Geflüchtete sollen in der Walzmühle einziehen
Es ist eine umstrittene Lösung auf Zeit: Ludwigshafen plant, den ehemaligen Supermarkt als Unterkunft zu nutzen.

Von Marco Partner
Ludwigshafen. Ein Einkaufszentrum als Flüchtlingsunterkunft: In Ludwigshafen soll der ehemalige Real-Markt in der Walzmühle ab Mitte oder Ende Dezember zur Unterbringung von rund 400 Geflüchteten dienen. Damit versucht die Stadt, den hohen Zuweisungen gerecht zu werden und zugleich die Vereine durch die Belegung von Turnhallen nicht weiter zu belasten. Die Walzmühle, die derzeit nur noch ein Kino beherbergt und im kommenden Jahr einen großen Umbau erfahren soll, gilt jedoch nur als Interimslösung. Langfristig sucht die Stadtverwaltung nach Alternativen.
Über 1600 Asylsuchende sind in Ludwigshafen in Unterkünften und Wohnungen untergebracht. Noch in diesem Monat kommen fast 800 Personen dazu, die Herkunftsländer seien vor allem Syrien, Afghanistan und die Ukraine, hieß es. Die Chemiestadt stößt an ihre Kapazitätsgrenzen. Denn alle Unterkünfte sind belegt, auch die seit März zur Notunterkunft umfunktionierten Hallen in der Watt- und Wollstraße werden voraussichtlich bis Ende des Jahres voll besetzt sein. Und so kommt das ewige Sorgenkind, die Walzmühle am Berliner Platz, ins Spiel.
Im Jahr 1998 wurde das historische Mühlenwerk am Rhein saniert und mit großen Ambitionen und finanziellem Aufwand ein Einkaufszentrum mit Supermarkt, Kino, kleinen Läden und direktem S-Bahn-Anschluss angebaut. Zehn Jahre später war bereits ein Viertel der etwa 20 Läden dicht, 2016 war ein 50-prozentiger Leerstand zu verzeichnen. Heute steht die Einkaufspassage größtenteils leer, zum Jahresende wird auch das Kino weichen. Ein großer Umbau zu einem Nahversorgungszentrum soll folgen.
In der Zwischenzeit kann der frühere Real-Markt bis Sommer 2024 als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Die anzumietenden Flächen sollen wie die bestehenden Notunterkünfte mit kleinen Wohnkabinen, Hochbetten und Spinds ausgestattet werden und Platz für bis zu 400 Personen bieten. Es sei vorgesehen, die Asylunterkunft, wie andere Standorte auch, gemeinsam mit einem Betreiber und einem Sicherheitsdienst zu führen.
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Der Stadtrat stimmte der Entscheidung in einer nicht-öffentlichen Sitzung zu. Doch schon jetzt regt sich Widerstand, gibt es Bedenken, ob eine Flüchtlingsunterkunft in solch zentraler Lage mit Musikclub, Geschäften, vorübergehendem Weihnachtsmarkt sowie bestehender Alkohol- und Drogenproblematik am S-Bahnhof und Berliner Platz überhaupt funktionieren kann. Für Anfang Dezember sei daher eine Informationsveranstaltung für Anwohner rund um die Walzmühle geplant. Auch solle es eine feste Anlaufstelle für mögliche Anliegen aus der Nachbarschaft geben. Von Dauer werde die "Notlösung" ohnehin nicht sein, spätestens bis Ende September 2024 müssten die Räume an den Eigentümer zurückgehen.
Mit Hochdruck habe die Verwaltung an der Prüfung möglicher Optionen für die Unterbringung von Geflüchteten gearbeitet, aber auch klare Ausschlusskriterien gesetzt. "Auf keinen Fall wollten wir Schulsport- oder Turnhallen belegen. Wir haben in der Corona-Zeit bitter erleben müssen, wie ausgerechnet Kinder und Jugendliche, aber auch der Breitensport unter den vielen Einschränkungen zu leiden hatten. Ebenso wenig wollten wir auf Gemeinschafts- oder Veranstaltungshäuser zurückgreifen", erklärt Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos).
Während der Corona-Pandemie war bereits das Erdgeschoss des Real-Markts für ein Impfzentrum angemietet worden. "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Dennoch sehen wir angesichts der Dringlichkeit keine andere Option als erneut Flächen anzumieten", so Steinruck. Ebenfalls kurzfristig machbar wäre ansonsten nur die Belegung der Eberthalle gewesen. Diese jedoch wird nicht nur von den Handball-Profis, den "Eulen", genutzt. Auch weitere, bereits langfristig geplante Veranstaltungen sollen in der Multihalle stattfinden.
Langfristig setzt Ludwigshafen bei der Not-Unterbringung von Geflüchteten auf Standorte mit festem Untergrund und vorhandenen Strom- und Wasseranschlüssen, um bei Bedarf schnell reagieren zu können – ob mit Containern oder Zelten. Sozialdezernentin Beate Steeg richtet ihre Kritik nach "oben": "Wir fordern von Bund und Land, die Kommunen bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht alleine zu lassen. Es braucht eine Zuweisungspolitik, die uns und unsere Stadtgesellschaft nicht permanent überfordert, sondern auf die jeweiligen sozialen Strukturen vor Ort Rücksicht nimmt." Vor allem bräuchte es eine auskömmliche Finanzierung der Kommunen zur Unterbringung von Geflüchteten.
Ein Rückgang der Zuweisungen sei nicht erkennbar, der angespannte Wohnungsmarkt verschärfe die Probleme. Denn viele geflüchtete Menschen mit Aufenthaltserlaubnis und Job müssten weiterhin in städtischen Unterkünften leben, da sie nur schwer eine Wohnung auf dem freien Markt finden. "Damit wächst wiederum der Druck durch steigende Belegungszahlen. Wir sind dabei, bezahlbaren Wohnraum allenthalben zu schaffen, aber wir brauchen auch dafür Zeit und die finanziellen und personellen Ressourcen", verdeutlicht Steeg.