Zwei Mütter nach Straßenblockade zu Geldstrafen verurteilt
Die 56-jährige Angeklagte ist "einfach entsetzt". Ulrike Stalitza-Erche und Friederike Benjes unterstützen die Aktivisten.

Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Die Klimaaktivistinnen Ulrike Stalitza-Erche und Friederike Benjes sind am Mittwoch am Heidelberger Amtsgericht wegen Nötigung zu Geldstrafen verurteilt worden. Die beiden Frauen haben sich am 20. März dieses Jahres an einer Blockade des morgendlichen Berufsverkehrs in der Speyerer Straße beteiligt und für Rückstaus von gut 500 Meter stadtauswärts und drei Kilometer stadteinwärts gesorgt.
Insgesamt waren 17 Aktivisten an der Blockade beteiligt, fünf klebten sich auf die Straße und alle werden von der Staatsanwaltschaft verfolgt. Stalitza-Erche und Benjes hatten gegen die Strafbefehle Einspruch eingelegt, so dass es zu den Verhandlungen kam, die gleichzeitig in verschiedenen Sälen stattgefunden haben. Rund 40 Mitstreiter hatten ab 12 Uhr vor dem Justizzentrum demonstriert.
Stalitza-Erche hatte die Vorwürfe eingeräumt: "Sie treffen im Wesentlichen zu." Sie hielt ihre Tat aber für wissenschaftlich, moralisch und rechtlich gerechtfertigt – wie es "Letzte Generation"-Sprecherin Carla Rochel auch schon in ihrem Prozess hat vortragen lassen. Stalitza-Erche ist allerdings deutlich älter und sieht es aus einer anderen Perspektive: "Mit unserem Verhalten kündigen wir den Generationenvertrag", so die 57-Jährige, die fünf Kinder und Stiefkinder hat: Der Club of Rome habe mit der Schrift "Grenzen des Wachstums" schon gewarnt, als sie sechs Jahre alt war, sie selbst habe die Gefahren aber auch lange verdrängt – eine Reaktion, die sie als Psychotherapeutin gut verstehe.
Mittlerweile habe sie aber das Vertrauen in die Regierung verloren, noch rechtzeitig die nötigen Mittel zu ergreifen. Sie fordert: "Unsere Demokratie bräuchte ein Update." Auch die Begründung des "zivilen Ungehorsams" ist wieder auf Linie mit der "Letzten Generation": Damit sehe sie sich in der Tradition der britischen Frauen-, der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und der Studentenproteste.
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Auch wenn rund 85 Prozent der Deutschen die Bewegung "Letzte Generation" ablehnten, glaubt Stalitza-Erche an die Wirkung des Protests. "Ich weiß mir nicht anders zu helfen." Sie sei aber keine "Gegnerin des Rechtsstaats".
Staatsanwältin Kerstin Anderson sah das anders, beschränkte sich aber auf den rechtlichen Aspekt, "denn hier geht es um Jura, und nur um Jura". In ihrem Plädoyer erklärte sie: "Ich wüsste nicht, wie man dieses Verhalten nicht bestrafen sollte." Die Strafgesetze sähen das eben vor – und die habe nicht eine Regierung erlassen, sondern hätten wir uns als Gesellschaft gegeben, um ein geregeltes Zusammenleben zu ermöglichen.
Und die Zweck-Mittel-Relation, das Klima der Zukunft zu retten und dafür heute Autofahrer zu blockieren, sei damit nicht vereinbar: "Das Fernziel adelt die Handlung nicht", so Anderson. Es gebe die Versammlungs- und Petitionsfreiheit, auch habe jeder das Recht, sich in einer Partei zu engagieren oder selbst eine zu gründen. Denn die Politik solle ja etwas tun: "Die Gefahren des Klimawandels werden nicht abgemildert, wenn man Straftaten begeht."
Sie forderte 90 Tagessätze – wie im Strafbefehl –, die Höhe solle aber von 50 auf 100 Euro angehoben werden, weil das Familieneinkommen nach jetziger Schätzung höher sein müsste als noch beim Beantragen des Strafbefehls angenommen. Stalitza-Erche hatte dazu keine Angaben gemacht.
Verteidiger Stefan Allgeier forderte dagegen, seine Mandantin freizusprechen. Das Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem es argumentiert, junge Menschen würden durch die Untätigkeit der Regierung in ihren Freiheitsrechten eingeschränkt, sei eine verfassungsrechtliche Vorgabe: "Wer demonstriert, bewegt sich auf dem Boden des Grundgesetzes." Die Nötigung sei deshalb nicht verwerflich. Und auch die Verspätung der Autofahrer nicht so groß: "20 bis 40 Minuten sind durchaus überschaubar."
Richter Norbert Will folgte in seinem Urteil der Argumentation der Staatsanwaltschaft, verhängte aber eine niedrigere Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 70 Euro. Er betonte nochmal alle legalen Möglichkeiten, sich für Klimaschutz zu engagieren und erteilte dem Argument des "zivilen Ungehorsams" eine Absage, denn dieser müsste sich gegen den Staat richten. "Sie haben aber die Freiheitsrechte von anderen Bürgern eingeschränkt."
Friederike Benjes hat ihre Verhandlung ohne Anwalt bestritten und wurde am Ende wegen zwei Blockaden zu 110 Tagessätzen à 65 Euro verurteilt. Der Staatsanwalt hatte eine fünfmonatige Haftstrafe ohne Bewährung für die dreifache Mutter gefordert. Nach der Verhandlung war die 56-Jährige aufgelöst: "Ich bin einfach entsetzt."