Neuer Bericht zur Sozialen Lage in Heidelberg

Wie groß ist die Armut in dieser reichen Stadt?

Weniger Hartz IV-Empfänger, große Einkommensungleichheit - Stadt will Quartiersarbeit stärken

26.10.2018 UPDATE: 27.10.2018 06:00 Uhr 2 Minuten, 50 Sekunden

Auch in Heidelberg müssen viele Menschen zur Tafel, weil das Geld nicht zum Leben reicht - unser Foto zeigt den Tafelladen in der Südstadt. 12.221 Heidelberger bezogen 2016 einkommensabhängige Sozialleistungen. Foto: Rothe

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Der neue Bericht zur Sozialen Lage in Heidelberg ist fertig - nach 2005 und 2010 der dritte Bericht dieser Art. Die RNZ beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem 150-Seiten-Dokument.

Was ist das Ziel des Berichts? Er analysiert, wie es um die Armut und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Heidelberg steht - und zeigt auf, wo die Kommunalpolitik handeln sollte.

Wer hat den Bericht gemacht? Das Münchner Fachinstitut SIM Sozialplanung und Quartiersentwicklung - in enger Zusammenarbeit mit den städtischen Ämtern, den Gemeinderatsfraktionen und den sozialen Organisationen in Heidelberg.

Wie viele Heidelberger sind arm? 12.221 Heidelberger (7,6 Prozent) bezogen am 31. Dezember 2016 Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld II aus dem Sozialgesetzbuch II (SGB II, oft "Hartz IV" genannt) oder Grundsicherung im Alter. Das sind 143 Menschen weniger als 2009, als noch 12.364 diese Leistungen bezogen. Damals entsprach das 8,4 Prozent der Bevölkerung, weil Heidelberg seitdem um 13.500 Menschen gewachsen ist.

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Wie ist das einzuordnen? Ein Vergleich mit anderen Städten ist nur für die sogenannte Mindestsicherung möglich - damit sind "Hartz IV", Sozialhilfe und Asylbewerber-Leistungen gemeint. In Heidelberg beziehen 6,6 Prozent der Menschen eine solche Mindestsicherung - deutlich weniger als etwa in Mannheim (12 Prozent) oder Karlsruhe (7,7 Prozent). Deutschlandweit liegt die Quote bei 9,5 Prozent.

Und was ist mit den Kindern? 1665 Kinder unter 15 Jahren bekamen 2016 SGB II-Leistungen, 2009 waren es noch 1933 gewesen. Die Statistik zeigt starke Unterschiede zwischen den Stadtteilen: So leben im Emmertsgrund mehr als 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in SGB II-Haushalten, in Neuenheim waren es dagegen nur 0,7 Prozent.

Und die Alten? Altersarmut sei "im Vergleich zur Kinder- und Familienarmut ein eher nachgeordnetes Problem", heißt es - auch wenn die Zahl der Grundsicherungsempfänger über 65 Jahren seit 2009 um 0,6 Prozentpunkte auf 4,1 Prozent gestiegen ist: Nun bekommen 981 Senioren diese Sozialleistung. Es ist davon auszugehen, dass diese Zahl in den nächsten Jahren weiter steigt.

Wie viele Heidelberger sind überschuldet? 2017 waren in Heidelberg 8500 Erwachsene (6,3 Prozent) überschuldet - darunter besonders viele über 60 Jahren. Sie konnten ihren Zahlungsverpflichtungen dauerhaft nicht nachkommen.

Wie sind die Einkommen verteilt? Die jüngsten Zahlen liegen für 2013 vor: Damals lebten 68.800 Einkommenssteuerpflichtige in Heidelberg. Von ihnen verdienten 19.062.( 27,7 Prozent) weniger als 10.000 Euro im Jahr - und hatten damit nur einen Anteil von 1,6 Prozent am Gesamteinkommen. Die 3598 Heidelberger (fünf Prozent), die über 125.000 Euro im Jahr verdienten, hatten dagegen einen Anteil von 45 Prozent. Heidelberg zählt zu den drei baden-württembergischen Kreisen mit der stärksten Ungleichverteilung. 90 waren 2013 Einkommensmillionäre - damit lag die Stadt in Baden-Württemberg auf Platz zwei hinter Baden-Baden (18,7).

Wie viele Obdachlose gibt es? Etwa 100 bis 120 Menschen in Heidelberg leben auf der Straße oder in Ersatzunterkünften. Der Bericht macht aber - angesichts der vielen Hilfsangebote für Obdachlose - deutlich: "Letztendlich ist in Heidelberg niemand gezwungen, auf der Straße zu leben."

Was ist sonst mit dem Thema Wohnen? Das wurde ausgeklammert, da die Stadt es in einer Wohnungsbauoffensive angeht.

Wie viele Heidelberger sind arbeitslos? Ende 2016 waren es 3144, davon 1038 seit über einem Jahr. Die Arbeitslosenquote sank zwischen 2009 und 2016 von 6,2 auf 4,4 Prozent. Von den Großstädten und Kreisen schnitten in Baden-Württemberg nur Ulm (3,9) und der Rhein-Neckar-Kreis (4,1) besser ab. Aber: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sank weniger stark: Der Bericht spricht von einer "Verhärtung der Langzeitarbeitslosigkeit".

Was empfiehlt der Bericht? Der Bericht gibt viele konkrete Handlungsempfehlungen. So sollten etwa die Schuldnerberatung ausgebaut und die Werbung für viele bereits existierende Angebote verbessert werden. Selten wird der Bericht so deutlich wie bei der Forderung nach einer Stärkung der Quartiersarbeit: "Hier besteht Handlungsbedarf." Gemeint ist eine Anlaufstelle im Quartier - etwa im Seniorenzentrum, der Kita oder beim Stadtteilverein -, die Menschen über die Grenzen ihrer Milieus zusammenbringt und so "für von Armut Betroffene von großer Bedeutung sein kann".

Was sagen die Verantwortlichen bei der Stadt? Sozialbürgermeister Joachim Gerner findet: "Der Bericht zeigt, dass wir in den letzten Jahren vieles richtig gemacht haben - aber natürlich dürfen wir uns nicht zurücklehnen." Er findet besonders wichtig, Langzeitarbeitslose und armutsgefährdete Senioren noch stärker zu unterstützen - und will die vorgeschlagene "Anlaufstelle im Quartier" umsetzen. Zunächst soll das Modell an zwei oder drei Standorten ausprobiert werden.

Was sagen die sozialen Organisationen? Das Bündnis gegen Armut und Ausgrenzung fürchtet, dass die sinkenden Leistungsbezieher-Zahlen im wachsenden Heidelberg auf Verdrängung hinweisen: Ärmere könnten sich Heidelberg schlicht nicht mehr leisten. Dazu meint Gerner: "Wir beteiligen uns nicht an solchen Spekulationen, denn wir können das statistisch weder be- noch widerlegen." Zudem mahnt das Bündnis eine "strategische Sozialplanung mit konkreten Zielen" an. Gerner antwortet: "Das machen wir doch längst. Im Stadtentwicklungsplan steht, dass wir eine Stadt des sozialen Ausgleichs sein wollen. Das ist unsere Richtschnur und im Bericht zur sozialen Lage wird konkretisiert, wie wir dieses Ziel erreichen."

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