Traumatisierte Gäste, entsetzter OB und Demo gegen Polizeigewalt
Nach SEK-Einsatz in Käfertaler Wohnung: Die Polizei verteidigt ihr Vorgehen und weist "Racial Profiling" zurück.

Von Alexander Albrecht und Olivia Kaiser
Mannheim. Die Polizei hat am Dienstag Einzelheiten zum Einsatz eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) am Donnerstag in einer Wohnung im Stadtteil Käfertal genannt und Vorwürfe des "Racial Profiling" zurückgewiesen. Das konnte Kritiker jedoch nicht besänftigen.
Am Abend zogen Hunderte Teilnehmer einer Demonstration gegen Polizeigewalt und Rassismus durch die City. Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) entschuldigte sich in einer schriftlichen Erklärung, die vom städtischen Integrationsbeauftragten Claus Preißler fast zeitgleich zu den Protesten im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung des Gemeinderats verlesen wurde.
Anlass des Einsatzes waren "intensive Ermittlungen" der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg im Rauschgiftmilieu und zwei Durchsuchungsbeschlüsse. Einer davon richtete sich gegen den Käfertaler Wohnungsinhaber. Weil es Hinweise darauf gab, dass der Beschuldigte bewaffnet sein könnte, riefen die Beamten – wie in solchen Fällen üblich – das SEK hinzu. Der Mann hatte die Erdgeschoss-Wohnung über das Portal Airbnb für drei Wochen an vier junge Westafrikaner untervermietet. Diese waren im Rahmen eines dreiwöchigen Jugendaustausch-Programms der Black Academy in Mannheim zu Gast und vom Veranstalter untergebracht worden.
Das wussten die Beamten offenbar nicht. Als sie um 6 Uhr "schlagartig" die Wohnung stürmten, verließen die vier Gäste diese über die Terrassentür auf der Gebäuderückseite. "Fluchtartig", wie es im Polizeibericht heißt. Das SEK fesselte und kontrollierte das Quartett. Da im Zimmer der Vier "rauschgift- und sprengstoffverdächtige Gegenstände" entdeckt worden seien, habe man ihnen die vorläufige Festnahme erklärt, schrieb die Polizei. Die Kommunikation sei in Englisch und Französisch erfolgt.
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Da die Gegenstände sich als "äußerst ungewöhnlich verpackte Lebensmittel" entpuppt hätten, seien die Vier wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Die Maßnahmen dauerten laut Mitteilung 90 Minuten, ehe die Männer aus dem Benin in die Wohnung zurück durften. Der Arbeitskreis (AK) Kolonialgeschichte und die Black Academy sprachen dagegen von mehreren Stunden. Das wies Polizeisprecher Patrick Knapp zurück und auch, dass der Einsatz gegen die Gäste rassistisch motiviert gewesen sei. "Da ist überhaupt nichts dran", sagte er gegenüber der RNZ.
Der beschuldigte Wohnungsinhaber wurde festgenommen, nachdem die Beamten mehrere Waffen und weitere Beweismittel gefunden hatten. Die vier Afrikaner seien von den Vorkommnissen äußerst schockiert und verängstigt gewesen, wie die Black Academy auf ihrer Homepage mitteilte. Mittlerweile sind sie in ihr Heimatland zurückgekehrt.
Der AK Kolonialgeschichte rief dazu auf, an der Demonstration gegen Polizeigewalt teilzunehmen. Sie war ursprünglich angesetzt worden, um dem psychisch kranken Mann zu gedenken, der vor einem Jahr auf dem Marktplatz zu Tode kam. Die Staatsanwaltschaft hat in diesem Fall Anklage gegen zwei Polizisten erhoben.
Der SEK-Einsatz war auch Thema bei der hitzig-emotional geführten Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung. Zahra Alibabanezhad Salem, die Vorsitzende des Migrationsbeirats, sah "Widersprüche" zwischen dem von Polizeivizepräsidentin Ulrike Schäfer vorgestellten Ermittlungsstand und den Aussagen der Afrikaner. Und auch für OB Kurz sind noch längst nicht alle Fragen geklärt. Er hatte die Polizeispitze um eine "Sachverhaltsdarstellung" gebeten, nachdem er von dem SEK-Einsatz Kenntnis hatte – und erfahren, dass die Beniner für rund zwei Stunden in Gewahrsam genommen wurden. Ohne Schuhe, teilweise nur leicht bekleidet im öffentlichen Raum.
Noch am Freitag lud Kurz die insgesamt achtköpfige Gruppe, die Projektverantwortlichen und auch Vertreter des Migrationsbeirats ins Rathaus ein. Dort habe er sich sehr betroffen über den von den Beteiligten geschilderten Vorfall gezeigt, sagte Preißler. Erst eine Woche zuvor hatte Kurz die Beniner kennengelernt und mit ihnen auch über das Selbstverständnis der Stadt und die Frage gesprochen, ob Mannheim ein sicherer Ort für Menschen unterschiedlicher Herkunft sei.
Wie er die Gruppe vor einer Woche erlebt habe und wie er sie heute erlebe, zeige ihm deutlich die Auswirkungen des Vorfalls, so Kurz. Es schmerze ihn als Oberbürgermeister Mannheims, dass die jungen Erwachsenen am Sonntag traumatisiert ihre Heimreise antreten mussten. Kurz entschuldigte sich bei den jungen Menschen für das Erlebte. Er versprach der Gruppe, mit dem Polizeipräsidium das Gespräch zu suchen, die Aktivitäten und Gespräche zur Frage von strukturellem Rassismus und seiner Bekämpfung zu vertiefen.
Preißler und sein Team hatten nach eigenen Angaben schnell nach Möglichkeiten gesucht, die Gruppe bei der Verarbeitung der Geschehnisse zu unterstützen. So wurde im Einverständnis mit ihnen ein Termin bei der psychologischen Beratungsstelle der Stadt für Freitagmorgen vereinbart. Zudem organisierte der Integrationsbeauftragte eine Unterkunft für die gesamte Gruppe, da es ihr wichtig war, zu acht zusammen sein zu können. Eine Rückkehr in die Käfertaler Wohnung stellte für die vier Männer keine Option dar.
Schäfer sagte: "Wir haben die Maßnahmen genauso durchgeführt, wie wir es bei vier weißen Studenten aus Berlin gemacht hätten." Es stimme auch nicht, dass die Vier stundenlang nahezu unbekleidet festgehalten worden seien. "Wir haben sie rasch mit Jacken, weiterer Kleidung und Schuhen versorgt", betonte die Spitzenbeamtin.
Afrikaner löschen Bilder im Netz
Wie der Integrationsbeauftragte der Stadt, Claus Preißler, bei der Ausschusssitzung sagte, sind die Teilnehmer und Organisatoren des Austauschprogramms gerade dabei, sämtliche Bilder ihres Mannheimer Aufenthalts in sozialen Medien zu löschen. Sie wollten sich vor rechtsextremistischen Angriffen schützen, und das nicht nur wegen des aktuellen Falls. Laut Preißler gab es im Vorfeld des Besuchs eine Tagung im Schloss, bei der auch die deutsch-afrikanische Kooperation Thema war. Die Veranstaltung sei von Unbekannten gehackt und durch fremdenfeindliche Einspielungen massiv gestört worden.
In der Sitzung klang an, dass der Gegenbesuch von acht jungen Deutschen in Westafrika wohl ausfalle. Gestrichen wurde ein für Donnerstag – dem Tag des SEK-Einsatzes – geplanter Workshop. Dort wollten die Beniner ein Bild ihres Kontinents jenseits typischer Klischees vermitteln. Die Black Academy teilte mit, die Geschehnisse hätten bei den beim Stürmen der Wohnung noch schlafenden jungen Menschen zu "irreversiblen psychischen Schäden geführt". Sie seien eingeladen worden, für Vielfalt zu werben – "und wurden brutal gedemütigt".
Und das in einer Stadt, so Preißler, die sich gerade anschickt, vier Straßen auf der Rheinau umzubenennen, weil die Namensgeber für Kolonialismus oder Antisemitismus stehen. Der Integrationsbeauftragte sagte, es gehe beim strukturellen Rassismus nicht so sehr um Vorsatz, sondern mehr um die Wirkung, die Einsätze wie in Käfertal bei den Betroffenen hinterließen. "Falls der Einsatz als rassistisch empfunden wurde, bedaure ich das zutiefst", sagte Polizeivizepräsidentin Ulrike Schäfer nachdenklich.