Wenn Trockenheit ein Klimaphänomen wird
Ein Frühjahr ohne Regen ist eine Wetterkapriole – Doch immer öfter fehlt der Niederschlag

Von Harald Berlinghof
Heidelberg. Angesichts der Corona-Pandemie ist ein anderes drängendes Problem des Planeten Erde ein wenig aus dem Fokus geraten. Trotz des geringeren Schadstoffausstoßes als Folge der weltweiten, krisenbedingten Einschränkungen im Waren-, Flug- und Reiseverkehr und der Verschnaufpause für die Natur bleibt der Klimawandel in all seinen Facetten ein drängendes Problem. Die RNZ greift dies künftig auch regional auf – in unregelmäßig erscheinenden Berichten zu den Phänomenen und Aspekten des Klimawandels bis hin zu dessen Erforschung in der Metropolregion.
Schüler gingen für das Klima bis zum Corona-Lockdown jeden Freitag auf die Straße. Wissenschaftler mahnen und liefern Klimamodelle der Zukunft. Politiker stecken im Dilemma, einerseits das Weltklima retten zu müssen, andererseits die Menschen und damit ihre Wähler nicht überfordern zu dürfen. Wie wird der Klimawandel auf regionaler Ebene sichtbar und spürbar? Wie zuverlässig sind Vorhersagen der Wissenschaft?
Auch der vergangene Winter war kein Winter mehr. Das war der Eindruck, den viele in der Region hatten. Das hat mit dem Klimawandel zu tun – und auch wieder nicht. Beim Klimawandel kämpfen wir darum, die durchschnittliche globale Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf maximal zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Gegenwärtig ist die Welt aber noch auf dem Weg zu einer Erwärmung um vier Grad Celsius. Und das würde zu drastischen Umweltveränderungen führen. Also müssen die Klimagasausstöße, vor allem des Kohlendioxids, gedrosselt werden.
Draußen vor unserer Haustür waren es im Januar nicht zwei, und auch nicht vier Grad mehr als zu dieser Jahreszeit üblich. Draußen lag die Temperatur gefühlt um 10 bis 20 Grad höher als normal. Bei zehn Grad plus statt zehn Grad minus. Das aber ist nur zum Teil ein Klimaphänomen.
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Einzelereignisse wie ein warmer Januar, ein Minitornado in Birkenau im Odenwald vor elf Jahren oder eiergroße Hagelkörner in Hardheim und Walldürn im Jahr 2018 sind Wetterkapriolen und noch kein Klimawandel. Erst wenn diese Kapriolen sich häufen, dann lohnt der Blick in die Statistik. Und wenn die Zahlen der Statistiker eine Häufung mit statistischer Relevanz zeigen, kann man an Klimazusammenhänge denken. Die heißen und trockenen Sommer 2017 und 2018 waren isoliert betrachtet eine Wetterkapriole. Erst wenn man die ansteigende Kurve der sommerlichen Durchschnittstemperaturen seit 1970 sieht, wird aus der Wetterkapriole ein Klimaphänomen.
Das ist für die hiesigen Landwirte auch dieses Jahr schon wieder spürbar. Ihre Felder liegen trocken, seit fünf Wochen hat es nicht geregnet. Der Weinheimer Bauernverbandschef Fritz Pfrang warnt davor, dass der ausgebrachte Dung seine Wirkung nicht entfalten kann. Das könne geringere Ernteerträge nach sich ziehen. Das trockenste Frühjahr, an das sich der Bauer erinnern kann, war übrigens 1976. Damals regnete es bis zum Sommer nicht. Dieses Jahr kommt der Ostwind erschwerend hinzu. Westwind bringt mehr Feuchtigkeit, was Pflanzen eher spüren als Menschen.
Um zu statistisch relevanten Aussagen zum Klima zu kommen, benötigt man eine solide Datengrundlage. Diese aber fehlt auf lokaler Ebene häufig. Das in der Uni Heidelberg angesiedelte "Heidelberg Center for the Environment" (HCE) widmet sich unter anderem diesem Problem. Wie können lokale Klimadaten gewonnen werden, um sie Entscheidungsträgern der Politik als Handlungsgrundlage zur Verfügung zu stellen? Der Umweltphysiker Andre Butz erhofft sich von einem noch jungen Forschungsprojekt kleinteiligere Aussagen zu Kohlendioxid- oder Methanemittenten mit Hilfe von neuartigen Satelliten-Messmethoden. "Das wird schätzungsweise noch fünf bis zehn Jahre dauern. Mit bodengestützter Sensortechnik ist das aber bereits jetzt schon möglich", meint er. Ziel ist eine regionale Treibhausgas-Kartierung.
Mit "Alle reden vom Wetter – wir nicht" hatte die Deutsche Bundesbahn im Jahr 1966 einen prägnanten Werbeslogan aus dem Hut gezaubert. Damals redeten tatsächlich alle vom Wetter. Kein Mensch dachte ans Klima. Heute reden alle vom Klimawandel. Doch Klima ist etwas anderes als Wetter und Wetter ist etwas anderes als Witterung.
Wetterphänomene spielen sich in kurzen Zeiträumen ab. Klima ist ein langandauerndes Konstrukt aus Temperatur, Niederschlag, Sonnenscheindauer oder Windstärke, das nicht direkt beobachtet, sondern nur statistisch berechnet werden kann.
Wetter ist lokal und regional begrenzt, Klima ist global. Wetter ändert sich schnell, das Klima ändert sich langsam. Die Eiszeiten über Tausende Jahre sind zum Beispiel Klimaphänomene, ein warmer Winter von drei Monaten Dauer ist eine Witterung, ein mehrminütiger Gewittersturm ist Wetter. Entsprechend unterschiedlich werden Softwareprogramme gestrickt, die Klimadaten mindestens über 30 Jahre lang, manchmal aber auch bis in die Urzeit der Erde zurück sammeln, verarbeiten und in Prognosezahlen übersetzen, die dann über lange Zeiträume in die Zukunft weisen.
Für Wettervorhersagen sind dagegen kurzfristige Veränderungen von Bedeutung, und genauso kurzfristig blicken sie in die Zukunft. Bei der Vorhersage von Wetter wird die Zuverlässigkeit mit jedem Tag weiter in die Zukunft ungenauer und verliert an Wahrscheinlichkeit. Jetzt in Corona-Zeiten mangelt es noch mehr an Präzision, weil den Meteorologen die Daten fehlen. Normalerweise werden diese von Flugzeugen gesammelt, zum Beispiel Daten zu Temperatur, Windgeschwindigkeit oder Luftfeuchtigkeit. Nach Angaben des Zentrums für mittelfristige Vorhersagen (ECMWF) stellen diese Daten die wichtigste Informationsquelle nach den Satellitendaten dar. Doch mit dem Einbruch des Flugverkehrs kam auch der Datenfluss zum Erliegen.
Bei Klimamodellen dagegen reichen die Vorhersagen bis zu 100 Jahren in die Zukunft. Das geht, weil Klima keine Wetterkapriolen mit plötzlichen Wechseln kennt, sondern sich kontinuierlich verhält. Allerdings gibt es auch in diesen Modellen Abweichungen aufgrund der verschiedenen Grundannahmen.
Weitgehend einig sind sich die meisten Wissenschaftler, dass es einen Anstieg der Temperaturen geben wird – allerdings mit unterschiedlicher Schnelligkeit. Mathematiker legen Modelle für die Zukunft vor, die zeigen, dass der Klimawandel real ist. Strittig ist dabei nicht, dass der Mensch mit seinen Aktivitäten wesentlich dazu beiträgt. Strittig ist nur, wie groß der menschengemachte Anteil daran ist.



