Verkehrsinfarkt im Neuenheimer Feld

Zwei Stunden für zwei Kilometer

Die Angestellten des Springer-Verlags plagt täglich der Verkehrsinfarkt im Neuenheimer Feld - Die erste Mitarbeiterin hat schon gekündigt

27.12.2017 UPDATE: 28.12.2017 06:00 Uhr 3 Minuten, 19 Sekunden

Trotz Urlaubszeit staut es sich am Nachmittag im Neuenheimer Feld: Hier auf der Straße "Im Neuenheimer Feld" in Richtung Berliner Straße. Für die Mitarbeiter des Springer-Verlags hat die Situation weitreichende Konsequenzen - im Alltag sowie im Beruf. Foto: Rothe

Von Anica Edinger

Heidelberg. An guten Tagen schafft es Petra Jantzen in 50 Minuten von Mannheim ins Neuenheimer Feld. Doch gute Tage sind selten. Und an den schlechten braucht die Mitarbeiterin des Springer-Verlags zu ihrem Arbeitsplatz in der Tiergartenstraße 15 weit über eine Stunde. Morgens und abends - für nicht einmal 30 Kilometer. Manchmal sind es abends allein 60 Minuten vom Verlag bis in die Berliner Straße - gerade mal zwei Kilometer Strecke. "Die Situation ist unzumutbar", klagt Jantzen.

Der Verkehrsinfarkt im Neuenheimer Feld: Für die Mitarbeiter des Springer-Verlags gehört er zum Alltag. Sie sind verzweifelt - und fühlen sich hilflos. Rund 900 Menschen arbeiten mittlerweile am Standort Heidelberg, 1982 ist der Verlag in das Gebäude in der Tiergartenstraße gezogen. Die Verkehrslage werde seither stetig desaströser, sagt auch Stefanie Dether, seit 28 Jahren Redakteurin bei Springer. Thomas Bleck, Geschäftsführer des Magazins "Spektrum der Wissenschaft", ist sich sicher: "Egal, wen Sie im Verlag fragen, sie werden Ihnen alle das gleiche erzählen."

Hintergrund

> Der Verkehrsinfarkt im Neuenheimer Feld ist eines der zentralen Probleme, die durch den Masterplanprozess von Stadt, Land und Universität gelöst werden sollen. Derzeit erarbeitet ein Koordinationsbeirat die Regeln für die Bürgerbeteiligung. In den

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> Der Verkehrsinfarkt im Neuenheimer Feld ist eines der zentralen Probleme, die durch den Masterplanprozess von Stadt, Land und Universität gelöst werden sollen. Derzeit erarbeitet ein Koordinationsbeirat die Regeln für die Bürgerbeteiligung. In den vergangenen Jahrzehnten hatten die Nutzer und Nachbarn des Neuenheimer Feldes ganz unterschiedliche Vorstellungen, wie die Verkehrsprobleme behoben werden könnten. Die Vorschläge reichten von einer Fünften Neckarquerung bei Wieblingen über einen Nordzubringer durchs Handschuhsheimer Feld bis hin zu einer Straßenbahn durch den Campus. Letzteres scheiterte 2016 am Widerstand der Universität und einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes.

> Laut einer Verkehrszählung von 2010 fahren täglich 26.000 Autos ins Neuenheimer Feld mit seinen 4000 Einwohnern, mehr als 15.000 Beschäftigten und 18.000 Studenten. Knapp 4000 Radler fahren täglich vom "Feld" über die Ernst-Walz-Brücke. 7300 Beschäftigte nutzen das Jobticket, 4900 Parkplätze stehen zur Verfügung. Eine Straßenbahn könnte - laut Stadt - pro Fahrt 227 Autos ersetzen. hob

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Daher war es für Melanie Lehnert von der Unternehmenskommunikation auch nicht schwierig, Freiwillige für ein RNZ-Gespräch zu finden. Auch Lehnert, Mutter eines kleinen Sohnes, leidet unter der extremen Verkehrslage im Neuenheimer Feld. Ihr persönlicher Rekord: "Zwei Stunden von unserer Tiefgarage zur Berliner Straße." Wenn sie ihren Sohn am Nachmittag aus dem Kindergarten abholt, muss sie vor allem eines einplanen: viel Zeit. "Hat man um 16 Uhr einen Termin, muss man spätestens um 15 Uhr das Haus verlassen", so Lehnert. Entsprechend früher muss man am Morgen anfangen - "um keine Minusstunden zu machen".

Lehnert hat einen Vorteil gegenüber vielen anderen Mitarbeitern: "Meine Eltern leben in der Stadt, die können einspringen, wenn ich wieder im Stau stehe." Wegen ihres Sohnes käme es für Lehnert auch nicht infrage, auf Bus oder Rad umzusteigen. Und so ginge es vielen Müttern im Springer-Verlag, der Frauenanteil des Unternehmens liegt bei 70 Prozent. "Fahrradfahren ist nicht für alle eine Lösung", sagt auch Tiina Konrad, Personalreferentin im Verlag, die täglich aus Rohrbach eine Stunde ins Feld braucht.

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Überhaupt: "Ich habe schon alles versucht: Rad und öffentliche Verkehrsmittel", sagt Stefanie Dether, die aus Viernheim kommt. Aber: "Wir müssen hier täglich durch ein Nadelöhr." Stünden die Autos im Stau, gehe es dem Bus nicht anders. Busspuren wären wünschenswert, sind sich die Springer-Mitarbeiter einig. Aber sie sind im Neuenheimer Feld Utopie. Auch mit dem Rad habe es Dether schon probiert. Doch vor allem im Winter ist es ihr von Viernheim aus schlicht zu weit - und in der dunklen Jahreszeit auch zu gefährlich. Denn nicht nur der Verkehr sei eine Katastrophe, sondern auch die Beleuchtung in der Tiergartenstraße. Und der von der Stadt dort gekennzeichnete "Gehweg" - eine weiße Linie - erfülle auch nicht seinen Zweck.

Eine gute Alternative wäre für Dether und viele ihrer Kollegen, die vor allem aus den Umlandgemeinden kommen, ein "Park and Ride"-Parkplatz. Dort könnte man das Auto abstellen und den Rest des Weges per Rad zurücklegen. Früher habe es so etwas auf dem jetzigen Areal des Mathematikons gegeben. Heute gibt es dort nur noch eine Tiefgarage - die kostenpflichtig ist. Auch in Handschuhsheim könne Dether ihr Auto nicht - wie früher - abstellen. "Dort hat die Stadt jetzt die Parkraumbewirtschaftung eingeführt", klagt sie.

Von der Stadt fühlen sich die Mitarbeiter des Springer-Verlags sowieso im Stich gelassen. Im März dieses Jahres seien Oberbürgermeister Eckart Würzner gemeinsam mit Alexander Thewalt, Chef des Amtes für Verkehrsmanagement, und einigen Stadträten zu Besuch in der Tiergartenstraße 15 gewesen. Lange habe man allen erklärt, dass die Situation nicht mehr tragbar sei. Passiert sei nichts. Im Gegenteil: "Es herrscht eine totale Blockadepolitik", sagt Dether. Ein Verkehrsmanagement existiere in diesem Teil Heidelbergs schon lange nicht mehr. Dabei könnte man einige Probleme schon mit einfachen Maßnahmen lösen, wie etwa Birgit Kolb, Personalleiterin bei Springer, sagt - "zum Beispiel die Ampeln aufeinander abstimmen und für eine grüne Welle sorgen".

Mittlerweile gehen die Probleme mit dem Morgen- und Feierabendverkehr weit über das persönliche Befinden der Mitarbeiter hinaus. "Wir haben Nachwuchsprobleme", sagt Kolb. Der Standort des Verlags sei zu einem Wettbewerbsnachteil geworden. Die Verkehrssituation könne man bei Bewerbungsgesprächen nicht einfach verschweigen - zumal viele Bewerber selbst in den Stau gerieten und mit einiger Verspätung zu den Gesprächen erschienen. Die erste Mitarbeiterin von "Spektrum der Wissenschaft" zieht ihre persönlichen Konsequenzen Ende Januar, wie Bleck erklärt: "Sie verlässt das Unternehmen wegen des Verkehrs." Bleck ist überzeugt: "Es ist ein Nachteil für den Wissenschaftsstandort Heidelberg."

Auf RNZ-Anfrage äußert sich das Amt für Verkehrsmanagement: "Die Verkehrssituation im Neuenheimer Feld ist bekanntermaßen schwierig. Leider wurden unsere Planungen für die Campus-Bahn im letzten Jahr gerichtlich gestoppt. Aktuell sind wir dabei, im Rahmen des Masterplanverfahrens Entwicklungsperspektiven für das Neuenheimer Feld zu erarbeiten." Der Plan werde dann Grundlage für die Entwicklung des Wissenschaftsstandortes und seiner Vernetzung mit dem Umfeld sein. Ziel sei auch, "Vorgaben für den Verkehr zu entwickeln". Bis es so weit ist, müssen sich die Mitarbeiter des Springer-Verlags also noch gedulden. Erst im November wurde der Koordinationsbeirat gegründet, der dafür sorgen soll, dass alle Interessen im Masterplanprozess gehört werden. Bis die vielfältigen Probleme in Abstimmung mit allen Interessenvertretern gelöst werden können, wird wohl noch viel Zeit vergehen.

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