Ein schweres Erbe
Ein Verein und eine Arbeitsgemeinschaft halten das Gedenken an das "Camp de Gurs" wach - Die Anwohner zeigen weniger Interesse

Von Anna Manceron
Gurs/Heidelberg. Am liebsten hätten die Menschen in Gurs schnell wieder vergessen, was sich während des Zweiten Weltkriegs vor ihrer Haustür abspielte. Von 1939 bis 1945 befand sich in dem kleinen französischen Dorf (heute knapp 430 Einwohner) nördlich der Pyrenäen eines der größten französischen Internierungslager: das "Camp de Gurs". Ursprünglich war es für politische Flüchtlinge und ehemalige Kämpfer des Spanischen Bürgerkriegs eingerichtet worden. Doch ab Oktober 1940 waren hier unter anderen auch mehr als 6500 deportierte Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland interniert.
Was sie erlebten, bezeichnen viele als die "Vorhölle von Auschwitz": Zwar wurden die in Gurs internierten Juden nicht systematisch vernichtet. Trotzdem starben viele von ihnen – vor allem die Älteren – an Entkräftung, Hunger und Krankheit. An das Leid, das Tausende dort durchlitten, erinnern heute eine nationale Gedenkstätte und ein Deportiertenfriedhof.
Hintergrund
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Vom ehemaligen Lager, das sich über eine zwei Kilometer lange und 500 Meter breite Fläche erstreckte, ist kaum etwas übrig geblieben. Die Gedenkstätte besteht aus einem Empfangsgebäude, einer Eisenbahntrasse, einer nachgebauten Baracke, einem Erinnerungspfad und einem von Stelen gesäumten Weg, der die wichtigsten Orte des ehemaligen Lagers miteinander verbindet. Die echten Baracken wurden nach der Schließung im Jahr 1945 abgerissen und der Boden mit Bäumen bepflanzt. "Dieser Wald sieht wundervoll aus, aber er verdeckt die Realität", sagt Claude Laharie. Der Historiker gehört dem "Amicale du Camp de Gurs" an, einem Verein für ehemalige Internierte sowie deren Angehörige und Freunde. Viele Mitglieder leisten auch Erinnerungs- und Dokumentationsarbeit. "Der ruhige Eindruck, den dieser Ort heute vermittelt, hat nichts mit dem Lager von damals zu tun", sagt Laharie. Der Wald sei zwar nicht gepflanzt worden, um das Geschehene zu vergessen. "Aber die meisten Menschen im Dorf identifizieren sich nicht mit diesem Ort", so der Historiker. "Er ist ihnen egal, oder sie wollen vergessen, was dort passiert ist." Vielen Franzosen falle es immer noch schwer, zuzugeben, dass es in ihrem Land Internierungslager gab. Zu den Gedenkfeiern kämen zwar viele offizielle Vertreter, aber nur wenige Bürger aus Gurs und der nahen Umgebung.
Hintergrund
Die badischen Juden wurden binnen kürzester Zeit verschleppt
Heidelberg. (web) Der Plan war geheim gehalten worden, aber ganz verheimlichen ließ er sich nicht: Schon vor dem 22. Oktober 1940 – dem jüdischen Laubhüttenfest – ahnte der Wanderprediger
Die badischen Juden wurden binnen kürzester Zeit verschleppt
Heidelberg. (web) Der Plan war geheim gehalten worden, aber ganz verheimlichen ließ er sich nicht: Schon vor dem 22. Oktober 1940 – dem jüdischen Laubhüttenfest – ahnte der Wanderprediger Richard Ney, was geschehen würde: Er schlug sich unter Lebensgefahr per Zug, Autobus und zu Fuß nach Lützelsachsen bei Weinheim durch, wo sein Schwiegervater Heinrich Liebmann lebte. "Als englischer Wanderlehrer für die jüdischen Landgemeinden Württembergs kam zufällig zu meiner Kenntnis, dass im Oktober 1940 alle Juden in Elsass-Lothringen und in der Pfalz in das Lager Gurs abtransportiert wurden. Ich war mir darüber im Klaren, dass innerhalb derselben Reichsstatthalterschaft nicht mit zweierlei Maß gemessen würde und dass den badischen Juden dasselbe Schicksal bevorstünde."
Liebmann war nicht von einer Flucht nach Württemberg zu überzeugen. Selbst nach Jahren der Entrechtung erschien eine Massen-Verschleppung vielen jüdischen Badenern unvorstellbar. Nachzulesen ist dies in dem Buch "Die Stadt Weinheim zwischen 1933 und 1945", das auf die "Wagner-Bürckel-Aktion" eingeht.
Der 22. Oktober 1940 sollte als einer der schwärzesten Tage in die Geschichte Süddeutschlands eingehen. Den 6504 Opfern – darunter 5617 jüdische Mitbürger aus Baden – blieb kaum Zeit, ihre Habseligkeiten und maximal 100 Reichsmark zusammenzupacken. Die Enteigneten wurden mit Zügen nach Frankreich verschleppt.
Benannt ist das Verbrechen nach den Gauleitern Robert Wagner (Baden) und Josef Bürckel (Saarpfalz). Die beiden "teilten" sich Elsass-Lothringen, das nach dem militärischen Sieg Nazideutschlands über Frankreich dem "Reich" einverleibt wurde. Die Vichy-Regierung, die dem unbesetzten Süden Frankreichs vorstand, musste der Aufnahme aller abgeschobenen Juden aus Elsass-Lothringen zustimmen. Dies dehnten Bürckel und Wagner einseitig auf die Juden aus Saarpfalz und Baden aus. Proteste der anderen Seite blieben folgenlos. Die Opfer wurden in Gurs interniert. Nur wenigen gelang die Emigration. Einige Kinder wurden von Hilfswerken gerettet. Der 1875 geborene Liebmann wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Wagner wurde 1946 in Frankreich als Kriegsverbrecher hingerichtet. Bürckel musste sich nie verantworten. Er starb 1944 eines natürlichen Todes.
Damit die im Lager begangenen Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten, halten Deutsche und Franzosen jedes Jahr eine gemeinsame Gedenkfeier in Gurs ab. Die Organisation übernimmt stets die Stadt Karlsruhe. Gemeinsam mit dem Bezirksverband Pfalz und 15 weiteren Städten bildet sie die "Arbeitsgemeinschaft zur Unterhaltung und Pflege des Deportiertenfriedhofs in Gurs", der unter anderem auch Heidelberg, Mannheim und Weinheim angehören.
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Der Deportiertenfriedhof zählt rund 1070 Gräber, in denen vor allem Juden aus Süddeutschland ruhen. Seit Anfang der 1960er-Jahre kümmert sich die Arbeitsgemeinschaft im Rahmen einer Erbpacht um den Friedhof. Die Gräber seien in desolatem Zustand gewesen, berichtet Iris Kessler, die für die Stadt Karlsruhe arbeitet. Der damalige Oberbürgermeister, Günther Klotz, setzte sich maßgeblich für die Renovierung des Friedhofs ein, für dessen Erhalt nun die Arbeitsgemeinschaft sorgt. Offiziell läuft der Pachtvertrag über die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden. Die Pflegearbeiten übernimmt die Gemeinde Gurs und erhält dafür eine Aufwandsentschädigung.
Jedes Jahr im Oktober reist eine deutsche Delegation mit Vertretern und Jugendlichen aus den Städten der Arbeitsgemeinschaft nach Gurs. Auch Vertreter der Israelitischen Religionsgemeinschaft sind dabei. Für Iris Kessler sind diese Treffen auch ein Zeichen der Versöhnung. Die örtliche Bevölkerung habe sie stets als interessiert erlebt, sagt sie.
Eigentlich war für diesen Sonntag eine größere Feier geplant, um an den 80. Jahrestag der Deportation südwestdeutscher Juden in den Tagen vor und nach dem 22. Oktober 1940 zu erinnern. Doch die Corona-Pandemie machte den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung. "Die Feier wird aber auf jeden Fall nachgeholt", betont Kessler. Momentan sei dafür der 24. Oktober 2021 angedacht.



