weit öffnen können, weil es für sie selbst knapp wird: "Wir müssen dafür sorgen, dass wir niemanden zurücklassen und jeder am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann!"

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