Kommunalwahl 2019

So grundlegend hat sich die politische Landkarte Heidelbergs geändert

Erstmals mit Abstand stärkste Partei - CDU und SPD sind die großen Verlierer - Rechtspopulisten stagnieren - Gemeinderat bleibt zersplittert

27.05.2019 UPDATE: 28.05.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 39 Sekunden

Jubel bei den Grünen: Neu-Stadtrat Sahin Karaaslan (v.l.) mit den beiden Spitzenkandidaten Luitgard Nipp-Stolzenburg und Felix Grädler und dem Rückkehrer Derek Cofie-Nunoo. Foto: Rothe

Von Micha Hörnle

Heidelberg. Die Kommunalwahl, deren Ergebnisse am Montagabend um 19.17 Uhr Oberbürgermeister Eckart Würzner bekannt gab, hat die politische Landkarte Heidelbergs grundlegend geändert: Gab es vorher drei halbwegs gleich große Parteien CDU - bisher mit leichtem Vorsprung am stärksten -, dann die Grünen, gefolgt von einer etwas schwächeren SPD, dominiert nun die eine politische Kraft der Stadt: die Grünen. Damit machte die Partei wahr, was sie stadtweit plakatiert hatte: "Grün, grüner, Heidelberg". Entsprechend ausgelassen war auch die Stimmung im Neuen Rathaussaal, die Grünen feierten sich selbst und ihre neue ungewohnte Stärke.

Hintergrund

17 neue Gesichter - Fünf Frauen mehr - Neue Stimmkönige

Geschlechterverhältnis: Der Gemeinderat wird nicht nur deutlich grüner, sondern auch deutlich weiblicher. Konnten bei der Wahl 2014 nur 15 Frauen ein Mandat erringen, waren es

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17 neue Gesichter - Fünf Frauen mehr - Neue Stimmkönige

Geschlechterverhältnis: Der Gemeinderat wird nicht nur deutlich grüner, sondern auch deutlich weiblicher. Konnten bei der Wahl 2014 nur 15 Frauen ein Mandat erringen, waren es dieses Mal 20. Damit beträgt der Frauenanteil jetzt 41,7 Prozent, bislang waren es 31,2 Prozent. Die meisten Stadträtinnen stellt dabei auch die größte Fraktion: Bei den Grünen sind die Hälfte der 16 Mitglieder weiblich. Eine noch höhere Quote haben nur zwei kleinere Fraktionen: Sowohl bei den Heidelbergern als auch bei den Linken sind zwei von drei Gemeinderatsmitgliedern Frauen.

Alter: Das Gremium wird jünger. Nicht nur der Altersdurchschnitt mit jetzt 47,5 Jahren sank (2014: 50,47 Jahre, 2009: 50,4 Jahre). Die jüngste aller Räte nimmt bei den Linken Platz: Zara Kiziltas ist gerade 20 Jahre alt und war schon im Jugendgemeinderat in Philippsburg und in der Hochschulgruppe der Linken aktiv. 22 Jahre zählt Rahel Amler von den Grünen. Alterspräsident ist jetzt der 76-jährige Arnulf Weiler-Lorentz von der Bunten Linken. Bei den großen Fraktionen ist die SPD mit durchschnittlich 40,6 Jahren am jüngsten. Die Grünen kommen auf 42,57 Jahre, die CDU auf 54,8 Jahre.

Stimmenkönige: Es ist schon bemerkenswert: Während Werner Pfisterer (CDU) bei den letzten beiden Kommunalwahlen 2009 und 2014 jeweils unangefochten Stimmenkönig war, reichen seine 24.270 Stimmen dieses Mal nur für Platz 14. Denn die zwölf Kandidaten mit den meisten Stimmen sind allesamt von den Grünen: Stimmenkönigin ist Luitgard Nipp-Stolzenburg mit 40.844 Stimmen vor Felix Grädler (39.535 ) und Marilena Geugjes (37.874 ). Auf Platz 13 - und damit die Nicht-Grüne mit den meisten Stimmen - ist SPD-Stadträtin Anke Schuster (24.646 ).

Neu gewählt: Unter den 48 Stadträten sind 17 neue Gesichter - davon alleine zehn bei den Grünen. In die geschrumpfte CDU-Fraktion hat es dagegen kein einziger Neuling geschafft. Neu bei den Grünen sind Marilena Geugjes, Sahin Karaaslan, Anja Gernand, Ursula Röper, Rahel Amler, Julian Sanwald, Derek Cofie-Nunoo (der schon mal für die Generation-HD im Rat saß), Dorothea Kaufmann, Nicolá Lutzmann, und Anita Schwitzer. Bei der SPD sind erstmals Sören Michelsburg, Johannah Illgner und Adrian Rehberger dabei. Neu bei den "Heidelbergern" ist Marliese Heldner, bei der "Linken" Zara Kiziltas, und bei der AfD Sven Geschinski. Ganz neu vertreten im Heidelberger Gemeinderat ist "Die Partei": Ihr Spitzenkandidat Björn Leuzinger konnte einen Sitz erobern.

Nicht mehr dabei: Bei der CDU verloren "Perkeo" Thomas Barth, Alfred Jakob und Martin Ehrbar ihr Mandat. Von der SPD schafften es Karl Emer und Michael Rochlitz nicht mehr in den Rat. Bei den kleinen Gruppierungen erwischte es nur einen: Hans-Martin Mumm von der GAL. Insgesamt elf Stadträte traten dieses Jahr nicht mehr an: von den Grünen Beate Deckwart-Boller, Peter Holschuh, Sandra Detzer und Oliver Priem, bei der SPD Irmtraud Spinnler und Mirko Geiger, außerdem Karl-Heinz Rehm und Matthias Diefenbacher (beide "Heidelberger") und Anja Markmann (AfD). Alexander Schestag trat samt seiner Liste, den Piraten, nicht mehr an, ebenso wie Thilo Hilpert, der bei "Heidelberg pflegen und erhalten" für den verstorbenen Wassili Lepanto nachgerückt war. bik/dns/rie

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Richtig reingehauen hatte das Ergebnis bei der CDU. Man hatte mit Verlusten gerechnet, vielleicht einen Sitz weniger als die bisherigen zehn. Aber dass die Christdemokraten mit einem Minus von drei Sitzen derartig abstürzen und nur noch knapp vor den sowieso gebeutelten Sozialdemokraten liegen würden, kam wirklich unerwartet. Die wiederum wirkten recht gefasst: "Ehrlich gesagt, mit dem Ergebnis kann ich leben", sagte SPD-Fraktionschefin Anke Schuster. Innerlich waren sie und die Genossen auf ein noch schlechteres Ergebnis gefasst als "nur" ein Sitz weniger.

Tatsächlich kommt der einen großen und den zwei halbwegs großen Fraktionen im Rat eine noch größere Bedeutung in der Stadtpolitik als in den letzten fünf Jahren zu: Grüne, CDU und SPD vereinen nun 30 von 48 Sitzen (vorher: 28). Das klassische Lagerdenken hat angesichts von zwölf Listen, die nun in den Rat einziehen werden - davon sind die Spaßgruppierung "Die Partei" sowie "Heidelberg in Bewegung" neu -, keine Chance mehr. Das "linke Lager" (Grüne, SPD, Grün-Alternative Liste, "Die Linke", "Bunte Linke" und "Heidelberg in Bewegung") hätte rechnerisch zwar eine Mehrheit von 34 Sitzen, ist aber inhaltlich alles andere als geschlossen.

Das "bürgerliche Lager" (CDU, "Die Heidelberger", FDP, Freie Wähler) - und damit die klassischen Unterstützerparteien von OB Eckart Würzner - ist mit nur noch 13 Sitzen fast marginalisiert. Das Regieren wird also für Würzner eher komplizierter - wenn er sich nicht mit den Grünen arrangieren sollte. An ihnen kommt er in Zukunft nicht mehr vorbei. Im Gespräch mit der RNZ kündigt er an, mit der Partei nun besonders eng zusammenzuarbeiten - wobei er sich fragt, ob die Grünen ihre Rolle als "die" Fraktion und die damit verbundene Verantwortung schon ganz begriffen haben.

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Das sind die Räte

Bei der grünen Dominanz gehen fast die Ergebnisse der kleineren Gruppierungen unter: Diese neun Listen mit insgesamt 18 Mandaten haben jeweils drei Sitze oder weniger. Am stärksten sind da noch "Die Heidelberger", die FDP und "Die Linke" mit je drei Sitzen. Die FDP hat, ganz im Bundestrend, ein wenig dazugewonnen, die AfD hat in Heidelberg entgegen dem deutschen Schnitt eher stagniert. Noch vor der Wahl waren die meisten Beobachter von einem erheblichen Stimmenzuwachs für die Rechtspopulisten ausgegangen. Tatsächlich hatten sie bis 18.30 Uhr einen dritten Ratssitz fast sicher, bis sie ihn an die Grünen abgeben mussten, die so ihr 16. Mandat holten.

Fast erstaunlich angesichts eines durchschlagenden Bundestrends bei der Kommunalwahl ist, dass sich drei Heidelberger Gruppierungen halten konnten: "Die Heidelberger" (vor 25 Jahren als Opposition gegen die damalige SPD-Oberbürgermeisterin Beate Weber-Schuerholz gegründet), die Grün-Alternative Liste (die bis zur Trennung 2009 auch für die Grünen die Kommunalpolitik "besorgte") und die "Bunte Linke" (vor 15 Jahren als linkes Bündnis gegründet und oft die "wahre Opposition" im Gemeinderat). Fast bedeutungslos sind nun die Freien Wähler mit nur noch einem Sitz; sie hatten bis in die späten achtziger Jahren bis zu sechs Mandate (in einem kleineren Gemeinderat) geholt.

Der neue Gemeinderat ist in großen Teilen auch von den Gesichtern her neu: 17 Personen, also über ein Drittel aller Räte, sind "Frischlinge" - allein bei den Grünen sind es zehn. Unter ihnen ist allerdings ein alter Bekannter: Derek Cofie-Nunoo. Der hatte vor 20 Jahren "Generation-HD" gegründet und war für diese Gruppierung von 2004 an Stadtrat. 2009 schloss sich "Generation-HD" mit den Grünen zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammen, Ende 2013 wurde er schließlich grüner Gegenkandidat zu OB Würzner, bis er sich im Frühjahr 2014 krankheitsbedingt aus der Politik zurückzog. Mittlerweile wieder genesen, ließ sich der 53-Jährige für die Grünen auf dem letzten Listenplatz aufstellen - und wurde überraschend "nach vorn" gewählt. Das passt zu dem kommunalpolitischen Erdbeben, wie es die Stadt noch nie erlebt hat.

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