Hockenheimring

Das ist die Bilanz des scheidenden Geschäftsführers Seiler

Georg Seiler geht nach 41 Jahren am Hockenheimring in den Ruhestand - 28 Millionen Euro Schulden hat der Ring

16.08.2019 UPDATE: 17.08.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 49 Sekunden

Georg Seiler wuchs nahe der Rennstrecke auf und brachte es dort bis ganz nach oben. Foto: Lenhardt

Von Harald Berlinghof

Hockenheim. Georg Seiler ist gewissermaßen im Schatten des Hockenheimrings aufgewachsen. Das alte Fahrerlager war sein Bolzplatz, wo er mit den Freunden nach der Schule gekickt und als kleiner Bub die ersten Motorradrennen auf dem Ring bestaunt hat. Danach hat er als starker Mann am Hockenheimring einige Bürgermeister, Ministerpräsidenten und Kollegen kommen und gehen sehen. Jetzt verlässt der Geschäftsführer der Hockenheimring GmbH nach 41 Jahren die Kommandobrücke und geht im Alter von 67 Jahren in den Ruhestand.

Herr Seiler, Sie sind ein "Hockenheimer Bu" und wurden 1952 unweit des Rings geboren. Wie war das damals?

Man ist hier mit dem Rennsport groß geworden. Viele Kinder in der Nachbarschaft haben, wenn Rennen auf dem Ring gefahren wurden, die Motorräder der Besucher in die Höfe der elterlichen Häuser geschoben und sich damit ein paar Pfennige Taschengeld dazu verdient. Wir Buben haben uns Bierdeckel an die Fahrradspeichen geklemmt, damit es schön geknattert hat, und sind auf der Rennstrecke, wenn nichts los war, Wettrennen gefahren. Mein Vater war bei der Feuerwehr und hat bei Rennen direkt am Ring gearbeitet. Da hat er mich manchmal an die Strecke mitgenommen. Da ist die Affinität zum Motorsport in mir entstanden. Das war toll, wie die Motorräder vorbeigesaust sind. Das war in den späten 50er- und frühen 60er-Jahren, bevor das Motodrom gebaut wurde.

Wie kamen Sie dann beruflich zum Hockenheimring?

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Nachdem ich meinen Betriebswirt in Mannheim gemacht hatte, kam ich als stellvertretender Verwaltungsleiter zum 1. Januar 1979 an den Ring. Damals waren wir fünf Leute. Heute sind es rund 60. Aber wir waren damals ja auch nur der Vermieter der Strecke an die Veranstalter. An den Wochentagen machte Mercedes-Benz auf dem Ring Testfahrten, am Wochenende konnten wir die Strecke dann an Rennveranstalter vermieten. Das war mit viel weniger eigenem Personal zu machen als heute. Es gab damals auch nur Rennbetrieb auf dem Ring, von Musikveranstaltungen waren wir noch ein ganzes Stück weit entfernt. Heute sind wir bei einigen Großveranstaltungen selbst Promoter und tragen das wirtschaftliche Risiko.

Mit so viel Benzin im Blut - sind Sie jemals selbst Rennen gefahren?

Nein, niemals. Ich durfte einmal als Geschenk zu meinem 50. Geburtstag mit einem Formel-2-Rennwagen fünf Runden auf dem Ring drehen. Das war beeindruckend. Ich bin lange selbst aus Spaß Motorrad gefahren. Aber Rennen nie.

Wie haben Sie sich kürzlich bei der Champagner-Dusche der Siegerehrung der Formel 1 gefühlt?

Das war einerseits ein Highlight und die Krönung meiner Arbeit für die Hockenheimring GmbH. Ich durfte den Pokal an den Zweitplatzierten überreichen. Und das war Sebastian Vettel, den ich sehr gut kenne. Andererseits geht einem da natürlich durch den Kopf, dass man nur dort ist, weil Dieter Gummer, der diesen Part während seiner Amtszeit stets übernommen hat, durch einen feigen Anschlag daran gehindert ist, dabei zu sein.

Der Erhalt der Formel 1 in Hockenheim war Georg Seiler (r.) ein ganz besonderes Anliegen. Das Foto zeigt ihn im Gespräch mit RNZ-Mitarbeiter Harald Berlinghof. Foto: Lenhardt

Es gab auch schreckliche Vorfälle auf der Strecke. Wie erinnern Sie sich daran?

Als Jim Clark auf der Strecke tödlich verunglückte, war ich noch ein Schüler und nicht in der Stadt. Aber das erschütterte Hockenheim und die ganze Welt. Am schrecklichsten ist mir der tödliche Unfall von Patrick Depailler im Gedächtnis geblieben. Eigentlich waren die Testfahrten gerade abgeschlossen, aber er drangsalierte uns, dass er noch eine Runde drehen wolle. Wir gaben nach und von dieser Runde kam er nicht mehr zurück. Da fühlt man sich schon ein wenig mitschuldig.

Sie haben immer um die Formel 1 in Hockenheim gerungen: finanziell, organisatorisch, vertraglich. Ihre Gesprächspartner waren die Ministerpräsidenten Erwin Teufel, Stefan Mappus und Günther Oettinger - vor allem aber Formal-1-Chef Bernie Ecclestone. Können Sie uns einen Einblick in die Verhandlungen aus dieser Zeit geben?

Kurz nach der Jahrtausendwende sprachen wir mit der Formula One Association (FOA) von Bernie Ecclestone über einen neuen langfristigen Formel-1-Vertrag. Als Gegenleistung wollte Ecclestone, dass die Strecke verkürzt wird - bei einer gleichzeitigen Erhöhung der Zuschauerkapazität. Bei kürzeren Strecken kommen die Autos öfter an den Zuschauern vorbei, weil mehr Runden zu fahren sind. Das macht die Rennen attraktiver. Es kam schließlich so weit, dass der Umbau des Hockenheimrings 2002 vertraglich festgelegt wurde. Der Ring wurde auf 4,6 Kilometer gekürzt und die Zuschauerkapazität stieg von 80.000 auf 120.000. Das braucht heute kein Mensch mehr. Wir haben etwa 40.000 Formel-1-Fans, die immer kommen. Im Juli waren es knapp 60.000 Zuschauer. Der Umbau hat uns 65 Millionen Euro gekostet, 15 Millionen davon schoss das Land zu. Mit dem Land haben wir in Stuttgart stets gute Gespräche geführt, die leider zu wenig geführt haben. Bis heute drücken uns 28 Millionen Euro Restschulden.

Wie kam die Formel 1 eigentlich nach Hockenheim?

Das erste Formel-1-Rennen fand 1970 in Hockenheim statt, weil die Fahrer den Nürburgring boykottierten. Erst 1977 gab es das zweite Formel-1-Rennen in Hockenheim. Das war im Jahr nach dem Feuerunfall von Niki Lauda am Nürburgring. Inzwischen habe ich seit 1979 insgesamt 34 Formel-1-Rennen auf dem Ring erlebt und mit organisiert. Das war anfangs finanziell ein gutes Geschäft. Auch 2002, nach dem Umbau, machten wir sechs Millionen Euro Gewinn, im Jahr danach noch drei Millionen Euro. Dann ging es in die Verlustzone.

Ihre "Pendeldiplomatie" mit Bernie Ecclestone zur Rettung der Formel 1 auf dem Ring ist fast schon legendär.

Ich kannte Ecclestone als sehr zuverlässigen und partnerschaftlich fairen Verhandlungspartner. So bin ich mit Oberbürgermeister Dieter Gummer mehrfach nach London geflogen, um mit Ecclestone in seinem Büro unter sechs Augen zu verhandeln. Wir hatten strengste Vertraulichkeit vereinbart, und es ist nie etwas nach draußen gedrungen. So haben wir es geschafft, eine Vereinbarung zu treffen, die uns als Promoter um Millionen entlastete. Auch weil Ecclestone ein Rennen in Hockenheim wünschte. Ich war in dieser Zeit, als es um den Ring nicht gut stand, einige Male in London. Vom Flughafen Frankfurt nach London Heathrow, ins Bürogebäude der FOA und am selben Tag zurück. Auch nach seinem Ausscheiden wünscht uns Ecclestone noch alles Gute zu unserem Grand-Prix-Wochenende.

Sie verlassen die Hockenheimring GmbH und Dieter Gummer gibt sein Amt ab, weil er die gesetzliche Altersgrenze erreicht. Verabschiedet sich auch die Formel 1 mit dem Rennen von 2019 aus Hockenheim?

Letzteres ist noch nicht sicher. Da müssen wir warten, bis der offizielle Formel-1-Kalender für 2020 veröffentlicht wird.

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