Wie fühlt es sich an, von Hartz IV zu leben?
Selbstversuch bei der Heidelberger Aktionswoche gegen Armut: Die Teilnehmer berichteten von ihren Erfahrungen

Diskutierten im Gemeindezentrum der Lutherkirche (v.l.): Annett Heiss-Ritter, Ellen Jahraus-Michy, (Diakonie Heidelberg), Jörg Schmidt-Rohr (VbI), Ingrid Reutemann und Tamara Bloch (beide Diakonie Baden) sowie Gerd Schaufelberger (Jugendagentur). Foto: Hentschel
Von Arndt Krödel
Mal eine Woche vom Hartz IV-Regelsatz leben - wie fühlt sich das an? Vielleicht versteht man die Situation von Betroffenen besser, wenn man selbst mal die Erfahrung gemacht hat. Das war die Idee einer Projektgruppe des Heidelberger Bündnisses gegen Armut und Ausgrenzung im Vorfeld der diesjährigen Aktionswoche. "Uns ging es darum, ein bisschen Bewusstsein dafür zu schaffen, was Armut bedeutet", sagte Jörg Schmidt-Rohr als Moderator einer gut besuchten Veranstaltung im Gemeindezentrum der Heidelberger Lutherkirche, auf der die Ergebnisse vorgestellt wurden.
In einem "Selbstversuch" hatten Bürger aus Heidelberg ausprobiert, wie die Realität eines Hartz IV-Empfängers aussieht - nämlich für eine Woche mit dem Gesamtsatz von 92,15 Euro auszukommen. Was sich der Gesetzgeber dabei im Einzelnen gedacht hat, erklärte Dr. Tamara Bloch, Sozialrechtsreferentin beim Landesverband der Diakonie Baden in Karlsruhe: Für Lebensmittel und Getränke sind 32,71 angesetzt, für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 10,17 Euro, für "Nachrichtenübermittlung", also Telefon und Internet, 8,14 Euro und für Bekleidung und Schuhe 7,74 Euro.
Wie Schmidt-Rohr berichtete, gab es auch Kritik an dem Vorhaben. In Mails wurde moniert, es sei nicht möglich, die Folgen der Armut in einer Woche nachzuempfinden. Die Aktion könne nicht die Perspektivlosigkeit eines Regelsatzempfängers vermitteln. "Wir haben es trotzdem gemacht und es hat sich ein Stück weit gelohnt", so Schmidt-Rohr. Dass er es nicht mal eine Woche mit der Beschränkung durch den Regelsatz ausgehalten habe, berichtete einer der Freiwilligen. Er hatte am Wochenende Besuch und hätte diesen mit dem zur Verfügung stehenden Geld gar nicht bewirten können. Seine Gefühle schilderte er mit den Worten Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Mangel.
Ähnlich die Erfahrung eines Lehrers: Er habe nur zweimal am Tag gegessen und im Neuenheimer Feld Äpfel aufgesammelt. In der Schule wollten ihm seine Schüler etwas schenken. "Die Freiheit fehlt", beschrieb er sein Gefühl, "ich nehme nicht mehr teil." Ein 50-Jähriger konnte diese Erfahrung bestätigen: "Mit Hartz IV würde ich in eine Isolationssituation hineingeraten. Ich könnte ja nicht jemanden zum Kaffee einladen oder abends mit Freunden weggehen". Ingrid Reutemann, Abteilungsleiterin für Familie und soziale Arbeit im Landesverband der Diakonie Baden, wies in der Diskussion auf die notwendige Relativierung des Begriffs "Fordern" im Hartz IV-Konzept hin: "Wir haben Menschen, für die das Fordern gar nicht gelten kann, Familien mit Kindern oder Menschen, die krank und gar nicht in der Lage sind, zu arbeiten".
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Dass ihr in der Diskussion die "positiven Aspekte" fehlten, bemängelte eine Zuhörerin, für die beim Regelsatz-Posten "Ernährung" mehr Arbeit und Planung des Hartz-IV-Empfängers verlangt werden dürfte. Die traurige Realität sei aber, wie eine Aktivistin des Bündnisses entgegnete, dass man erst suchen müsse, um etwas Positives zu finden. Das erlebe man tagtäglich in der Beratung.