Im Mark-Twain-Village wird der Traum von günstigem Wohnen wahr
So wohl fühlen sich die Wohn-Pioniere in "Hagebutze" und "Konvisionär" - Günstige Mieten und intensive Gemeinschaft auf dem ehemaligen US-Gelände

Von Steffen Blatt
Heidelberg. Günstig wohnen mitten in Heidelberg ist für viele Menschen angesichts steigender Preise ein Traum. Für knapp 200 Menschen – Familien, Paare und Singles – wird dieser Traum aber gerade Wirklichkeit. Sie sind Mitglied in einer Wohngruppe und leben bereits in Mark-Twain-Village (MTV) oder ziehen demnächst ein, zu Mietpreisen von sechs bis acht Euro kalt pro Quadratmeter. Wie funktioniert das? Und was heißt "gemeinschaftliches Wohnen" eigentlich? Die RNZ hat die Pioniere auf dem ehemaligen US-Gelände besucht.
Hier wird gelebt. Das wird trotz des trüben und nebligen Tages deutlich, an dem der Termin in der Rheinstraße 10 stattfindet. Drei Bestandsgebäude haben die Projekte "Hagebutze" und "Konvisionär" saniert, dieses Jahr beginnen die Bauarbeiten für den Neubau der "Raumkante", der den Innenhof schließen wird. Dort steht eine selbstgebaute Bühne, es gibt Sitzmöbel aus Euro-Paletten, einen alten Pavillon der Amerikaner, der stehengelassen wurde. Man kann sich vorstellen, wie hier in wärmeren Monaten das Leben tobt, wie Kinder spielen, Gemeinschaftsgärten gepflegt werden und man sich zum Plausch bei einer Tasse Kaffee trifft.

Reihenhaus mit eigenem Garten und Hecke, jeder lebt für sich und die Nachbarn nebeneinander her – genau das wollten die Mitglieder der drei Wohnprojekte nicht. Darum haben sie sich zusammengeschlossen und eine Gemeinschaft gegründet, die wirklich zusammen lebt.
Die Wohnungen bei den Hagebutzen und bei Konvisionär sind eher klein – dafür gibt es Gemeinschaftsräume, Gästewohnungen und eine Holzwerkstatt, die alle nutzen können. Geplant sind eine Fahrradwerkstatt, ein Umsonst-Laden und eine Food-Kooperative, über die Obst und Gemüse direkt beim Bauern einkauft werden. Angebote, die auch die Nachbarn im ganzen Quartier nutzen können.
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Das Gespräch mit der RNZ findet im "Wohnzimmer" von Konvisionär statt, einem gemütlichen Treffpunkt mit Sofas, Bücherregalen und einer großen Küche, die gebraucht gekauft wurde. Wenn viel Besuch kommt oder es was zu feiern gibt, kann das hier stattfinden. Ein bisschen Einrichtung fehlt noch, aber es ist ja noch alles neu. Im März letzten Jahres zogen die ersten Bewohner ein, jetzt fehlen nur noch zwei.
Die Hagebutzen waren die ersten überhaupt, die nach Mark-Twain-Village zogen. Im Februar 2017 kamen die ersten Pioniere, im November desselben Jahres war die Wohngruppe komplett. "Das war ein tolles Gefühl. Wir hatten viele Freiheiten und mussten keine Rücksicht auf Nachbarn nehmen", berichtet Mareike Janßen. Draußen sitzen bis spät in die Nacht, oft mit Live-Musik. "Im ersten Sommer gab es bei uns so viele Konzerte wie nie danach", berichtet Pascale Croissier.
Hintergrund
Die Finanzierung der drei Wohnprojekte läuft ganz klassisch über Bankkredite, aber auch über Direktkredite, die Unterstützer den Projekten geben und dabei den Zinssatz innerhalb einer vorgegebenen Spanne frei wählen können,
Die Finanzierung der drei Wohnprojekte läuft ganz klassisch über Bankkredite, aber auch über Direktkredite, die Unterstützer den Projekten geben und dabei den Zinssatz innerhalb einer vorgegebenen Spanne frei wählen können, bei den Hagebutzen etwa zwischen 0 und 1,9 Prozent. Diese sogenannten Nachrang-Darlehen dienen zur Absicherung der Bankkredite.
Bei Konvisionär kommen Förderkredite aus Programmen der Bundesregierung, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und anderen Zuschussgebern dazu, etwa durch das Förderprogramm Rationelle Energieverwendung der Stadt Heidelberg.
Die Besitzstruktur ist bei den drei Projekten ähnlich. Grundsätzlich gehört die Immobilie nicht den Bewohnern direkt, sondern einer GmbH. Diese besteht aus zwei Gesellschaftern, einer ist immer der Verein der Bewohner.
Bei den Hagebutzen und der Raumkante ist der zweite Gesellschafter das Mietshäuser-Syndikat, ein Verbund von über 125 selbstverwalteten Wohnprojekten, der dauerhaften, günstigen Mietwohnraum schaffen will. Als Mitgesellschafter hat das Mietshäuser-Syndikat etwa beim Hausverkauf, der Umwandlung in Eigentumswohnungen oder ähnlichen Zugriffen auf das Immobilienvermögen ein Vetorecht.
Bei Konvisionär nimmt die Rolle des zweiten Gesellschafters der "Verein zur Sicherung selbstverwalteter Wohnformen" ein, in dem nicht nur die aktuellen Bewohner Mitglied werden können, sondern auch sonstige Interessierte. Zweck ist ebenfalls die Verhinderung des Hausverkaufs und die Förderung anderer gemeinschaftlicher Wohnformen. In beiden Modellen ist festgelegt, dass über die Organisation des Zusammenlebens allein der Hausverein entscheidet.
Infos: www.hagebutze.de, www.konvisionaer.de, www.raumkante.info
In den ersten Wochen waren die Hagebutzen die einzigen, die auf das Gelände durften, hatten einen Schlüssel für das große Tor in der Rheinstraße, das man oft nur zu zweit öffnen und schließen konnte. Da konnte es manchen auch gruseln, der nachts – wenn mal gerade kein Konzert war – allein über das verlassene Gelände lief. "Später gab es eine Situation, dass spät in der Nacht irgendwo geflext wurde. Das war aber kein Nachbar, sondern es waren Diebe, die auf einer anderen Baustelle etwas gestohlen haben", erzählt Janßen.
"Da muss man ja gar nicht viel machen, wir packen das!" Das waren ihre Gedanken, als sie die Gebäude an einem Frühlingstag zum ersten Mal sah. Ein bisschen "Weltuntergangsszenario" sei das gewesen, erinnert sich Croissier. Die Gebäude verlassen, die Freiflächen von Gras überwuchert. Aber mit viel Potenzial.
Ganz so einfach war es dann doch nicht, denn wie bei fast jeder Sanierung gab es auch hier Überraschungen. Doch mit viel Eigenarbeit haben sie es geschafft – und ertrugen auch, dass die Telefonleitung zwei Mal durchgebaggert wurde und es drei Monate lang kein Internet gab. "Das war eigentlich die beste Phase für die Gemeinschaft", lacht Janßen.
Doch bis die späteren Bewohner und Bewohnerinnen endlich Hand anlegen konnten, mussten noch ganz andere Klippen umschifft werden. Die Finanzierung mit Banken und über Direktkredite musste geklärt und bei der Stadtverwaltung Überzeugungsarbeit für die Besitzstruktur nach dem Syndikatsmodell geleistet werden (siehe "Hintergrund" und Artikel unten).
Und es ist eben auch anstrengend, wenn alle Entscheidungen im Konsens getroffen werden, von der Änderung der Grundrisse über die Farbe der Fassade bis zur Frage, ob man Balkone anbaut oder nicht. Dieses Konzept von gemeinschaftlichem Wohnen muss man wollen. Selbstverwaltung macht frei, aber auch Arbeit. "Zweifel haben alle mal, aber für solch ein Projekt braucht man einen langen Atem", sagt Susanne Kleinmann von Konvisionär.
"Ich wollte nicht wie alle anderen bauen oder kaufen und auch nicht dieses Kleinfamilien-Ding", so Janßen. So ging es auch Croissier, die zu den Hagebutzen kam, als gerade die finale Finanzierungsphase lief. "Da mussten wir die Stadt überzeugen, dass wir ein seriöses Projekt sind und auch wirklich Geld überweisen." Benjamin Bremen ist selbst in einem Wohnprojekt aufgewachsen, lebte später in WGs. "Dann haben wir immer mehr Kinder bekommen und brauchten mehr Zimmer. Irgendwann war der letzte Mitbewohner eher so etwas wie ein Untermieter."
Über einen Freund kam er dann zu Konvisionär, als das Projekt noch in den Kinderschuhen steckte. "Ich weiß nicht, ob ich mitgemacht hätte, wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass es sechs Jahre dauert. Aber seit ich hier wohne, habe ich keine Zweifel mehr", stellt Bremen fest.
Denn jetzt leben sie so, wie sie es immer wollten – zusammen. Und sie beleben das ganze Quartier. Die Wohngruppen veranstalten regelmäßig Konzerte, Lesungen oder andere Events, das "Rabatz" der Hagebutze ist ein schnuckeliger Veranstaltungsraum mit Bar und professioneller Licht- und Tontechnik. Es gibt einen Band-Proberaum und demnächst auch ein Kunstatelier. Die Räume sind auch offen für andere Gruppen, etwa die "Raumkante". Das Projekt will in diesem Jahr mit den Bauarbeiten direkt an der Rheinstraße beginnen, bald soll der Bauantrag eingereicht werden.
Die Bau- und Wohngruppe ist aus den Hagebutzen und aus Konvisionär heraus entstanden, mittlerweile aber selbstständig. Bei der Raumkante wird das gemeinschaftliche Wohnen noch radikaler umgesetzt. Jedes der drei Stockwerke des Passivhauses ist wie eine große WG konzipiert, mit einem Gemeinschaftsraum mit Küche, den alle nutzen und an den sich die einzelnen Zimmer anschließen. Der Grundriss ist variabel, sodass auch kleine Wohnungen entstehen können, etwa für Familien. Die sollen dann aber höchstens noch Teeküchen bekommen.
20 bis 25 Menschen werden so zusammen wohnen, verteilt über drei Generationen. "Das ist auch so gewollt", sagt Kathrin Beier von Raumkante. Für ihr Projekt ist die Umsetzung nun etwas leichter. "Wir profitieren sehr von der Vorarbeit der Hagebutze und von Konvisionär. Sie haben Finanzierung und Sanierung schon hinter sich und können wertvolle Tipps geben."
Es tut sich also was in Mark-Twain-Village. Auf der anderen Seite der Rheinstraße wird der Neubau der "WoGe" fertig, ebenfalls ein gemeinschaftliches Wohnprojekt mit knapp 100 Bewohnern im Alter von sieben bis über 70 Jahren. In der Mark-Twain-Straße belegt das Projekt "Horizonte" in einem Gebäude der Genossenschaft Familienheim 20 Wohneinheiten.
Dennoch: Diese "besonderen Wohnformen", wie sie auch genannt werden, bleiben eine Insel in MTV, inmitten von vielen "normalen" Miet- und Eigentumswohnungen. Susanne Kleinmann findet die Bezeichnung nach wie vor befremdlich: "Ich weiß nicht, was daran besonders sein soll, wenn sich in einem Mietshaus alle Nachbarn kennen."



