Renaturierung Hockenheimring

Vogelgezwitscher statt dröhnende Motoren

Waldgerade erneuert - Legendärer Streckenabschnitt ist heute nur noch zu erahnen

24.08.2018 UPDATE: 26.08.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden

Der Hockenheimnring aus der Vogelperspektive: Oben im Bild ist der alte Streckenverlauf noch gut zu erkennen. Foto: Hockenheimring

Von Harald Berlinghof

Hockenheim. "Es gibt keinen Ort, an dem man sich in seinem Rennauto wohler fühlt. Man ist ganz allein in diesem Wald, man riecht die frische Luft. Dann taucht man aus dieser grünen Lunge ins prallvolle Motodrom ein - das ist ein unfassbares Gefühl". Kein geringerer als Formel-1-Weltmeister Ayrton Senna war es, der die lange Waldgerade des alten Hockenheimrings in sein Herz geschlossen hatte.

Auf derselben Geraden waren allerdings auch Jim Clark und Patrick Depailler in ihren Autos ums Leben gekommen. Extrem schnell wurden die Rennwagen dort auf der lang gezogenen gebogenen Waldgeraden, die sich fast drei Kilometer bis zur alten Ostkurve hinzog. Der Rennkurs in Hockenheim war neben Monza die schnellste Strecke im Rennkalender. Und er war 6,8 Kilometer lang.

Heute ist der 2002 umgebaute Hockenheimring mit 4,5 Kilometern Länge wesentlich kürzer und die beiden Waldgeraden (eine vom Motodrom zur Ostkurve, die andere von der Ostkurve wieder zurück zum Motodrom), die in Wirklichkeit lang gezogene Rechtskurven waren, gehören wieder der Natur. Die alten Streckenteile wurden renaturiert und aufgeforstet. Dort, wo einst die Rennmotoren den Gesang der Vögel zum Verstummen brachten, fühlen sich heute Wildschweine und seltene Vogelarten wohl.

Die Renaturierung der alten Strecke war eine Ausgleichsmaßnahme für Abholzungen, die im Innern des Rings notwendig wurden, um die neue Streckenführung anzulegen. Für knapp 50 Hektar Kiefernwald, der abgeholzt werden musste, wurden im Bereich der alten Geraden 10,7 Hektar mit Spitzahorn, Eichen und Hainbuchen aufgeforstet.

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Zusätzliche natürliche Eintragungen von Kiefern-, Birken- und Robiniensamen haben die frühere Asphaltschneise zu einem dichten Wald mit "Verdickungscharakter" werden lassen, wie Dieter Münch, der Leiter des Kreisforstamts, erläutert.

Verdickung meint eine Waldstruktur, die bis in den Bodenbereich eine Verastung und Verkrautung aufweist und die Tieren eine gute Rückzugsmöglichkeit bietet. "Rund 50.000 Bäume und Sträucher wurde seit dem Umbau im Jahr 2002 gepflanzt", bilanziert Sebastian Eick, Leiter des Forstbezirks Rheintal-Bergstraße.

In der Vereinbarung zwischen der Hockenheimring GmbH und den Forstbehörden ist festgeschrieben, dass die Ring GmbH über einen Zeitraum von 25 Jahren die forstlichen Pflegemaßnahmen finanziert. "Das war aber nicht die einzige Ausgleichsmaßnahme auf Hockenheimer Gemarkung. Es gab weitere, zum Beispiel im Hockenheimer Rheinbogen", erklärt Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer.

2002 kam von Seiten der Formel-1-Veranstalter die Forderung nach einer Verbreiterung der Waldgeraden. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Das aber hätte einen Teil des Walds links und rechts der Strecke gekostet und war daher nicht realisierbar. Gleichzeitig wurde diskutiert, ob man die Strecke nicht verkürzen könne.

Clevere Geschäftsleute hatten erkannt, dass ein Rennauto, das 67 Mal an einer Werbebande vorbei fährt, mehr Marketingeinnahmen generieren kann als ein Rennauto, das nur 45 mal an dem Werbeschriftzug vorbei fährt. Eine kürzere Strecke bedeutet mehr Runden, die gefahren werden - also auch mehr Werbeeinnahmen Für die Zuschauer bedeutet es mehr Action im Motodrom. Also wurde umgebaut. "Modernisierung Hockenheimring" hieß das Millionenprojekt, das die Ring GmbH bis auf den heutigen Tag finanziell drückt.

Die renaturierte und zum Großteil aufgeforstete alte Strecke ist im Wald nur zu erahnen, auch wenn die gepflanzten Bäume erst 18 Jahre alt sind, der Bestand links und rechts davon aber wesentlich älter. "Aus der Luft wird man den Verlauf der alten Strecke aber sicher noch in 40 bis 50 Jahren erkennen können", sagt Münch. An zwei Stellen habe man ganz bewusst keine Bäume gepflanzt, sondern Lebensräume für spezialisierte Arten angelegt.

An der ehemaligen Jim-Clark-Schikane, die nach dem tödlichen Unfall der Rennlegende gebaut wurde, um die Geschwindigkeit der Rennwagen zu senken, wurde ein künstlicher Tümpel angelegt, der als Wasserstelle im sandigen Boden des Hardtwalds vielen Tieren als Tränke dient.

Kurz nach der alten Ostkurve wird vom Forst der Bereich der alten Naturtribüne offen gehalten. Das geht bis zu Fällungen von Kiefern, um eine offene Sanddünenlandschaft entstehen zu lassen, die Insekten und in deren Gefolge seltene Vogelarten wie den Ziegenmelker anlockt. Auf der Naturtribüne saßen bei Rennen die Besucher direkt auf der Sanddüne.

"Die Plätze waren begehrt, weil günstig zu bekommen",erinnert sich Georg Seiler Geschäftsführer der Hockenheimring GmbH. Auch entlang der alten Waldgeraden gab es günstige Stehplätze auf dem Hardtbachdamm. Die Besucher kletterten teilweise in die Bäume, um bessere Sicht zu haben. Heute zwitschern dort wieder die Vögel.

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