Gärten werden wegen Klimawandel in Zukunft wild und dynamisch
Ein internationales Symposium beschäftigte sich bei der Bundesgartenschau mit den vom Klimawandel bestimmten Anforderungen an die Gestaltung von Grünflächen.

Von Thomas Veigel
Mannheim. Die grüne Branche steht vor einem Paradigmenwechsel. Was sicher schien, muss neu gedacht werden. Die Auswirkungen des industriellen Zeitalters zwingen dazu. Der Klimawandel wird die Aufgabenstellungen und Anforderungen dramatisch verändern. Städte müssen heruntergekühlt werden, private Gärten müssen mit immer weniger Wasser auskommen und Biodiversität darf für keinen Gärtner mehr ein Fremdwort sein.
Wissenschaftler und Praktiker haben den Ruf vernommen. Im Moment ist man noch dabei, Themen zu sammeln, neue Arbeitsgebiete zu identifizieren. Was genau auf die Gärtner, Gartengestalter, Landschaftsarchitekten und Pflanzenzüchter zukommt, weiß noch niemand.
Im Weinheimer Hermannshof haben sich vor einiger Zeit eine Praktikerin und eine Wissenschaftlerin getroffen – die Landschaftsarchitektin Bettina Jaugstetter mit Büro in der Zweiburgenstadt und die in Frankreich lebende Philosophin Anna Lena Hahn, die gerade an einer Doktorarbeit über die sich verändernde Rolle des Landschaftsarchitekten im ökologischen Wandel arbeitet. Gemeinsam hatten sie die Idee für ein internationales Symposium, das sich mit den neuen Themen und Fragestellungen beschäftigen sollte. Unter dem Titel "The Dynamic Vision" stellten sie ein Programm zusammen, engagierten Vortragende aus Europa, Nord- und Südamerika – allesamt Koryphäen auf den Gebieten der Botanik, der Landschaftsplanung und der Gartengestaltung.
Es war eine hochkarätige Veranstaltung, die, organisiert von der Gesellschaft der Staudenfreunde, am Donnerstag und Freitag vergangener Woche in der Baumhainhalle im Mannheimer Luisenpark stattfand. Das Symposium im Rahmen der Bundesgartenschau stattfinden zu lassen, lag nahe, zumal Bettina Jaug- stetter zahlreiche Wechselflor- und Staudenpflanzungen im Spinelli-Park und in der Stadt Mannheim geplant hatte. Mehr als ein Dutzend Vorträge und Diskussionen standen auf dem Programm.
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Es wurden keine abschließenden Lösungen präsentiert, aber die 450 Teilnehmer gingen mit einem Koffer voller Denkanstöße und einigen neuen Erkenntnissen nach Hause. Die meisten blieben noch bis Samstag, denn Bettina Jaugstetters Ehemann Cassian Schmidt, bis März Leiter des Hermannshofs in Weinheim, durfte die Teilnehmer des Symposiums zu seiner wahrscheinlich letzten Führung im ehemals wissenschaftlich ausgerichteten Garten einzuladen. Die versammelte Fachwelt verabschiedete einen der einflussreichsten und innovativsten Gartengestalter der Gegenwart mit stehenden Ovationen.
Naturnahe und naturalistische Gestaltungskonzepte für Gärten gibt es – bis auf einige frühere Vorreiter – erst seit den frühen 1980er-Jahren, als Professor Richard Hansen sein Standardwerk über die Lebensbereiche der Stauden veröffentlichte. Cassian Schmidt war einer der Gestalter, der diese Ideen in den vergangenen 25 Jahren im Hermannshof wissenschaftlich fundiert weiterentwickelte und zum Mainstream machte.
Begrenzt wurden die Pflanzungen nach dem Vorbild der Natur bisher durch immer noch sehr traditionelle Vorstellungen davon, was schön ist. Ein Garten wird immer gestaltete Natur bleiben, aber von unseren konventionellen Vorstellungen von Schönheit werden wir uns verabschieden müssen. Wenn die Temperaturen steigen, wenn Hitzeperioden länger werden und der Regen wochenlang ausbleibt, können wir nicht mehr erwarten, dass der Garten von Februar bis November in voller Blüte steht. Wir werden es in Zukunft ertragen müssen, dass unsere Gärten schon im August braun werden können. Und wir müssen lernen, dass auch braune Gärten schön sein können – wenn die richtigen Pflanzen verwendet werden, denen es gelingen kann, mit den Strukturen ihrer Blätter, Äste und Samenstände unserem ästhetischen Empfinden zu genügen.
Dynamik in naturalistischen Pflanzungen ist schon immer ein Thema, das aber bisher nicht zu Ende gedacht wurde. Bisher wurde der Dynamik im Garten mit massivem Arbeitseinsatz Einhalt geboten. Da der kaum noch zu finanzieren ist, wurden viele Grünanlagen zu totem Rasen degradiert oder – wenn man es sich leisten konnte – neu angelegt. In Zukunft wird man mit der natürlichen Dynamik arbeiten müssen. In der Natur gilt das Recht des Stärkeren. Einige Pflanzen werden dominant, weil sie sich aussäen oder Ausläufer bilden.
Dazu kommen Invasoren – Pflanzen, die vom Wind oder von Vögeln verbreitet werden. Um diese Dynamik zu beherrschen, ist ein immenses Wissen nötig, sowohl bei der Auswahl der Pflanzen als auch der bei Pflege der angelegten Gärten. Beim Symposium wurde deutlich, dass es neue gärtnerische Ausbildungen und Berufe geben muss. Die Anforderungen werden komplexer. Gärten und Grünanlagen in Städten werden in Zukunft die letzte Zuflucht der Natur sein, wenn die landwirtschaftliche Monokultur bei steigender Weltbevölkerung weiter zunehmen wird. Gärten werden in dicht besiedelten Industrieländern die wichtigsten Biotope für Insekten werden – es sei denn, die Landwirtschaft wandelt sich radikal, was nicht zu erwarten ist.
Dazu wird viel langfristiger gedacht werden müssen. Ökologen und Gartengestalter waren bisher Gegner – in Zukunft werden sie zusammenarbeiten müssen. Die Gärtner werden sich verstärkt des Themas Biodiversität widmen müssen. Die Ökologen werden ihren Widerstand gegen die Verwendung nicht-einheimischer Pflanzen in der Gartengestaltung aufgeben müssen. Auch Pflanzen sind Migranten, der Klimawandel zwingt sie zur Wanderung. Statt diese Neophyten zu verteufeln, müssen sie integriert werden.
In den Städten wird der Ruf nach Kühlung und Beschattung lauter, weshalb in Zukunft die Verwendung von Bäumen und Sträuchern wichtiger wird. Es werden neue, hoch qualifizierte gärtnerische Berufe entstehen, die die dynamisch angelegten Gärten und öffentlichen Grünanlagen pflegen werden. Denn eines wird bleiben: Ein Garten, der nicht gepflegt wird, wird in unseren Breiten irgendwann Wald. Oder in Zukunft Steppe, weil für Bäume nicht mehr genug Wasser da ist. Die Natur ist stärker als der Mensch, sie braucht ihn nicht. Wenn der Mensch überleben will, muss er sich an die Natur anpassen. Das gilt auch für den Gärtner, der mit einem Stückchen gestaltete Natur sich selbst und andere Menschen erfreuen will.



