Clubs stärken, Anwohner ernst nehmen
Das sind die Aufgaben - Zwei Frauen und acht Männer kandidieren

Im angesagten Mannheimer Stadtteil Jungbusch floriert die Club- und Partyszene - doch das gefällt vielen Anwohnern nicht. Sie klagen über Lärm und Müll. Foto: Gerold
Von Julia Giertz und Alexander Albrecht
Mannheim/Amsterdam. Der Countdown zur Wahl des ersten deutschen Nachtbürgermeisters ("Night Mayor") in Mannheim läuft. Im Chaplin Club am Wasserturm (N7, 10) stellen sich Donnerstag Abend ab 18.30 Uhr die verbliebenen zehn von ursprünglich 40 Kandidaten bei einer öffentlichen Veranstaltung vor.
Die Finalisten sind zwischen 24 und 53 Jahre alt. Es sind zwei Frauen und acht Männer mit ganz unterschiedlichen Hintergründen: Gastronomen, DJs und Musiker, aber auch ein Dozent für Wirtschaft ist dabei. Ihr gemeinsames Aushängeschild: Begeisterung für die Quadratestadt und das Nachtleben.
Videokünstler Benjamin Jantzen etwa gibt als Motiv für seine Bewerbung an: "Ich möchte ,Night Mayor’ werden, weil ich Mannheim liebe." Seine Konkurrentin, die Studentin Carla Schweizer, möchte den Posten, "weil ich sicher bin, dass ein konfliktfreies Miteinander aller Akteure des Nachtlebens möglich und nötig ist". Der "Night Mayor" soll dafür sorgen, dass die Clubszene floriert, Anwohner aber keinen Grund zur Beschwerde haben.
Dem Finale am Donnerstag gingen mehrere Runden voraus. In die Endauswahl kamen sieben Kandidaten auf Wunsch eines Kuratoriums aus Vertretern der Stadt und der Clubszene, drei über eine Internetabstimmung. Dabei lag Hakan Bozkurt vorne, Gründungsmitglied des Mannheimer Produzenten- und DJ-Teams "Die Clubcrushers". Bozkurt erhielt den ersten von zehn möglichen Punkten.
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"Die Bewerber werden am Donnerstagabend ihre Visionen für die Nachtkultur mit Hilfe von Bildern und bei anschließenden Kurzinterviews vorstellen", sagt Matthias Rauch, der Leiter der Kulturellen Stadtentwicklung. Jedes Mitglied der achtköpfigen Jury und das Publikum vergeben schließlich jeweils einen Punkt.
Bei einem Gleichstand zwischen zwei oder mehreren Kandidaten hat Matthias Rauch als Jurychef doppeltes Stimmrecht. Der "Night Mayor" wird zum 1. August auf Honorarbasis für monatlich 50 Stunden eingestellt.
Städte im Ausland haben bereits Erfahrungen mit einem Nachtbürgermeister gesammelt, darunter New York, London und auch Zürich. In Amsterdam trat der erste bezahlte "Night Mayor" weltweit, Mirik Milan, im Jahr 2012 diesen Posten an. Im Vergnügungsviertel Rembrandt versuchte er bis Mitte dieses Jahres, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Club- und Barbetreiber einerseits und der Anwohner andererseits herzustellen.
Den Stab hat er an eine nichtstaatliche Organisation übergeben, die jetzt mit viel Manpower die nächtlichen Aufgaben meistern soll. "Man sollte transparent sein in seinen Zielen und den Dialog über Verbesserungen am Laufen halten", erläutert der Mann, der als Beruf "global nightlife consultant" angibt.
Die Stadtverwaltung wolle weniger Lärm, Müll und asoziales Verhalten im öffentlichen Raum. Dagegen stehe die Entwicklung der Stadt für die Bedürfnisse junger kreativer Köpfe, die Clubs und Livemusik schätzen. "Dies trägt zum Gefühl einer Großstadt bei", so Milan.
Die Probleme beginnen nach seiner Erfahrung nicht in den Clubs, sondern erst, wenn die Gäste sie verlassen. "Sobald sie den öffentlichen Raum betreten, fangen sie an, rumzuschreien oder an jeder Ecke zu pinkeln."
Deshalb hat Milan etwas durchgesetzt, was auf den ersten Blick im Widerspruch zum Ruhebedürfnis der Anwohner stehen mag - längere Öffnungszeiten. Bars dürfen in Amsterdam bis 6 Uhr morgens, Clubs bis 8 Uhr öffnen. "Dadurch entzerren sich die Besucherströme - es gehen nicht alle auf einmal nach Hause." Dadurch sei die Zahl der Beschwerden wegen Lärms um 30 Prozent gesunken.
An Wochenenden sind im Rembrandt 20 Sozialarbeiter eingesetzt, die für Deeskalation sorgen, Störenfriede identifizieren und durstgeplagten Partygängern Wasser anbieten. Im Notfall bringen sie sie in sichere Räume oder geben Instruktionen, wie sie am schnellsten und sichersten wieder nach Hause finden. Toiletten, die werktags in der Erde verschwinden und nur am Wochenende hochgefahren werden, sollen die Zahl der Wildpinkler reduzieren.
Milan zieht Bilanz seiner Amtszeit: Die Gewalt unter Alkoholeinfluss sei um 25 Prozent gesunken, das Vermüllen und Urinieren in der Öffentlichkeit sogar um 30 Prozent. Das Konzept kostet nach Milans Worten 130.000 Euros im Jahr, wobei ein Drittel davon die Nachtclubbesitzer selbst zahlen. Das sei aber gut angelegtes Geld: "Eine vibrierende Metropole zieht junge Leute an und bindet sie - die Arbeit des Nachtbürgermeisters bereichert so die Stadt und ihre kulturelle Anziehungskraft."



