Richterin sieht bei "Letzte Generation"-Sprecherin eine "brandgefährliche Argumentation"
Carla Rochel wurde zu einer Geldstrafe wegen Nötigung verurteilt. Die Angeklagte war nicht vor Ort.

Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Eine Sprecherin der Klimaaktivisten-Gruppe "Letzte Generation", Carla Rochel, ist am Donnerstag vom Heidelberger Amtsgericht wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Geldstrafe von 75 Tagessätzen à zehn Euro verurteilt worden. Mit zehn weiteren Aktivisten hatte sie am 30. Mai vergangenen Jahres die Zufahrt nach Heidelberg auf der B37 blockiert, indem sich ein Großteil der Gruppe mit Sekundenkleber auf die Straße geklebt hatten.
Um kurz nach 7 Uhr stand der Berufsverkehr still, der Stau zog sich bis zum Autobahnkreuz, die A5 und A656. Weil viele Autofahrer deshalb an der Anschlussstelle Schwetzingen abfuhren, bildeten sich auch auf der Speyerer Straße Richtung Innenstadt bald Staus. Erst um 9.30 Uhr konnte der Verkehr wieder normal fließen.
Rochel hatte wegen der Aktion Ende November 2022 einen Strafbefehl erhalten, gegen den die 21-Jährige Einspruch einlegte. Deshalb kam es nun zur Verhandlung. Sie erschien allerdings nicht selbst, der kurzfristig beauftragte Verteidiger Christian Laue verlas allerdings eine rund 20-minütige Erklärung. Darin hieß es, sie und ihre Mitstreiter hätte "keine Lust" auf die Gerichtsverfahren. Der Grund, warum sie nicht zur Verhandlung erschien, wurde nicht erörtert.
"Vor zwei Jahren war mein Leben noch normal", las Laue im Gerichtssaal vor. Rochel habe ein gutes Abitur gemacht, ihre Oma sei stolz gewesen, dann habe sie ihr Politikstudium aufgenommen. Es sei ein "ziemlich perfektes Leben in Heidelberg" gewesen, hieß es in der Einlassung.
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Mittlerweile habe sie ihr Studium aufgegeben, lebe wieder bei den Eltern und widme sich dem Protest, der sie auch auf die Anklagebank geführt habe. Dabei seien die Sitzblockaden "wissenschaftlich, moralisch und rechtlich gerechtfertigt".
Die Klimakatastrophe führe zu extremen Wetterereignissen, mehr Dürren, Fluten, Ernteausfällen, Hunger, der wiederum Fluchtbewegungen und soziale Unruhen verursache, Abschottungen und Kriege auslöse. "Wir haben als Gesellschaft noch nicht ansatzweise begriffen, was da auf uns zurollt", schreibt Rochel in ihrer Einlassung.
Der Staat tue zu wenig. In Artikel 20a des Grundgesetzes habe er sich verpflichtet, die Lebensgrundlagen zu schützen, doch dem komme er nicht nach.
"Das ist keine Meinung, sondern physikalische Realität." Es blieben nur noch zwei bis drei Jahre, um das Ruder herumzureißen – für politische Aktivitäten sei das nicht lang genug.
Auch früher habe es Protest gegeben, der sich über Gesetze hinweggesetzt habe. Er habe zur Gleichstellung von Mann und Frau und zur Aufhebung der Rassentrennung geführt.
Und auch heute lebe man hier in "Zeiten großen Unrechts": "Rückblickend wird es für alle deutlich sein, dass es ein klares Richtig und ein klares Falsch gab", so Rochel. Und zuletzt tue sie das alles nicht aus Spaß: Sie habe jedes Mal Angst auf der Straße und Verständnis für die Autofahrer.
Die Staatsanwaltschaft beantragte, nachdem zwei Polizisten zum Ablauf der Protestaktion aussagten, schließlich 90 Tagessätze à 15 Euro. Verteidiger Laue forderte am Ende seines 45-minütigen Plädoyers einen Freispruch: Die Klimakatastrophe und ihre Folgen seien eine Wahrheit, die Rochel den Menschen in dieser Form zumuten dürfe – "auch gegen ihren Willen".
Die Nötigung sei nicht verwerflich – und damit nicht strafbar. Das sei etwa bei Demonstrationen zu reinen Meinungen der Fall, grenzte Laue ab: Bei Sitzblockaden gegen den Nato-Doppelbeschluss oder gegen die Nutzung von Kernenergie.
Richterin Silke Krohe schob dieser Argumentation in nur wenigen Minuten einen Riegel vor: Die Berufung auf einen Wahrheitsanspruch dürfe keine Straftaten rechtfertigen, erklärte sie in der Urteilsbegründung: "Das ist eine brandgefährliche Argumentation und im Kern totalitär", so Krohe. Wissenschaftliche Erkenntnisse entwickelten sich, es müsse immer weiter abgewogen werden. "Und das ist Aufgabe der Politik."