Plus Marchivum Mannheim

Geschichten von beklemmender Aktualität

Eine Ausstellung über Mannheimer Schutzräume im "Bunkerraum" wird Anfang Dezember eröffnet.

20.10.2022 UPDATE: 20.10.2022 06:00 Uhr 2 Minuten, 44 Sekunden
Im Zuge des bundesweiten Förderprogramms in den 1980er-Jahren wurden viele Bunker in Mannheim ertüchtigt, sodass sie der Bevölkerung Schutz vor ABC-Waffen bieten konnten. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim. Sie dienten als Zufluchtsorte vor Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg, waren bis zum Fall des Eisernen Vorhangs die Not-Adresse im Fall einer atomaren Bedrohung. Lange Zeit galten Bunker als Überbleibsel eines längst abgeschlossenen Kapitels und wurden zu Tiefgaragen, Wohnstätten oder zum Archiv umgewidmet. Als eine Art Andenken an die Geschichte der dicken Gemäuer plante das im Ochsenpferchbunker heimisch gewordene Stadtarchiv Marchivum schon vor vier Jahren, den Schutzräumen ein eigenes Ausstellungsformat zu widmen. Nun ist der beeindruckende wie beklemmende "Bunkerraum" fertiggestellt. Und das Thema könnte aktueller kaum sein.

Ein schmaler Gang, eine 15 Meter lange, sich mehrmals krümmende Leinwand, die parallel gleich mehrere Filme und Bilder der Mannheimer Stadtgeschichte vor den Augen der Besucher lebendig werden lässt. Bis zum Fußboden ragen die von sieben Projektoren übertragenen Bildfluten hinein und ergreifen einen schnell: der Wasserturm in den 1930er-Jahren, mit der Reichsflagge samt Hakenkreuz behangen, die ersten militärischen Angriffe auf deutsche Städte, die ab 1940 zum Bau der Luftschutzbunker führen. In Mannheim entstanden damals in kurzer Zeit über 50 Bunker. Unter dem Hof des Schlosses, unter dem Paradeplatz, in Feudenheim, Sandhofen, Lindenhof oder Käfertal – meist von Zwangsarbeitern erbaut, denen bei einem Bombardement der Zutritt verwehrt wurde.

Der größte Hochbunker befand sich in der Neckarstadt-West: Der Ochsenpferchbunker, der Schutz für bis 7500 Menschen bot. Über 80 Jahre später sitzt man gepolstert wie in einer Kino-Kulisse fast genau dort, wo Anfang der 1940er-Jahre ein kleiner Junge aus der Waldhofstraße um sein Leben fürchtete. "Draußen hörte man die Angriffe, und als der Strom ausfiel, wurde es dunkel und unheimlich", berichtet er und muss beim Gang ins Freie nachsehen, ob das Haus seiner Familie noch steht.

Die Stimme des Jungen ist natürlich nachgesprochen, die Eindrücke der Zeitzeugin Elfriede Eisenbeiser aber sind echt. Als junge Frau erlebte sie 1945 einen der letzten Angriffe auf den Bunker. Auch viele Jahrzehnte später holen sie die Emotionen ein. Auf dem Vorgänger der heutigen Jungbuschbrücke versorgte sie die Soldaten mit Tee, als sie ein leises Surren hörte. Aufklärungsflugzeuge dachte sie, rannte los – und überlebte. Nach dem Luftangriff aber sah sie viele Tote und Verletzte auf dem Vorplatz des Ochsenpferchbunkers. Auch der Soldat, mit dem sie zuvor noch gelacht hatte, lag darunter. "Er hat sein Leben sinnlos hergegeben, für einen sinnlosen Krieg", sagt sie – und lässt einen ergriffen zurück.

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Nach dem Kriegsende dienten die Bunker als Not-Unterkünfte für Familien. Doch unter den kalten und dunklen Wohnbedingungen litten vor allem die Kinder. "Bei uns ist immer Nacht, ich sehe keine Bäume und höre keine Vögel", klagt eine junge Bewohnerin über die menschenunwürdigen Zustände unter der Erde. Doch erst, als 1953 ein Baby im Bunker in Schönau starb, wurde das Thema politisch. Nur ein Jahr später konnten alle "Bunkerfamilien" in richtige Wohnungen ziehen. Bis Mitte der 1960er-Jahre aber blieben die stählernen Kriegsbauten Unterkünfte für alleinstehende Männer.

Es sind bewegende Filmprojektionen, nicht nur Kriegs-, sondern auch viele Mannheimer Alltagsbilder aus verschiedenen Jahrzehnten, die im 20. Jahrhundert von Dekade zu Dekade so grundverschieden wirken. "Dass es diese Aktualität bekommt, hätte man bei der Planung nicht wissen können", sagt Stadtarchiv-Leiter Ulrich Nieß bei einem ersten Einblick in den ab Anfang Dezember zugänglichen Bunkerraum, der Teil der neuen NS-Dauerausstellung "Was hat das mit mir zu tun?" sein wird, die Ende des Jahres eröffnen soll.

Der russische Angriff auf die Ukraine rückt auch die über 1,5 Meter dicken Stahlbetonmauern in ein neues Licht. Von der Angst vor einem Atomkrieg wird ebenfalls erzählt. 1980 erfolgten durch ein bundesweites Förderprogramm auch in Mannheim Umbaumaßnahmen an einigen Bunkern, um Schutz vor ABC-Waffen zu bieten, erklärt Kuratorin Karen Strobel. Auch unter dem heutigen Stadthaus im N 1 wurde ab den Sechzigern ein Atomschutzbunker ertüchtigt.

Erst mit dem Ende des Kalten Krieges, ab den 1990er-Jahren, wurden Bunker in ihrer Funktion umgewidmet. Heute dienen sie als IT-Serverräume, als Wohnturm wie in Feudenheim oder als zeitgeschichtliches Museum wie in Sandhofen. Oft werden die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude aber auch als unliebsames Kind mit wenig Zukunftspotenzial gesehen. Und von der breiten Bevölkerung vergessen. "Gibt es noch Bunker?", fragt eine Mannheimerin im Film bereits im Jahre 1978. Der unterirdische Pfalzplatzbau im Lindenhof sollte eigentlich einem Kindergarten-Projekt weichen. Nun aber steht er aufgrund des Ukraine-Kriegs wie andere stillgelegte und ungenutzte Bunker unter Bestandsschutz. "Die Vergangenheit ist nie Vergangenheit, sie holt einen doch immer irgendwie ein", sagt Nieß.

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