"Ich fürchte, die Stadthalle könnte die Atmosphäre eines Kinosaales bekommen"
Prof. Martin Sander kritisiert die Sanierungspläne für den großen Saal. Ein Plädoyer für eine Rückbesinnung auf Philipp Wolfrum.

Von Holger Buchwald
Heidelberg. Eine "Weinberg-Konstruktion" mit aufsteigenden Rängen im Parkett und der Einbau von Hubpodien im Zuschauerbereich seien für die Stadthalle ungeeignet, findet Martin Sander. Der 58-jährige preisgekrönte Organist ist in Heidelberg kein Unbekannter: Von 1999 bis 2012 war er Professor an der Hochschule für Kirchenmusik und hat die Stadthallenorgel als Kustos betreut. In dieser Zeit hat er sich intensiv mit dem Werk von Philipp Wolfrum befasst, der 1903, als die Stadthalle eröffnet wurde, Generalmusikdirektor in Heidelberg war. Derzeit lehrt Sander in Detmold und Basel.
Prof. Sander, wie gut sind Sie über die Umbaupläne für die Heidelberger Stadthalle informiert?
Da kann ich mir selbst keine Schulnote geben. Aber ich habe verstanden, um was es geht: um eine Weinberg-Konstruktion für den Zuschauerraum, die über Hubpodien im Parkett reversibel ist, aber auf den Emporen mit irreversibel steilen Rängen arbeitet. Durch beides wird das für den Klang relevante Raumvolumen im großen Saal sehr viel kleiner.
Welche Punkte kritisieren Sie?
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Die Attraktivität der Stadthalle liegt in meinen Augen in der Schönheit ihrer historischen Substanz als einem der Wahrzeichen Heidelbergs. Sie zu erhalten und zugleich ein modernes Kongresszentrum in der Bahnstadt zu bauen, wäre etwas ganz Besonderes. Die Stadthalle war doch niemals ein "Weinberg", die Akustik wurde von dem damaligen Generalmusikdirektor Philipp Wolfrum ausgeklügelt. Eine seiner genialen Ideen war, den Bühnenbereich als speziell geformte "Musiknische" zu planen und dort auf von ihm erfundene bewegliche Podien zu setzen, die per Handkurbel bewegt werden konnten. In meinen Augen war es ein Fehler, diese später durch feste Podien zu ersetzen.
Was war so genial an dieser Idee?
Wolfrum beschreibt das selbst sehr gut in seinem Büchlein "Die Heidelberger Konzertreform". Es ging ihm darum, die Orchesterensembles und Solisten je nach aufgeführtem Werk unterschiedlich zueinander zu positionieren. So konnte man durch die Podien einige oder auch alle Musiker wie in einen Orchestergraben versenken. Auch ließ Wolfrum gerne einmal die abgesenkten Bläser gegen die Rückwand der Musiknische spielen, zugunsten einer noch indirekteren, dadurch runderen Klangwirkung. Solche Ideen ließen sich auch heute noch für sehr schöne Effekte nutzen. Die Möglichkeit dazu wäre mit den geplanten Zuschauerreihen hinter dem Orchester verschenkt.
Die Akustik in der Stadthalle war zuletzt aber laut Gutachten nicht gerade optimal.
Ich denke, das lag vor allem an dem Vorhang, der in den 60er Jahren hinzukam, und an der plüschigen Bestuhlung. Beides hat sehr viel Schall absorbiert. Der Vorhang kann weg – und für die Stühle könnte man heute Material verwenden, das es in den 60ern so noch nicht gab.
Durch den Weinberg kämen die Zuhörer aber in den Genuss des direkten Schalls.
Der Direktschall darf nicht zu klein sein, das stimmt. Das ästhetisch Schöne ist aber der Raumklang – und der nimmt ab, wenn das Raumvolumen durch den Weinberg geringer wird. Die vorgeschlagene Deckenöffnung über den Emporen, die das Landesdenkmalamt übrigens als problematisch einstuft, wäre in meinen Augen nur der verzweifelte Versuch, etwas von dem Raumvolumen zurückzugewinnen, das durch den Weinberg verloren ginge, also einen Fehler durch einen weiteren zu kompensieren.
An der Neckarseite will Architekt Felix Waechter einen Bypass vom großen Saal abzwacken, durch den die Besucher vom Foyer in den Meriansaal gelangen können. Was halten Sie davon?
Ich fürchte, der Saal ist nicht groß genug, dass man von ihm noch etwas abtrennen sollte. Man kann in solchen Räumen nicht straflos Wände einziehen, ohne dass die Akustik leidet. Das hat man schon in manchen Kirchen gesehen, so zum Beispiel in St. Petri in Freiberg. Die Silbermann-Orgel dort hat nicht mehr den Klang wie früher. Es gibt positive Beispiele, wo Modernisierungen besser gelöst wurden.
Was meinen Sie damit?
Ich denke vor allem an das Stadtcasino Basel. Es wurde von den Architekten Herzog und de Meuron saniert, die auch für die Elbphilharmonie verantwortlich waren. Diese Architekten, die in Hamburg einen perfekten Weinberg geschaffen haben, wären nie auf die Idee gekommen, in dem historischen Konzertsaal in der Schweiz dasselbe zu probieren. Das Stadtcasino ist ein bisschen größer als die Heidelberger Stadthalle, hat nach dem Umbau noch 1397 Plätze. Bei solch einem geringen Raumvolumen kommt eine Weinberg-Konstruktion gar nicht richtig zum Tragen. Ich bin zwar kein ausgebildeter Akustiker, aber ich fürchte, die Stadthalle könnte als Weinberg die Atmosphäre eines Kinosaales bekommen.
Kennen Sie die Stadthalle auch ohne Vorhang oder wie kommen Sie auf die Idee, dass vor allem er für die schlechte Akustik verantwortlich war?
Als man ihn noch hoch und runterfahren konnte, habe ich in der Stadthalle eine CD mit Wolfrums Orgelsonaten aufgenommen. Als der Vorhang größtenteils nicht mehr hing, sondern auf dem Boden der Bühne lag, hatte der Saal eine schöne Akustik. Und der Klang der Orgel hat den Raum gut gefüllt.
Was ist eigentlich das Besondere an der Stadthallen-Orgel?
Dieses Instrument des badischen Orgelbauers Voit ist die älteste Konzerthallenorgel Deutschlands und hat als eine von wenigen romantischen Orgeln all die Jahre weitestgehend im Originalzustand überlebt, auch dank einer sehr behutsamen Restaurierung durch die Firma Vleugels 1993. Sie war Vorbild für eine ganze Reihe anderer Orgelbauten. Die Baden-Badener wollten so eine für ihr Kurhaus, die Prager für ihren Smetana-Saal. Und Pfiffikus Wolfrum war damals auf die Idee eines fahrbaren Spieltisches gekommen – seitdem wurden Saal-Orgeln nie mehr anders gebaut.
Die "Konzertfreunde der Stadthalle" setzen sich bei der Sanierung für einen optimierten Ist-Zustand ein. Wie könnte der in Ihren Augen aussehen?
Ein Vorbild könnte das sensible denkmalgerechte Vorgehen im schon erwähnten Stadtcasino Basel sein. Hier in Heidelberg würde das eine gewisse Rückbesinnung auf 1903 bedeuten – mit Beseitigung der Schallschlucker, Wiederherstellung flexibler Podien im Bühnenbereich, akustisch optimierter Bestuhlung und gerne auch Rückkehr zu fünf Sitzreihen auf der Empore, aber keinesfalls so steil ansteigend wie im Rahmen der Weinberg-Planung gedacht. So könnte optisch der Flair dieses schönen Jugendstil-Saals bewahrt werden und akustisch der Geist wieder zurückkehren, der in diesem Konzerthaus Jahrzehnte lang geherrscht hatte, bis daraus der Tanzsaal der Amis und eine Kongresshalle wurde.
