Bei Eberbacher Betrieben

Immer weniger Azubis in Handwerksberufen

Präsident der Handwerkskammer besucht zwei Eberbacher Betriebe und gibt Tipps - Mehr Büroarbeit, weniger Lehrlinge

29.06.2017 UPDATE: 30.06.2017 06:00 Uhr 2 Minuten, 49 Sekunden

Der Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, Maler- und Lackierermeister Alois Jöst (l.) mit dem Hauptgeschäftsführer Jens Brandt (r.) zu Besuch im Eberbacher Café Viktoria bei Birgit Strohauer-Valerius, Tekla Strohauer und Florian Bäcker-Valerius. Foto: Martina Birkelbach

Von Martina Birkelbach

Eberbach. Der Firma Hermann Rüttger und dem Café Viktoria stattete der Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald, Maler- und Lackierermeister Alois Jöst, am Dienstag einen Besuch ab. Er wollte die Handwerksbetriebe in der Region und im Rhein-Neckar-Kreis besser kennenlernen und auch hören, wo der "Schuh drückt". Und der drückt bei beiden Eberbacher Unternehmen vorrangig bei der Suche nach Azubis.

Jöst war schon morgens auf Tour in Helmstadt/Bargen und in Waibstadt. Bei ersterem Betrieb sei es faszinierend gewesen, wie zwei Brüder - ein Zimmerermeister und ein Metallbaumeister - gemeinsam als Existenzgründer arbeiten, und vor allem wie digital alles organisiert sei. In Waibstadt hätte es die Metzgerei Baumeister, "seit 1897 in der fünften Generation" geschafft, dass von vier Kindern drei die Metzgerei übernehmen. Wir besuchen die Betriebe nicht wahllos, sondern suchen Besonderheiten, erklären auch Hauptgeschäftsführer Jens Brandt und Pressevertreter Detlev Michalke, die mit Jöst auf Tour waren.

Etwas verspätet traf die Abordnung nachmittags im Café Viktoria ein. "Wir sind auch nur Männer", sagten sie lachend und erklärten, dass sie sich von den Autos der Firma Hermann Rüttger nur schlecht trennen konnten. Der Betrieb habe sie interessiert, weil er traditionsbewusst sei, keiner Marke angehöre und dennoch Kundschaft bis aus Amerika hätte. "Die Philosophie, die Werte des Teams, die freie Werkstatt hat uns beeindruckt, ebenso die Gedanken über die E-Mobilität zehn Jahre im voraus", so Michalke.

Doch der Schuh "drückt" bei der Firma: Fachkräftemangel. Sie finden zu wenig Azubis. Von Seiten der Handwerkskammer wurden Tipps gegeben und Unterstützung angeboten.

Auch interessant
Eberbach: Gärtnerei Emmerich über Arbeitsalltag, Lehrstellen und schlechtes Benehmen
: Kommt ins Eberbacher Entwicklungskonzept noch einmal frischer Wind?

Im Café Viktoria eingetroffen, bestaunte das Dreierteam die gläserne Backstube und fragten natürlich nach, wer denn die Viktoria-Torte erfunden habe. Birgit Strohauer-Valerius mit Mutter Tekla Strohauer und Sohn Fabian Bäcker-Valerius berichteten von dem Betrieb, der bereits in der fünften und sechsten Generation seit 1873 geführt wird. "Mein Mann wäre stolz, wenn er sehen könnte, wie die Jugend heute weitermacht", so die Seniorchefin.

Konditormeister Florian Bäcker-Valerius erzählte aber auch, dass das Handwerk sich verändert habe. "Früher habe ich 80 Prozent der Zeit in der Backstube verbracht und 20 Prozent im Büro. Heute ist es umgekehrt." Viel Arbeit habe auch der "Allergen-Ordner" gemacht, der seit über einem Jahr Pflicht ist. Er habe auch mal lactosefreie Torten gebacken, erzählt er weiter. Doch die Nachfrage sei dann sehr gering gewesen. Er hat die Produktion wieder eingestellt.

Verändert hat sich laut der Chefin auch das Verhältnis zwischen Café und Verkauf: "Früher waren es zwei Drittel Café, ein Drittel Verkauf. Dann war es mal Halbe-halbe und heute läuft ein Drittel im Café und zwei Drittel im Verkauf." Oft gehen die Torten heute auch auf große Reisen; etwa kürzlich eine Sachertorte in die USA, zwei Tage brauchte sie nur, um an die deutschen Auswanderer zu gelangen. Die weiteste Anfrage kam aus der Dominikanischen Republik. "Drei Wochen dauert der Versand dorthin. Wir haben dann eine Linzertorte verschickt, die hält sich."

Seit etwa vier bis fünf Jahren gibt es immer weniger Bewerbungen für eine Ausbildung. Beim Konditorenhandwerk sehe es noch ganz gut aus. Für den Verkauf, also für eine Ausbildung zur Konditoreifachverkäuferin, gab es nicht eine einzige Bewerbung. Woran das liegt? Laut den Herren der Handwerkskammer habe es mal eine Umfrage gegeben, warum immer weniger junge Leute Handwerksberufe lernen. Das Ergebnis: Schlechte Arbeitszeiten, dreckige Arbeit. Dabei stehen einem laut Florian Bäcker-Valerius etwa als Konditor viele Wege offen: "Man kann auf der ganzen Welt arbeiten - auch auf Schiffen - oder sich selbstständig machen. Aber natürlich muss man an Wochenenden und Feiertagen auch ran." Jöst versprach, den Beruf "noch mal aktiver zu präsentieren". Etwa auf der Messe "Jobs for Future". Ebenso will er dem Café Viktoria weitere Kontakte vermitteln. Ansonsten empfiehlt er, mehr mit den Schulen zusammenzuarbeiten; "Sie müssen die Schüler dort abholen, wo sie sind." Bei den vielen Ausbildungsplatzmessen sieht Jöst auch ein Problem der "Überfütterung".

Insgesamt habe es im vergangenen Jahr erstmals eine Steigerung an Ausbildungen in Handwerksberufen gegeben. Der Trend gehe aber immer noch hin zum Abitur und zu Hochschulen. "Wir brauchen Handwerker und Akademiker", betonen die Herren. Zudem viele Hochschüler inzwischen scheitern; "in keiner Stadt gibt es so viele Taxi fahrende Philosophen wie in Heidelberg". "Es fängt im Elternhaus an. Es steht fest, dass die Kinder das Gymnasium besuchen; bloß kein Handwerker werden", so Jöst. Die Handwerkskammern versuchen, einiges aufzufangen und "gehen auf die Lehrer zu". Aber der Trend hin zum Abitur sei überall vorhanden.

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
(zur Freigabe)
Möchten sie diesen Kommentar wirklich löschen?
Möchten Sie diesen Kommentar wirklich melden?
Sie haben diesen Kommentar bereits gemeldet. Er wird von uns geprüft und gegebenenfalls gelöscht.
Kommentare
Das Kommentarfeld darf nicht leer sein!
Beim Speichern des Kommentares ist ein Fehler aufgetreten, bitte versuchen sie es später erneut.
Beim Speichern ihres Nickname ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie bitte sich aus- und wieder einzuloggen.
Um zu kommentieren benötigen Sie einen Nicknamen
Bitte beachten Sie unsere Netiquette
Zum Kommentieren dieses Artikels müssen Sie als RNZ+-Abonnent angemeldet sein.