"Das Ganze ist ein lernendes System"
Der Grünen-Landtagsabgeordnete Uli Sckerl reagiert auf die Kritik aus Weinheim.

Von Carsten Blaue
Weinheim/Heidelberg. Der Weinheimer Oberbürgermeister Manuel Just hat die Anmeldemodalitäten für die Corona-Impfung kritisiert und vom Land gefordert, diese besser auf Bedürfnisse von Senioren abzustimmen. Dieser Forderung soll sich der Landrat des Rhein-Neckar-Kreises, Stefan Dallinger, angeschlossen haben. Der Weinheimer Stadtseniorenrat monierte vor allem das Anmeldeverfahren im Internet. Viele Ältere hätten gar keinen Zugang zu digitalen Medien. Die Politik erzeuge hier ein Gefühl der Hilflosigkeit, und es fehle an Lösungen.
Jetzt hat der Innenpolitische Sprecher und Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag, Uli Sckerl, auf die Kritik reagiert. Wenn es mehr Impfstoff gegen das Corona-Virus gebe, dann werde die telefonische Terminvergabe für die Impfung viel schneller gehen, sagte Sckerl, der auch Stadtrat in Weinheim ist. Außerdem werde an besseren und leichteren Zugängen zur Online-Anmeldung im Internet unter www.impfterminservice.de gearbeitet.
Sckerl erinnerte daran, dass die Telefon-Hotline insbesondere für Senioren ausgebaut worden sei, die alleinstehend sind, nicht über einen PC oder Internetzugang verfügen oder keine Unterstützung aus der Familie oder Nachbarschaft haben. Gegenüber der RNZ kritisierten jedoch auch viele Leser, dass sie bei der zentralen Patientenhotline 116117 zur telefonischen Anmeldung entweder ewig warten müssen oder gar nicht durchkommen. Sckerl kennt das Problem: "Das Land hat für das entsprechende Call-Center inzwischen 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt." Und trotzdem gebe es überlastete Leitungen und Wartezeiten.
"Wir haben einfach noch zu wenig Impfstoff, um alle Nachfragen in kurzer Zeit zu befriedigen. Derzeit können täglich maximal 6500 Menschen in Baden-Württemberg geimpft werden", so Sckerl. Zugang hätten aber in der ersten Stufe des nationalen Impfplans eine Million im Südwesten. Diese Diskrepanz führe bei Bürgern zu Enttäuschungen. Aber warum führt sie auch zu Wartezeiten in einer Hotline?
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Der Abgeordnete bat um Geduld. Das System sei für Senioren darauf ausgelegt, dass die telefonische Anmeldung zu einem Impftermin mit dem Anstieg der Impfstoffmenge zügiger geht. Dann sei auch die von Just und Dallinger geforderte Information über einen rascheren Zugang zu Impfterminen sinnvoll. Die momentane Lage habe aber nichts mit der Bestellmenge an Impfstoff zu tun, wie oft spekuliert werde, betonte Sckerl. Dieser sei in ausreichender Menge für das Land geordert worden. Allerdings könne die Firma Biontech derzeit nicht schneller produzieren. In den ersten Wochen könne also nur eine begrenzte Zahl von Terminen vergeben werden. Eine Entspannung dieser Situation verspricht er sich auch von der Zulassung eines weiteren Impfstoffs.
Außerdem lobte Sckerl das Angebot des Weinheimer Stadtseniorenrats. Dessen Vorsitzender, der ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Georg Junginger, hatte die Bildung einer Arbeitsgruppe angekündigt, welche die Möglichkeiten zur Unterstützung der Älteren bei der (Online-)Impfanmeldung prüfen soll. "Wir sind sehr gerne zur Zusammenarbeit bereit", so Sckerl. Überhaupt arbeite man an Kooperationsmodellen mit der kommunalen Ebene. Diese sei "ein enorm wichtiger Partner".
So habe er etwa angeregt, mit dem Landesseniorenrat eine verbindliche Vereinbarung über die Zusammenarbeit mit den Kreis- und kommunalen Seniorenbeiräten zu treffen. Sckerl schwebt hier sogar eine "Koordinationsrolle" bei der "weiteren Vergabe und höherer Verfügbarkeit von Impfstoff" vor. Bei der Einbindung der Seniorenvertreter warnte die Stadt Weinheim jedoch.
Man sei zwar dankbar für das Engagement des Stadtseniorenrats, so Verwaltungssprecher Roland Kern. Es wäre derzeit aber wohl kaum im Sinne des Infektionsschutzes, wenn Ältere in die Stadt fahren würden, um sich mit Unterstützung des Stadtseniorenrats Impftermine zu sichern. Nein, erst müsse es um bessere Modalitäten der Anmeldung an sich gehen.
Bei allen Problemen will Sckerl eines jedoch nicht: schriftliche Einladungen an alle Berechtigten zum Impftermin. Da gebe es keine Auswahlmöglichkeit, sondern Termine würden zugeteilt, "und dann beginnt das große Verlegen."
Sckerl ließ in seiner Reaktion auf Just und Dallinger zudem durchblicken, wie neu die Situation für alle Beteiligten ist und dass man Erfahrungen sammeln muss: "Das Ganze ist ein lernendes System. Wann hatten wir je die Aufgabe, eine Impfung in so großem Maßstab zu organisieren?" Immerhin ist die Infrastruktur geschaffen: Tausende Ärzte, Fachpersonal und Freiwillige stünden bereit, um eine ganze Bevölkerung zu impfen, so Sckerl. Auch die neuen Kreisimpfzentren in Weinheim und Sinsheim seien gut aufgestellt.
Update: Montag, 11. Januar 2021, 20.45 Uhr
OB und Landrat fordern leichtere Anmeldung für Impfung
Warum so kompliziert? - Hürden für Senioren abbauen
Von Philipp Weber
Weinheim/Heidelberg. Das Land muss die Anmeldemodalitäten für die Corona-Impfungen besser auf die Bedürfnisse von Senioren abstimmen. Darin sind sich Weinheims Oberbürgermeister Manuel Just und Stefan Dallinger, Landrat des Rhein-Neckar-Kreises, nach Aussage der Weinheimer Stadtverwaltung einig. Laut Just standen die Telefone der örtlichen Dienststellen zuletzt kaum still, weil ältere Menschen nicht weiterkamen bei der Anmeldung. Auch der Weinheimer Stadtseniorenrat beklagt, dass die Politik ein Gefühl der Hilflosigkeit erzeuge. Stadt und Kreis sehen das Land aber nicht nur wegen der zentralen Anmeldung in der Pflicht – sondern auch, weil lokale Lösungsansätze kaum ausreichen.
Die Ausgangslage: Das Kreisimpfzentrum (KIZ) in Weinheim nimmt am Freitag, 22. Januar, seinen Betrieb auf. So sieht es die derzeitige Planung vor. Anmeldungen sind ab dem übernächsten Montag, 18. Januar, möglich. Derzeit können sich Impfberechtigte über eine zentrale Patientenhotline unter der Rufnummer 116.117 oder im Internet unter www.impfterminservice.de bei den Zentralen Impfzentren (ZIZ) anmelden, die aber nur wenige Termine vergeben können.
Zu der ersten Gruppe von Impfberechtigten zählen Menschen, die das 80. Lebensjahr vollendet haben. "Die überwiegende Mehrheit von ihnen lebt noch zu Hause, die meisten müssen sich also anmelden und dann ein Impfzentrum aufsuchen", sagt Hans-Georg Junginger (77). Der Anwalt, Sozialdemokrat und Ex-Landtagsabgeordnete ist Vorsitzender des Stadtseniorenrats in Weinheim. Er spricht für einen großen Bevölkerungsanteil: Seinen Angaben zufolge sind etwa 13.500 von rund 45.000 Weinheimern älter als 60 Jahre.
Die Kritikpunkte der Senioren: Junginger schätzt, dass etwa ein Drittel der Weinheimer Zielgruppe kaum oder gar keinen Bezug zur digitalen Welt hat. Eine Impf-Anmeldung über eine Webseite komme für diese Gruppe nur infrage, wenn Angehörige oder Betreuer mithelfen. Und dass die Telefon-Hotline oft überlastet ist, wissen nicht nur die Senioren. Mit digitalen Anmeldeverfahren hat der Stadtseniorenrat bisher keine guten Erfahrungen gemacht: Schon im Sommer hatten viele Ältere Probleme mit der "Waidsee-App", mit deren Hilfe die Stadt den pandemiegerechten Zugang zum lokalen Strandbad kontrollierte.
"Es ist unbefriedigend, wenn die Ältesten jetzt dazu aufgerufen werden, sich um eine Impfung zu kümmern – und dann keine angemessenen Möglichkeiten haben, dem nachzukommen", kritisiert Junginger. Die Politik erzeuge damit ein Gefühl der Hilflosigkeit. Dabei hätten die Älteren schon genug Probleme, so Junginger: Für Senioren sei eine Warteschlange vor der Tür einer Postfiliale nicht nur ärgerlich – sondern unter Umständen ein echtes Hindernis, nennt er ein Beispiel. Durch die pandemiebedingte Absage von Sportangeboten für Ältere entstünden zudem Verletzungsrisiken.
Die Kritikpunkte von OB Just: Die vielen Anrufe bei den lokalen Dienststellen seien "offenbar das Ergebnis einer unzureichenden Information durch das Land", ärgert sich der OB: "Wir können den Leuten leider gar nicht helfen, weil wir keinen Zugriff auf die Impftermine und ihre Vergabe haben." Auch der Rhein-Neckar-Kreis sei hierfür nicht zuständig. Gleichwohl sei das Informationsbedürfnis groß. Grundsätzlich freue es ihn, dass Weinheim ein KIZ im zentral gelegenen Drei-Glocken-Center bekommt. Er forderte das Land jedoch dazu auf, die ältere und impfberechtigte Bevölkerungsgruppe so transparent wie möglich über den Weg zur Impfanmeldung zu informieren. Die kommunalen Behörden stünden jederzeit als Unterstützer bereit. Bis zur KIZ-Eröffnung müsse ein praktikabler Weg bei der Terminvergabe gefunden werden.
Lokale Lösungsansätze: Wie schon im Sommer könnten Seniorenvertretung und Stadt kooperieren. Damals rückte die Verwaltung zwar nicht von der Online-Anmeldung fürs Strandbad ab, bemühte sich aber um eine etwas seniorenfreundlichere Gestaltung – und ließ in den Räumen des Stadtseniorenrats den begrenzten (Bargeld-)Verkauf von Bade-Karten zu. Auch jetzt seien Verwaltungsvertreter auf ihn zugekommen, so Junginger: Gemeinsam wolle man eine Arbeitsgruppe zusammenstellen. Diese solle Möglichkeiten erörtern, wie Ältere bei der Impf-Anmeldung unterstützt werden können. Stadtseniorenrat und andere Aktive arbeiten ohnehin an Projekten, um Ältere fit zu machen für digitale Endgeräte.
Stadtsprecher Kern zeigt sich dankbar für dieses Engagement. Beim Großthema "Corona-Impfung" solle dies aber nicht die einzige Lösung bleiben. "Im ersten Schritt muss es um die Anmeldung an sich gehen. Es wäre derzeit kaum im Sinne des Infektionsschutzes, wenn Ältere in die Stadt fahren, um sich mithilfe des Stadtseniorenrats Impf-Termine zu sichern."



