"Agri-Photovoltaik" bringt Ackerbau und Solarstrom zusammen
Eine regionale Energiegenossenschaft zeigt Interesse am Konzept. Es gibt auch Konflikte.

Von Carsten Blaue
Sinsheim. Die Gemminger Gemeinderäte stecken in einem Dilemma. Am Rand des Ortsteils Stebbach besteht nahe einer Bahnlinie die Chance, einen 40 Hektar großen Solarpark zu bauen. Auf einem Feld. Von grüner Energie und einem Zukunftsprojekt schwärmen die Befürworter. Einen Acker zum Anbau von Lebensmitteln für die Module zu opfern, kritisieren die Gegner.
Die Idee, die Kommunalpolitikern künftig einen solchen Zwiespalt ersparen könnte, heißt "Agri-Photovoltaik". Dahinter steht das Konzept, auf einer (eher größeren als zu kleinen) Fläche gleichzeitig Nutzpflanzen anzubauen und Solarstrom zu erzeugen. Auch die BürgerEnergieGenossenschaft Kraichgau eG (BEG) interessiert sich für diesen Ansatz. Gerade der Kraichgau sei "sehr prädestiniert" für das agrisolare Modell, sagt Vorstandsmitglied Florian Oeß im Telefonat mit der RNZ. Erste Gespräche diesbezüglich habe man geführt, und in dieser Woche sei ein Treffen mit einem Obstbauern aus dem Raum Wiesloch geplant.
Die Sinsheimer Klima-Arena bietet am Mittwoch, 9. Juni, um 19 Uhr ein "Forum" zum Thema an. Referieren wird Professor Klaus Müller, Wissenschaftler am Leibnizzentrum für Agrarlandschaftsforschung. Er gilt als Experte auf dem Gebiet. Und auch Oeß ist eingeladen, um eine Viertelstunde darüber zu sprechen. Für ihn liegen die Vorteile der "Agri-Photovoltaik" auf der Hand. Die Auswirkungen des Klimawandels, wie Trockenheit oder Starkregen, würden empfindlichen Kulturpflanzen doch schon jetzt zusetzen – etwa im Obst- oder im Weinbau. Die Erzeuger seien also ständig dem Risiko von Ernteausfällen ausgesetzt und daher auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre Ertragssicherheit zu steigern. "Agrisolar" biete da gleich mehrere Chancen.
Hintergrund
> Die BürgerEnergieGenossenschaft Kraichgau eG (BEG) hat ihre Anfänge im Jahr 2010 in Adersbach, einem Ortsteil von Sinsheim. Laut Angaben der BEG sollte das Dorf ein Vorzeigemodell für den Einsatz erneuerbarer Energien werden. Daraus resultierte die Gründung der
> Die BürgerEnergieGenossenschaft Kraichgau eG (BEG) hat ihre Anfänge im Jahr 2010 in Adersbach, einem Ortsteil von Sinsheim. Laut Angaben der BEG sollte das Dorf ein Vorzeigemodell für den Einsatz erneuerbarer Energien werden. Daraus resultierte die Gründung der BürgerEnergieGenossenschaft Adersbach mit dem Ziel, zu 100 Prozent regenerative Energien auf der Basis einer breiten Beteiligung der regionalen Bevölkerung zu erzeugen und zu vertreiben. Zuerst setzte die Genossenschaft, die 2019 umbenannt wurde, auf klassische Photovoltaik-Anlagen auf Dächern und die Einspeisung des Stroms in die Netze nach dem Erneuerbare Energien Gesetz. 2013 kam die Windkraft hinzu, und das Projekt "Nahwärmenetz Adersbach" wurde initiiert. Ein Jahr später war die Einführung des "Kraichgauer Bürgerstroms" ein Meilenstein der BEG, die sich im Jahr 2015 am Bau einer drei Millionen Euro teuren und drei Megawatt leistenden Solaranlage auf einer stillgelegten Erddeponie an der A 6 bei Kirchardt beteiligte. Derzeit hat die BEG nach Angaben von Vorstandsmitglied Florian Oeß rund 320 Mitglieder. cab
Müller erklärt dazu erst das Technische: Bei der "Agri-Photovoltaik" würden sogenannte bifaziale Module aufgestellt. Das sind Kollektoren, die Sonnenlicht auf beiden Seiten aufnehmen. Dafür brauchen sie aber auch größere Mindestabstände, damit sie sich nicht gegenseitig verschatten. In den Zwischenräumen kann der Landwirt arbeiten – selbst mit größeren Maschinen.
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Unter und zwischen den Modulen selbst gibt es schattige Bereiche, die für empfindlichere Pflanzen nützlich sein können, denn sie werden so vor zu großer Hitze und Unwettern geschützt und verdunsten auch weniger Wasser. Soweit zu den Pflanzen. Müller macht zudem die Rechnung auf, dass für eine hoch aufgeständerte Anlage maximal zehn Prozent des Ackers gebraucht werden. Der Rest bleibt für die Landwirtschaft. Der Bauer oder der Feldeigentümer bekommt daneben aber stabile Pachteinnahmen für die Photovoltaik auf seinem Gelände – neben dem Profit aus der Milderung der Klimafolgen. Und schließlich der positive Effekt für die grüne Stromerzeugung: Laut Müller können je nach eingesetzter Technologie bis zu 600 Personen pro Hektar bilanziell mit solarer Öko-Energie aus "Agri-Photovoltaik" versorgt werden.
Müller sieht seit ein, zwei Jahren einen Trend. Große Investorengruppen würden nach Flächen für reine Photovoltaik suchen und dabei gar nicht mal so sehr auf staatliche Zuschussmöglichkeiten schauen. Dabei gehe es um Anlagen mit 50 Megawatt aufwärts, die mindestens 60 bis 70 Hektar Platz brauchen. Gerade im Norden und Osten gehe es in diese Richtung, da hier viele Böden nicht mehr die Qualität hätten, um sich landwirtschaftlich unter Weltmarktbedingungen zu rechnen. Das bedroht die Existenz jener Landwirte, die nur Pächter und nicht Eigentümer der Flächen sind. Bei agrisolarer Nutzung sähe das ganz anders aus, so Müller, der zudem ein Umdenken fordert.
"Es wäre auch viel gewonnen, wenn es gelingen würde, einen Teil der Flächen, die jetzt für Mais genutzt werden, um damit Biogasanlagen zu füttern, umzuwidmen in Richtung ’Agri-Photovoltaik’", sagt er im Vorfeld der Veranstaltung in Sinsheim. Schließlich brauche man das 20- bis 40-fache an Fläche, um mit Biogasanlagen den gleichen Energieertrag zu erzielen wie mit Wind oder Solarenergie. Außerdem werde bei der Genehmigung von Solaranlagen auf Feldern häufig noch immer nicht zwischen klassischer Photovoltaik und "agrisolarer" Sonnennutzung unterschieden. An dieser Stelle sei auch die Politik gefordert, so Müller.
Hintergrund
Alles eine Frage des Geldes
Wie geht das eigentlich, wenn eine von Bürgern getragene Energiegenossenschaft eine große Solaranlage bauen will? Florian Oeß, Vorstandsmitglied der BürgerEnergieGenossenschaft Kraichgau eG (BEG), erklärt es auf Anfrage und
Alles eine Frage des Geldes
Wie geht das eigentlich, wenn eine von Bürgern getragene Energiegenossenschaft eine große Solaranlage bauen will? Florian Oeß, Vorstandsmitglied der BürgerEnergieGenossenschaft Kraichgau eG (BEG), erklärt es auf Anfrage und betont gleich anfangs: "Eine Errichtung durch uns selbst ist leider nicht möglich."
Dafür fehle der BEG das Know-how bei der Montage. Zudem sei man ja "nur" ehrenamtlich engagiert. BEG-Vorstandsmitglied Dennis Koppenhöfer arbeitet aber mit einem Projektierer zusammen – von der Planung über die Ausschreibung und Auftragsvergabe bis hin zur Projektbetreuung und Abnahme stemmen sie alles. Investitionsvolumen sowie Gewinngröße pro Hektar hängen vom einzelnen Projekt ab. Als Beispiel nennt Oeß die Aufdachanlage auf dem Sinsheimer Schulzentrum, die fast fertig ist. Bei dieser 450 Kilowatt-Anlage mit aufwendiger technischer Steuerung komme man auf 450.000 Euro.
Sollte die BEG im Falle der "Agri-Photovoltaik" ein konkretes Projekt vor Augen haben, werde die Genossenschaft den zu erwartenden Stromertrag durchkalkulieren und die Vermarktungsmöglichkeiten prüfen. Das kann beispielsweise der Stromverkauf direkt an einen Verbraucher sein oder die Vermarktung über die eigene Bürgerwerke eG in Heidelberg. Dann werden die Finanzierungskonditionen und der Einsatz von Eigenkapital in verschiedenen Kalkulationen durchgespielt. Auch wägt die BEG ab, ob sie das Projekt alleine oder mit Partnern verwirklicht. "Das kommt insbesondere darauf an, ob wir gerade ausreichend Eigenkapital haben oder nicht", so Oeß. "Wir haben gerade einige größere Projekte in der Mache und können gut neues Eigenkapital, also neue Mitglieder, gebrauchen", sagt er.
Wenn Partner hinzukommen, also eine andere Genossenschaft oder mehrere, gründen alle gemeinsam für das Projekt eine Gesellschaft. Diese finanziere dann die Anlage, "und auch sämtliche aus der Anlage auflaufenden Erträge und Kosten werden in der Gesellschaft geführt." Die Gesellschafter, so Oeß, würden entsprechend ihrer Beteiligung Kapitalausschüttungen bekommen. "Solch eine Konstellation wäre zum Beispiel auch mit einem Landwirt denkbar, wenn er sich selbst beteiligen möchte und kann." Sei das nicht der Fall, bekomme der Flächenverpächter eine Pacht, die je nach der Kalkulation unterschiedlich hoch sein könne. Zuletzt betont Oeß: "Wir als Genossenschaft haben recht überschaubare Renditeerwartungen und eher den Fokus, die Energiewende in der Region voranzubringen." (cab)
Die Bundesnetzagentur hat jedenfalls schon mal reagiert mit einer "Innovationsausschreibung" für "besondere Solaranlagen". Zum Gebotstermin 1. April 2022 wird die Behörde ein Gebotsvolumen von 50 Megawatt vorrangig für Anlagenkombinationen vergeben. Bis zum 1. Oktober sollen die Anforderungen an Solaranlagen auf Gewässern, Parkplatzflächen und eben auf landwirtschaftlich genutzten Ackerflächen festgelegt werden.
Oeß und die BEG verfolgen das mit großem Interesse. "Es ist an der Zeit, dass wir uns zusammensetzen und uns fragen, was hier wo Sinn macht." Dabei geht es auch um die beste Vermarktung des Stroms. Oeß erklärt, wie das läuft mit der Ausschreibung: Die Förderung aus dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) gebe die Aufbauziele für die Anlagen vor. Unternehmen könnten sich mit dem Preis für die Anlage und die lieferbare Strommenge bewerben, und der günstigste Bieter erhalte dann den Zuschlag. "Wir wollen schauen, wo das preislich liegt, damit wir dann in der nächsten Runde mitbieten können."
Der BEG stellt sich also die Frage, wie sie in die "Agrisolar"-Thematik einsteigen will. Sicher sei das eine Frage für die Generalversammlung der Genossenschaft, die im September stattfinden soll. Fragt sich schließlich noch, wie sich solche Modulreihen im Landschaftsbild machen. Für Oeß liegt das im Auge des Betrachters: "Ich finde diese Anlagen wunderschön", sagt er. Jedenfalls seien sie nicht weniger ansehnlich als etwa Gewächshäuser. Außerdem: "Wir werden den Energiebedarf nicht ohne Eingriffe in die Natur decken, und die Frage ist, ob wir dabei rückbaubare Lösungen wollen oder Kohle- und Atomkraftwerke."
Info: Klima-Forum der Sinsheimer Klima-Arena zum Thema "Agri-Photovoltaik – ein Agrarsystem der Zukunft" am Mittwoch, 9. Juni, von 19 bis 20.30 Uhr. Die Teilnahme ist kostenlos. Präsenzveranstaltung unter Corona-Bedingungen mit begrenzter Teilnehmerzahl oder digital über "Zoom" und als YouTube-Livestream. Details unter www.klima-arena.de



