Es hat auch Vorzüge als Hausarzt auf dem Land
Uniklinik Frankfurt hat Heidelberger Modell übernommen und will angehende Mediziner für Praxen außerhalb der Städte begeistern - Ein Beispiel aus Wald-Michelbach

Landarzt Thomas Schlegelmilch mit seinem Praktikanten Jamin Spilok. Foto: Arnold
Von Ira Schaible und Alexander Albrecht
Wald-Michelbach/Heidelberg. Der Frankfurter Medizinstudent Jamin Spilok kann sich gut vorstellen, auf dem Land eine Arztpraxis zu übernehmen. "Ich möchte aber erst noch an verschiedenen Orten verschiedene Erfahrungen sammeln", sagt der 26-Jährige während eines Praktikums in Wald-Michelbach im Odenwald. Allgemeinmediziner Dr. Thomas Schlegelmilch führt den Großstädter in seiner Gemeinschaftspraxis an den Beruf des Landarztes heran. Der 60-Jährige will in fünf Jahren in den Ruhestand gehen und sucht einen Nachfolger, sein Kollege ist schon 70 Jahre alt. "Wir finden aber keinen", sagt Schlegelmilch. Dabei habe eine Landarztpraxis viele Vorzüge.
Mehr als 170 Hausärzte fehlen bereits in Hessen, wie Petra Bendrich von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) sagt. Allerdings nicht nur auf dem Land, sondern auch in stadtnahen Regionen. Das Durchschnittsalter der Hausärzte liege derzeit bei 54 Jahren, das der Fachärzte bei 52 Jahren. Damit sei bis 2030 mit einem erheblichen Nachbesetzungsbedarf zu rechnen. "Da die Teilzeitbeschäftigung bei Nachwuchsärzten steigt, wird sich das Problem des Ärztemangels weiter verschärfen und die Sicherstellung der ambulanten Versorgung erschweren."
Spilok und Schlegelmilch sind über das Projekt "Landpartie 2.0" der Frankfurter Universität und des Landkreises Bergstraße zusammen gekommen. Der Kreis Fulda und der Hochtaunuskreis machen auch mit. 15 Studenten werden pro Jahr genommen. Das Physikum haben sie hinter sich, bislang sind es insgesamt 30. Die ersten werden im Mai 2019 fertig. Die Kreise fördern das Programm und übernehmen auch einen Teil der Fahrt- oder Unterbringungskosten, wie Ronja Pohl vom Institut für Allgemeinmedizin sagt. Spilok gefällt unter anderem die Eins-zu-Eins-Betreuung und der frühe Kontakt mit Patienten besonders gut.
Das Projekt ist nicht in der Mainmetropole erfunden worden. "Die Frankfurter haben es von uns übernommen", sagt Prof. Joachim Szecsenyi, Ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Heidelberger Uniklinikum. Das dort ebenfalls angesiedelte Kompetenzzentrum Weiterbildung Baden-Württemberg (KWBW) tritt dem drohenden Mangel an hausärztlichem Nachwuchs entgegen. "Wir wollen junge Menschen für Praxen auf dem Land oder rund um die großen Städte begeistern und sie entsprechend schulen", erklärt Szecsenyi. Mit Erfolg: Inzwischen entschieden sich in Heidelberg immer mehr angehende Ärzte, einen Teil ihres Praktischen Jahres (PJ) in der Allgemeinmedizin zu absolvieren.
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Insbesondere im ländlichen Raum lebten viele ältere Menschen mit chronischen Krankheiten, weiß Petra Bendrich. Die Regress-Angst sei ein Niederlassungshemmnis und müsse im Herbst bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen über die neuen Prüfvereinbarungen berücksichtigt werden. Auch Schlegelmilch hat damit schlechte Erfahrungen gemacht: "Wir haben für die Heimversorgung Geld draufgelegt."
Viele junge Ärzte wollten keine Praxis mehr übernehmen, sondern lieber als Angestellte mit festen Zeiten arbeiten und die Betriebswirtschaft auslagern, berichtet der Mediziner. "Das ist ja schon ein kleines mittelständisches Unternehmen mit allem drum und dran." Junge Ärzte wollten auch ausreichend Zeit für ihre Familie haben, ergänzt Bendrich. Bei ihrer Berufswahl spielten daher auch Kindergärten, Schulen und das Freizeitangebot in der Nähe eine wichtige Rolle.
Szecsenyi nennt einige positive Argumente: So verdienten Landärzte inzwischen recht gut, behandelten eine große Bandbreite von Krankheiten und seien dabei so fit, dass sie 80 bis 90 Prozent der Patienten helfen könnten - ohne sie zum Facharzt schicken zu müssen. "Es ist ein wahnsinnig interessanter Job", sagt Szecsenyi. Und: "Es ist nicht so, dass die Versorgung auf dem Land zusammenbricht." Schlegelmilch schätzt die Lebensbedingungen in der Gemeinde Wald-Michelbach mit ihren gut 10.000 Einwohnern, die Luft im Odenwald und die Landschaft. Zwar gebe es durchaus auch mal einen Zwölf-Stunden-Tag in der Praxis, dafür arbeiteten sein Kollege und er aber nur vier Tage in der Woche. Seit Einführung des flächendeckenden ärztlichen Bereitschaftsdienstes hätten sie zudem an den Wochenenden und nachts frei. "Das war wie eine Neugeburt für uns auf dem Land."
Manche Patienten behandle er von der Geburt bis zum Tod, einige Familien kämen schon in der vierten Generation, beschreibt Schlegelmilch die attraktiven Seiten des Landarztes. Wenn man sich als Arzt erst einmal auf dem Land integriert habe, schließe man auch Freundschaften und Bekanntschaften über den Beruf hinaus. "Das ist in einer Großstadt viel schwieriger", sagt Schlegelmilch.
Dass Jamin Spilok noch nicht gleich aufs Land will, kann der erfahrene Arzt gut verstehen. Er selbst war 33 Jahre alt, als er mit seinem Kollegen die Praxis übernahm. Die beiden hatten im Weinheimer Krankenhaus gearbeitet. Jobs für Ärzte seien damals knapp gewesen und sie hätten einige hunderttausend D-Mark bezahlen müssen, um die leere Praxis überhaupt übernehmen zu können. "Aber Wald-Michelbach? Ich wusste gar nicht, wo das ist."



