IBA-Chef warnt

Wird PHV zur Blamage für Heidelberg?

Großes IBA-Finale ab Freitag: Michael Braum fürchtet eine mangelnde Umsetzung des PHV-Konzepts.

27.04.2022 UPDATE: 28.04.2022 06:00 Uhr 4 Minuten, 53 Sekunden
Eine erste Visualisierung, wie Patrick-Henry-Village nach dem IBA-Masterplan aussehen könnte: Grün, sozial, architektonisch vielfältig – und innovativ. Visualisierung: IBA

Von Sebastian Riemer

Heidelberg. Nach zehn Jahren endet die Internationale Bauausstellung (IBA) in Heidelberg mit einer großen Abschlusspräsentation. Im RNZ-Gespräch spricht IBA-Chef Michael Braum eine deutliche Warnung an die Stadt aus.

Herr Braum, seit 2012 leiten Sie die Internationale Bauausstellung. Jetzt präsentieren Sie die Ergebnisse. War die IBA Heidelberg ein Erfolg?

Die IBA hat der Stadt gutgetan. Ob sie ein Erfolg ist, wird man frühstens in zehn Jahren sehen. Aber wir sind dankbar, dass die Stadt uns als produktivem Störenfried gut eine Million Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt hat.

Woran wird man in Zukunft sehen, ob die IBA ein Erfolg war oder nicht?

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Daran, ob die Fährten, die wir gelegt haben, weiter gedacht werden. Ganz konkret etwa bei Patrick-Henry-Village: Ob sich der neue Stadtteil so entwickeln wird, wie es unser Dynamischer Masterplan vorgibt.

IBA-Chef Michael Braum steht inmitten des großen Stadtmodells, dem Herzstück der IBA-Endpräsentation im neuen Karlstorbahnhof in der Südstadt. Ab Freitag werden dort die Ergebnisse der vor zehn Jahren begonnenen Internationalen Bauausstellung präsentiert. Foto: IBA

Erklären Sie doch mal in zwei Sätzen, was der IBA-Masterplan für PHV vorsieht.

Einen sozial und architektonisch radikal vielfältigen Zukunftsstadtteil voller Freiräume, der Maßstäbe setzt beim Einsatz digitaler Technologien, innovativer Mobilitätskonzepte und klimaneutraler Energie. Genauso wichtig ist die dynamische Planung, die klug und dem Gemeinwohl verantwortlich auf sich wandelnde Ansprüche reagieren kann.

Sind Sie zuversichtlich, dass die Stadt diesen Vorgaben der IBA folgt?

Der Gemeinderat hat den Masterplan so beschlossen. Aber ich mache mir große Sorgen: Bei der Umsetzung muss man sich fragen, ob alle, die darüber entscheiden, den Plan überhaupt komplett gelesen haben.

Wie meinen Sie das?

Ein Beispiel: Das Konzept sieht klar vor, dass im Süden von Patrick-Henry-Village schnell Pioniere angesiedelt werden sollen – Handwerker, Start-ups, erste Bewohner. Dafür sollte es einen Aufruf geben. Den gab es nie. Nun bleibt der einzige Pioniernutzer die von dem Metropolink-Team bespielte Commissary.

Hintergrund

> Die Internationale Bauausstellung Heidelberg (IBA) endet nach zehn Jahren mit ihrer Abschlusspräsentation. Ihr Ziel unter dem Motto "Wissen schafft Stadt" war es, städtebauliche und architektonische Projekte für die Wissensgesellschaft von morgen zu initiieren, zu

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> Die Internationale Bauausstellung Heidelberg (IBA) endet nach zehn Jahren mit ihrer Abschlusspräsentation. Ihr Ziel unter dem Motto "Wissen schafft Stadt" war es, städtebauliche und architektonische Projekte für die Wissensgesellschaft von morgen zu initiieren, zu beraten und zu begleiten.

> 23 IBA-Projekte gibt es, drei davon in Mannheim. Von den 20 Heidelberger Projekten sind neun fertig, elf noch in der Planungs- oder Entstehungsphase. Die IBA hat den Masterplan für Patrick-Henry-Village erarbeitet, aber etwa auch den Bau des Studierendenwohnheims Collegium Academicum, und das Projekt einer Muslimischen Akademie begleitet.

> Das IBA-Finale startet am Freitag, 29. April, mit einer Auftaktkonferenz in der Kirche St. Michael (Südstadt). Die Ausstellung mit der Präsentation der Ergebnisse im neuen Karlstorbahnhof in der Südstadt, Marlene-Dietrich-Platz 3, wird am Freitag um 18.30 Uhr eröffnet und ist bis 26. Juni zu sehen (Dienstag bis Freitag, 15 bis 20 Uhr; Wochenende 12 bis 18 Uhr). Das Begleitprogramm zum IBA-Finale geht bis in den Juli. Alle Termine unter: iba.heidelberg.de/de/veranstaltungen.

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Also hält sich die Stadt nicht an den IBA-Masterplan – und der Gemeinderat merkt es nicht oder es ist ihm egal?

Woran es liegt, weiß ich nicht. Aber man muss konstatieren, dass es bereits zurück in alte Bahnen von Vor-IBA-Zeiten geht: Die einzelnen Fachämter versuchen, das Optimum aus ihrer jeweiligen Sicht herauszuholen. Und auch das ewige Prüfen greift schon wieder um sich – deshalb dauert es beispielsweise so lange, die Beauftragung für den Parkway, die zentrale Flaniermeile, auf den Weg zu bringen.

Also ist der Masterplan bereits jetzt das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht?

Nein, ich habe Hoffnung. Man muss das Ruder jetzt herumreißen. Wir müssen aufpassen wie ein Luchs, dass unser bundesweit aufmerksam beobachtetes Projekt doch noch umgesetzt wird wie geplant – sonst wird es eine Blamage für Heidelberg.

Wie soll das gelingen, wenn die IBA erst einmal vorbei ist? Wer soll denn die Rolle des Luchses übernehmen?

Das kann nur ein verstärktes Dezernat für Stadtentwicklung und Bauen unter Bürgermeister Jürgen Odszuck machen. Wir haben im IBA-Büro zehn hoch qualifizierte Menschen: Die Verwaltung darf dieses Wissen nicht gehen lassen. Es braucht ein interdisziplinäres PHV-Entwicklungsteam nach IBA-Vorbild, das fachübergreifend Verantwortung übernimmt. Wird die Planung zwischen den Ämtern und Interessengruppen zerrieben, ist der Masterplan tot und PHV wird nur irgendein Stadtteil.

Noch düsterer ist das Bild, das eine Graphic Novel in der jüngsten IBA-Publikation, dem "Logbuch Nr. 3", von Heidelbergs Zukunft zeichnet – mit abgebranntem Stadtwald, chinesischem Militär in den Campbell Barracks und einem Reichengetto in PHV. Ist das eine Warnung an Heidelberg?

Ja, ist es: Heidelberg muss aufpassen. In der Welt außerhalb unserer Wohlfühlblase werden Fakten geschaffen, von denen Heidelberg nicht verschont bleiben wird. Manchmal hilft es, in Worst-Case-Szenarien zu denken, um diese zu verhindern. Auch das ist ein Auftrag der IBA: Damit Heidelberg eine Stadt bleibt, in der man gerne lebt, müssen wir alle hart arbeiten, uns gegen Fehlentwicklungen zur Wehr setzen und uns nicht ausruhen auf unserer pittoresken Schönheit.

Was bedeutet das konkret?

Heidelberg muss die städtebaulichen Voraussetzungen schaffen für ein weiterhin gelingendes Zusammenleben. Die Zukunft liegt nicht in der grün-saturierten Weststadt, im konservativ-reichen Neuenheim oder im geerdeten Handschuhsheim – sondern in lebenswerten, radikal durchmischten, zukunftsfähigen Stadtteilen für eine extrem vielfältige Bevölkerung.

Sie sagten anfangs, die IBA habe der Stadt gutgetan. Inwiefern eigentlich?

Wir haben Strukturen aufgebrochen und Ressortdenken zurückgedrängt. Damit kann Heidelberg Zukunftsfragen jetzt vorbereiteter angehen. Der eine oder andere in der Verwaltung hat dieses Denken auch verinnerlicht. Bleibt dieser Geist erhalten, wirkt die IBA nachhaltig, weil anders über Entwicklung diskutiert und anders geplant wird.

Sprechen wir über die Projekte. Welches ist denn aus Ihrer Sicht – neben PHV – das wichtigste?

Die Raumstrategien der Wissensstadt, die wir gemeinsam mit den wissenschaftlichen Einrichtungen erarbeitet haben. Diese räumliche Vision zeigt, welche Potenziale bisher ungenutzt und welche Entwicklungen notwendig sind – von der Einbindung der Region bis hin zur Vernetzung einzelner Bauten. Das präsentieren wir sehr exponiert in unserer Ausstellung – und da stecken auch einige Aufreger drin.

Was für Aufreger denn?

Wir fordern Brücken, dass es nur so kracht. (lacht) Wenn man mal nach Salzburg schaut, muss man sich in Heidelberg schon fragen, warum wir eigentlich nur vier Neckarbrücken haben. Es braucht viel mehr Wege über den Neckar! Und natürlich müssen unbedingt jede Menge wissenschaftliche Einrichtungen ins PHV.

Sind das nicht Forderungen, die bald in einer Schublade des Stadtarchivs verschwinden, wenn man bedenkt, dass die IBA nicht mal beim Masterplan fürs Neuenheimer Feld mitmachen durfte?

Ich will schwer hoffen, dass dieses aus Sicht der Wissenschaften entwickelte Planwerk ernst genommen wird. Andernfalls kann Heidelberg einpacken. Und zum Campus Neuenheimer Feld: Ja, da hätten wir gerne mitgemacht. Doch leider gab es Ängste, dass die IBA zu sehr in der politischen Auseinandersetzung zerrieben wird.

Die Anfangsjahre der IBA waren geprägt durch das wenig erfolgreiche Werben um einen finanziellen Einstieg von Land und Bund. Hat dieser Kampf Kraft gekostet, die besser inhaltlich eingesetzt worden wäre?

Definitiv! Letztlich habe ich die Hälfte der Jahre 2012 bis 2017 Jahre damit verbracht, bei Bund und Land Gutwetter zu machen – leider weitgehend erfolglos. Immerhin haben wir für den "Anderen Park" in der Südstadt eine umfangreiche Bundesförderung bekommen und das Land hat die Erarbeitung der Raumstrategien der Wissenschaften mitfinanziert. Positiv bleibt festzuhalten: Heidelberg steht durch die IBA in ganz anderer Weise auf der Agenda des Bundes. Ein Grund, dass der Bundeskongress der Nationalen Stadtentwicklungspolitik 2024 nach Heidelberg kommt.

Aber vom Land kam fast nichts. Hat die reine Stadt-IBA Heidelberg deshalb nicht so viel Strahlkraft entwickelt?

Ja, eine rein städtische IBA würde ich anderen nicht empfehlen. Sie ist zwar wertvoll für die jeweilige Stadt, kann wegen der mangelnden finanziellen Schlagkraft aber keine übergeordneten Lösungen bieten. Dennoch haben wir es geschafft, ein Klima in dieser Stadt zu schaffen, das renommierte, hochinteressante Leute anzieht, die hier arbeiten wollen. Heidelberg ist es durch die IBA gelungen, im Städtebaudiskurs auf ein europaweites Netzwerk zu setzen.

Geben Sie uns doch zum Schluss ein paar Veranstaltungstipps für das Programm der Abschlusspräsentation.

Die Auftaktkonferenz am Freitag ist für jeden Heidelberger ein Muss – mit so renommierten Leuten wie Aleida und Jan Assmann oder dem Architekten Matthias Sauerbruch. Spannend wird auch das RNZ-Forum am 5. Mai, bei dem wir darüber sprechen, wie es nach der IBA weitergeht. Und wir lassen unser Spaziergang-Format wieder aufleben. Am 10. Juni spazieren wir beide ja durch Bergheim-West, Herr Riemer, da freue ich mich drauf.

Ich mich auch, Herr Braum. Sagen Sie mal, ziehen Sie eigentlich nach der IBA zurück nach Berlin, wo Sie vier Jahrzehnte gelebt haben?

Nein, ich habe Heidelberg schätzen gelernt, ich bleibe. Als Südhesse fühle ich mich in der Kurpfalz wohler als bei den Preußen in Berlin.

Also werden auch Sie persönlich sich künftig in Heidelberg einmischen?

Also es gibt ja nichts Schlimmeres als alte Säcke, die immer noch erzählen, wie der Hase angeblich läuft – und ich werde nächstes Jahr 70! Aber ich gebe zu: Die Gefahr besteht. Meine Mutter hat immer gesagt: Ein angebissenes Brötchen wirft man nicht weg, das isst man auf. Und die IBA ist ein angebissenes Brötchen!

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