Von "blankem Unsinn" und "unverantwortlichen Fake News"
Dr. Harald Genzwürker und Dr. Martina Teinert appellieren in der Coronakrise an die Bürger: Hört auf die echten Experten!

Die Neckar-Odenwald-Kliniken in Mosbach. Archiv-Foto: Alexander Rechner
Neckar-Odenwald-Kreis. (rüb) In Zeiten der Krise haben nicht nur bürgerschaftliches Engagement und Hilfsbereitschaft Hochkonjunktur (s. o.), sondern auch Verschwörungstheorien. In den vergangenen Tagen machte etwa der Lungenarzt und ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD, Wolfgang Wodarg, mit seinen Theorien in den sozialen Netzwerken die Runde. Seine fragwürdigen Thesen: Die Coronakrise sei nur ein "Hype" von unverantwortlichen Politikern und "Panikmacher"-Ärzten, die damit Geld verdienen wollten. Wir haben bei Dr. Harald Genzwürker, Chefarzt der Neckar-Odenwald-Kliniken, und Dr. Martina Teinert, Leiterin des Gesundheitsamtes in Mosbach, nachgefragt.
Was denken Sie als Mediziner, wenn Sie die Thesen von Dr. Wodarg hören?

Genzwürker: Mittlerweile bin ich zugegebenermaßen sehr genervt, wenn ich sehe, wie viele Menschen gerne glauben möchten, was er verbreitet – weil er ja sozusagen Entwarnung gibt. Problematisch ist dabei, dass wir aktuell nur zwei Möglichkeiten haben: Wir glauben den Experten, die sich aktuell mit diesen Themen intensiv befassen, also z .B. dem Virologen Prof. Dr. Christian Drosten von der Berliner Charité oder dem Mikrobiologen und Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Professor Dr. Lothar H. Wieler, die bezüglich der Infektiologie unstrittig auf der Höhe der Zeit sind. Oder wir hören auf einen selbsternannten Experten und langjährigen Kritiker der Weltgesundheitsorganisation wie Dr. Wolfgang Wodarg, der 1973 die Approbation als Arzt erhielt und sich zum Internisten mit Zusatzbezeichnung Lungen- und Bronchialheilkunde weiterbildete, gemäß eigenen Angaben aber bereits seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr im Arztberuf tätig ist, nachdem er von 1994 bis 2009 im Bundestag saß. Sein Parteifreund, der SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach – seit 2005 im Bundestag und deshalb als Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Universität Köln beurlaubt – nennt die Aussagen des "eigentlich geschätzten Kollegen" zu Covid-19 via Twitter "blanken Unsinn" und "unverantwortliche Fake News".
Mit welchen Argumenten lassen sich seine Theorien am besten entkräften?

Teinert: Natürlich ist die Gruppe der Coronaviren schon hinlänglich bekannt. Aber: Viren mutieren, und das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 hat ja schon hinlänglich bewiesen, wie gefährlich es ist, wenn es auf eine nicht-immune Bevölkerung trifft. Man sieht ja, was derzeit in Italien passiert. Deshalb ist es unverantwortlich, nachweislich falsche Botschaften weiterzusenden. Richtig ist vielmehr, sich an Institutionen zu orientieren, die jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit solchen Erkrankungen haben. Deshalb halten wir uns im Gesundheitsamt streng an die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts und die Bürger können daher auch wiederum darauf vertrauen, dass wir hier vor Ort auf dieser Basis die richtigen Entscheidungen treffen.
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Genzwürker: Sofern die Anhänger der Verschwörungstheorien von Wodarg und einigen anderen derzeit auffällig aktiven "Systemkritikern", die ja in erster Linie Zweifel säen ohne selbst Verantwortung zu tragen, überhaupt für Argumente offen sind, muss man zunächst darauf hinweisen, dass der Begriff "Coronavirus" einen Überbegriff darstellt. Natürlich sind die Coronaviren bereits seit Jahrzehnten bekannt und konnten auch in den letzten Jahren immer wieder nachgewiesen werden. Die Präsenz, also das Vorhandensein, sagt aber nichts über die Virulenz, also die Gefährlichkeit und Ansteckungsgefahr – ganz besonders, weil der jüngste Spross der "Corona-Familie" mit dem Namen SARS-CoV-2 hier besonders negativ auffällt, da er bei einem Teil der Patienten die besonders schwere Lungenerkrankung Covid-19 ("corona virus disease 2019", also Coronavirus-Krankheit 2019) auslöst. Für dieses neue Virus gibt es bisher keine Immunität in der Bevölkerung und auch keinen Impfstoff, denn den kann man ja nur für Viren entwickeln, die man kennt. Ich bin der festen Überzeugung, dass die derzeit eingeleiteten Maßnahmen unsere einzige Chance sind, eine Pandemie zu verhindern, die ansonsten das Gesundheitssystem schnell überlasten wird. Unterstellungen von Wodarg und anderen, dass nur politische Interessen verfolgt würden, die beteiligten Virologen "wichtig sein wollten", um Gelder für ihre Forschungsinstitute zu erhalten, kann man kaum ernsthaft begegnen, genau wie der immer wieder behaupteten (aber widerlegten) Finanzierung der Entwicklung des neuen Virus durch die Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung, die ja auch aufgrund ihrer überaus großzügigen Spendenunterstützung der WHO angeblich ganz andere Ziele verfolgt als die Reduktion der Kindersterblichkeit ...
Wie soll man damit umgehen, wenn Bekannte in sozialen Netzwerken solche oder andere gefährliche Halb- und Unwahrheiten teilen? Ignorieren oder diskutieren?
Genzwürker: Bei diesem Thema bin ich selbst hin- und hergerissen. Ich sehe die Gefahr, dass bei reinem Ignorieren der Weiterverbreitung die Akzeptanz der derzeit sehr weitreichenden Einschnitte in unser alle Leben geschwächt wird und damit das Risiko eines schnelleren Pandemieverlaufs steigt. An verschiedener Stelle habe ich mich deshalb auch schon zu Wort gemeldet, so wie ich es auch hier gerne tue. Allerdings bemerkt man auch, dass, ähnlich wie in anderen Bereichen, kein echter Dialog gesucht oder gewünscht wird – im Zweifelsfall wird Kritik mit einem weiteren dubiosen Video "gekontert", oder konkrete Fragen werden nicht beantwortet, sondern es werden einfach Gegenfragen gestellt, weil "es ja gar nicht alles ganz gesichert ist". Das ist ja auch korrekt, nur können wir derzeit nicht in Ruhe Daten sammeln, bis wir wirklich genau wissen, wie viele Menschen am neuen Coronavirus tatsächlich sterben!



