"Gegen das Vergessen" beim Wasserturm eröffnet
Die Ausstellung bildet das Herzstück der Veranstaltungsreihe "1945-2025: 80 Jahre Verantwortung für Frieden und Demokratie".

Überlebensgroß blicken sie einem entgegen. Am Vorplatz des Wasserturms sind die großformatigen "Gegen das Vergessen"-Porträts von Luigi Toscano nun bis zum 11. Mai zu sehen. Foto: Marco Partner
Von Marco Partner
Mannheim. Nach über zehn Jahren kehren sie zurück nach Mannheim. Aus einem Aufruf ist in der Zwischenzeit ein Appell, eine Mahnung geworden. Mit "Gegen das Vergessen" porträtierte der Fotograf Luigi Toscano Überlebende des NS-Terrors. Nun sind 60 dieser großformatigen Gesichter am Vorplatz des Wasserturms ausgestellt. Sie bilden das Herzstück der Veranstaltungsreihe "1945-2025: 80 Jahre Verantwortung für Frieden und Demokratie".
Überlebensgroß blicken sie einem entgegen. Ohne Worte erzählen sie mit ihren Gesichtern Geschichten. Wach, ausdruckstark, fordernd. Um zu erinnern und nicht zu verdrängen. In Kiew, Jerusalem, im Unesco-Quartier in Paris. Vor dem Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York oder am Lincoln Memorial Reflecting Pool in Washington D.C. hat Toscano seine berührenden Biografie-Werke bereits präsentiert. Den Anfang aber nahm die Ausstellung 2015 an der Fassade der Alten Feuerwache.
Mehr als 500 Überlebenden der NS-Verfolgung ist Luigi Toscano inzwischen persönlich begegnet. Ob jüdische KZ-Häftlinge, politisch Verfolgte oder polnische Zwangsarbeiter: Für die Porträtierten war der Schritt vor die Kamera auch die Rückkehr in eine eigentlich nicht zu überwältigende Vergangenheit. Aber auch die fast einmalige Chance, als Zeitzeuge der Nachwelt erhalten zu bleiben, das Leid, die Qual, aber auch das Überleben an sich sichtbar werden zu lassen.
"Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden", zitiert Kulturbürgermeister Thorsten Riehle zur Eröffnung den KZ-Überlebenden und späteren Auschwitz-Ankläger Fritz Bauer. Bewusst werde die Schau um den 8. Mai gelegt. Dem Gedenktag, der in Frankreich oder Großbritannien als das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert wird. In West-Deutschland hingegen tat man sich lange schwer mit dem Datum, das auch als Tag der Kapitulation oder gar Niederlage wahrgenommen wurde. "Es dauerte 40 Jahre, bis 1985 mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker erstmals öffentlich vom Tag der Befreiung gesprochen wurde", schildert Riehle.
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Ganz bewusst wurde die frei zugängliche Ausstellung auch am Wasserturm platziert. Dem Wahrzeichen Mannheims, das während der Nazi-Diktatur mit Hakenkreuzen beflaggt war. Toscano gibt diesem Gräuel der 1930er und 40er Jahre mit seinem Großprojekt ein Gesicht. Er macht die menschlichen Schicksale hinter starren Todeszahlen begreifbar. Denn hinter den Furchen und Narben verbergen sich individuelle Geschichten, wie die von Zilly Schmidt. Eine Holocaust-Überlebende, die im Oktober 2022 im Alter von 98 Jahren in Mannheim verstarb.
"Sie wuchs als Sinti und Roma in einer Schaustellerfamilie auf. Ihr Bruder trat sogar der Wehrmacht bei, doch das half nichts", sagt Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma. Schmidt wurde zunächst ins Konzentrationslager Lety in Böhmen und dann in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Am 2. August 1944 sollte dort ihre vierjährige Tochter in einer Gaskammer den Tod finden. Zilly Schmidt wurde am gleichen Tag nach Ravensbrück zur Zwangsarbeit deportiert.
Dabei gelang ihr die Flucht, doch es dauerte fast ihr ganzes Leben, bis sie öffentlich über ihre unvorstellbaren Erlebnisse sprechen konnte. "Das Erinnern ist vielleicht die wichtigste Form unserer Respektsbekundung", appelliert daher Heidrun Deborah Kämper, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mannheim. Denn bei den Zeitzeugen herrschte auch immer die Angst vor, dass ihnen nicht geglaubt wird, dass ihre schrecklichen Erfahrungen einfach so in Vergessenheit geraten. Daher dankt sie Toscano für die Form des sichtbaren Gedenkens. Gerade in Zeiten, in denen Erinnerungskultur von Rechtsextremen als "dämlich" oder gar "Schande" abgetan werde.
Um die Erinnerungen für die Nachwelt zu bewahren, suchen Toscano und sein Team nicht nur die großen Plätze auf, sie arbeiten auch mit Schulen zusammen. Das Moll-Gymnasium hat eine Patenschaft für die bis zum 11. Mai währende Ausstellung übernommen und bietet spezielle Führungen an.
Luigi Toscano selbst erinnert noch einmal an den Beginn des Projekts. "Der Start war nicht prickelnd, bei Anfragen für Förderungen bin ich auf viel Ablehnung gestoßen. Es hieß: Wir investieren in die Zukunft und nicht in die Vergangenheit", erinnert er.
Zur Eröffnung vor zehn Jahren kamen noch Zeitzeugen persönlich angereist. In den letzten Jahren aber sind viele der Porträtierten verstorben. "Ihnen gebührt der Dank! Da sie bereit waren, ihre Geschichte zu erzählen. Da sie uns daran erinnern, Haltung zu zeigen", betont er. Um nicht zu vergessen. "Denn wer die Vergangenheit vergisst, ist verdammt, sie zu wiederholen", mahnt Toscano.
Info: Über 30 Veranstaltungen gibt es im Rahmen der Veranstaltungsreihe "80 Jahre Verantwortung für Frieden und Demokratie". Mit Lesungen, Konzerten, Stadtführungen, Ausstellungen, Workshops und Podiumsdiskussionen. Das Programm ist unter www.kriegsende-mannheim.de abrufbar.