Als Denkmal des "Brutalismus" erhalten?
Das Deutsche Architekturmuseum hat jetzt auch das Eberbacher Stift als Beispiel einer geschmähten Stilrichtung registriert

Von Felix Hüll
Frankfurt/Eberbach. In den Diskussionen über den Wandel des Dr. Schmeißer-Stifts von einem Altenheim zu einem Haus betreuten Seniorenwohnens mit Zusatzangeboten für die Stadt hat der Architekturstil bislang nur am Rande eine Rolle gespielt. Nun ist dieses Gebäude in die Datenbank "sosbrutalismus.org" aufgenommen worden.
Diese Internetseite verzeichnet über 1000 brutalistische Bauwerke und hält ihren Zustand fest. Die Datenbank ist Teil des Projekts "SOS Brutalismus" von Wüstenrot-Stiftung und Deutschem Architekturmuseum. Neben einer Ausstellung (die im Herbst 2019 in Berlin zu sehen sein wird), gehören dazu eine Buchveröffentlichung sowie die Datenbank.
Damit soll dem wenig beachteten Verschwinden von Gebäuden dieser Architekturstilrichtung Einhalt geboten, die interessierte Öffentlichkeit aufmerksam gemacht und um Unterstützung für Erhalt und Renovierung geworben werden.
"Die Anlage ist ein tolles Beispiel für gelungene Architektur der 1960er Jahre. Im Bezug auf den Brutalismus sind alle maßgeblichen Kriterien erfüllt", urteilt Felix Torkar. Er ist der kuratorische Assistent der Ausstellung "SOS Brutalismus - save the concrete monsters", die bereits in Frankfurt und Wien zu sehen war.
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Hintergrund
Brutalismus nennt sich ein Architekturstil der Moderne. Man führt die Bezeichnung zurück auf das französische "béton brut" (roher Beton, wobei "brut" nicht nur "roh", sondern auch "rau", "grob", "herb" und "ehrlich" bezeichnet). Der schweizer-französische
Brutalismus nennt sich ein Architekturstil der Moderne. Man führt die Bezeichnung zurück auf das französische "béton brut" (roher Beton, wobei "brut" nicht nur "roh", sondern auch "rau", "grob", "herb" und "ehrlich" bezeichnet). Der schweizer-französische Architekt Charles-Édouard Jeanneret-Gris (Le Corbusier) verwendete ihn besonders gern.
Der englische Architekturkritiker Peter Reyner Banham prägte die Wortschöpfung "New Brutalism". Er nennt so etwas, was seiner Meinung nach ehrlich Material und Konstruktion zeigt, gleichzeitig ethisch ist, nimmt man den (oft sozialen) Verwendungszweck des Bauwerks. Von den 1960er bis 80er Jahren gilt der Brutalismus als dominierende Architekturströmung; seine Merkmale sind unverkleideter Sichtbeton, das Hervorheben der Konstruktion und Hervortreten der Gliederungselemente des Gebäudes. Später wurde Brutalismus als ästhetischer Vandalismus gebrandmarkt.
Bei viele seiner Objekte verschmutzte der Beton stärker als geplant. Zerfallsspuren verstärkten diesen Eindruck. Erst jetzt kommt die Diskussion auf, Bauwerke dieser Stilrichtung als eventuell erhaltenswert anzusehen. (fhs)
Kenntnis erhielt Torkar von dem Eberbacher Gebäude erst gegen Ende 2018 über eine Meldung aus Eberbach selbst. Auslöser dafür war wohl die Fernsehsendung "Planet Wissen". Unter dem Titel "Beton - gehasst, geliebt und unverzichtbar" befasste sie sich mit der Debatte um die heute eher als unattraktiv, klobig und als in die Jahre gekommen wahrgenommenen Gebäude befasste.
Weil davon immer mehr umgebaut oder abgerissen werden, diskutierte eine Fachöffentlichkeit darüber, ob Häuser im Stil des Brutalismus nicht als architektonische Dokumente ihrer Zeit denkmalschutzwürdig seien. Die "Ehrlichkeit" der bloßen Betonarchitektur wurde oft für Gebäude mit einer öffentlichen oder gemeinschaftlichen Funktion angewandt;
Vertreter von SOS Brutalismus sehen sie auch als Repräsentanten einer Haltung, die Funktionsbauten des Gemeinwesens als Schutz vor gesellschaftlicher Unbill betrachten. Torkar sieht derartiges auch für das Altenheim gegeben. "Organisation und die Funktionen des Baus sind klar zu erkennen. Wohnräume und Gemeinschaftsbereich sind separat in einem System organisiert, das bei genauerem Blick schon auf außen verständlich ist." Die komplexe Dachlandschaft, die angewinkelten Balkone des Wohntrakts zeugten laut Torkar von einer "rhetorischen Bauweise, die wunderbar zeigt, dass zu dieser Zeit nicht nur beliebige anonyme Kasten gebaut wurden.
Er räumt ein, dass bei Brutalismus-Objekten nach knapp 50 Jahren eine Modernisierung technischer Anlagen oder der Isolierung notwendig sei. Im Fall des Dr.-Schmeißer-Stifts regt Torkar an zu erwägen, ob nicht eine "Restaurierung anstelle eines Komplettumbaus" denkbar sei. Der Verlust der aktuellen Fassadengestaltung war ja in verschiedenen Versammlungen des Vereins Stiftung Altenheim erregt debattiert worden.
Architekt des Umbauvorhabens ist Christoph Weidner. Auf Nachfrage antwortet er, mit Äußerungen zum Brutalismus tue er sich schwer, "da die Art zu entwerfen vor Beginn meines beruflichen Schaffens liegt." Bei dessen Erhalt sieht Weidner als Problem, dass eine neue energetische Betrachtung erforderlich sei. Bei "monolithisch erstellten Gebäuden" sei dies nur schwer von Erfolg gekrönt, führe zu einem "Überformen der Architektur" und sei in jedem Fall mit extrem großen Hürden versehen.
Veränderte Normen sowie die Schäden am Beton, der ja das den Brutalismus prägende Element sei, lassen laut Weidner den Sinn eines Erhalts fraglich erscheinen.
Wiederholt erklärt Weidner, dass die Materialschäden, eben jene energetischen wie wirtschaftliche Gesichtspunkte aber auch die zu geringe Nutzfläche gegen Erhalt der Balkone in bisheriger Form sprechen. Herausragende Elemente wie die Sichtbetontreppe sind in der Planung von Weidners Firma planrausch eingebunden. Weidner: "Ich bin bei meinen Betrachtungen immer auf der Suche nach einer Kombinaten mit wohnlichen Materialien und gegebenenfalls bewussten Kontrasten durch Ergänzungen."
Während der Trägerverein sich noch um die Spendenfinanzierung des nach wie vor nicht gestarteten Umbaus kümmert, zieht nun eine weitere Wolke am Himmel auf - die Möglichkeit, dass sich das Landesdenkmalamt zu einer Bewertung des Vorgangs berufen fühlen könnte.



