Heidelberger Sperrzeiten-Streit

Andere Uni-Städte sind beim Lärm gelassener

Tübingen setzt auf Dialog und Kontrollen - Freiburg wirkt beschwichtigend auf "Rucksacksäufer" ein - Sperrzeiten sind kein Thema

19.08.2019 UPDATE: 20.08.2019 06:00 Uhr 3 Minuten, 7 Sekunden

Auch in der Tübinger Altstadt - hier das Rathaus - kennt man Beschwerden von Anwohnern über nächtlichen Lärm. Doch statt längerer Kneipen-Sperrzeiten setzt die Unistadt auf eine "Allianz der Vernünftigen". Foto: dpa

Von Holger Buchwald

Heidelberg. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe wird in Heidelberg mal wieder emotional und kontrovers über die Themen Kneipenkultur und Lärm in der Altstadt diskutiert. Während die Karlsruher Richter den Gemeinderat aufgefordert haben, die Kneipenöffnungszeiten in Teilen der Kernaltstadt werktags auf Mitternacht und am Wochenende auf 2.30 Uhr zu begrenzen, um die Nachtruhe der Anwohner durchzusetzen, ist dies in Tübingen und Freiburg derzeit kein Thema. Dennoch gibt es in den beiden Universitätsstädten ganz ähnliche Probleme. Die RNZ hat bei der Tübinger Ordnungsbürgermeisterin Daniela Harsch und dem Freiburger Ordnungsamtsleiter René Funk nachgefragt.

Tübingen

In Tübingen gibt es derzeit keine juristischen Klagen. "Wir haben aber viele Beschwerden von Anwohnern", sagt Bürgermeisterin Daniela Harsch. Die Studentenstadt lebe aber von einer vielfältigen Kneipenkultur. Daher bemühe sich die Stadtverwaltung um eine "Allianz der Vernünftigen". "Uns geht es um einen Ausgleich der berechtigten Interessen. Tübingen ist eine sehr junge Stadt, aber auch ein Wohnort."

Harsch, die seit Januar im Amt ist, setzt auf Dialog und Kontrollen. Am Runden Tisch Altstadt sitzen neben den Ordnungsbehörden von Stadt und Polizei auch die Bürger- und die Gastroinitiative. Die Wirte bieten überdies Workshops für die Anwohner an, in denen diese mitteilen können, was sie am meisten stört. Gemeinsam wird dann nach Lösungen gesucht. Mal geht es um die Basslautstärke, mal darum, keine Getränke mehr mit auf die Straße zu nehmen oder mehr Türsteher einzusetzen. "Es geht um unzählige verschiedene Einzelfalllösungen", sagt Harsch.

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Die Personalstärke des Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) in Tübingen wurde im letzten Sommer verdoppelt. Aktuell laufen acht Mitarbeiter vor allem nachts und am Wochenende Streife durch die Altstadt. "Wir haben Hinweisschilder aufgestellt, dass die Nachtruhe nach 22 Uhr eingehalten werden muss, und auf denen wir Bußgelder von 60 Euro androhen", so Harsch: "Und das vollstrecken wir auch."

Der nächtliche Lärm in der Altstadt werde bei Weitem nicht nur von Jugendlichen und Studenten verursacht, weiß Harsch: "Das ist ein Gruppenphänomen." Auch Ältere, die von einem Ort zum anderen ziehen, seien in den engen Gassen laut. Daher könne das Problem auch nicht über die Sperrzeiten gelöst werden. Stattdessen sucht Tübingen nach intelligenteren Lösungen. "Wir haben auch schon eine Lärmampel diskutiert, wie sie es in Freiburg gibt, die den Nachtschwärmern anzeigt, wenn sie zu laut sind." Allerdings fürchtet Harsch einen gegenteiligen Effekt, wie sie schon bei Geschwindigkeitsanzeigen für Radler erlebt hat. Anstatt die Raser zu bändigen, versuchen nun manchmal Radler wie Fußgänger, möglichst schnell die Messstelle zu passieren.

Mit dem Institut für Sozialpsychologie der Universität Tübingen möchte die Stadt neue Lösungsansätze erarbeiten. Harsch hofft aber auch auf das Entgegenkommen der Anwohner: "Sicher gibt es ein Recht auf Nachtruhe. Gibt es aber auch eines für Schlaf bei offenem Fenster?" Die Bürgermeisterin selbst wohnt an einer viel befahrenen Straße und muss ihr Schlafzimmerfenster wegen des Verkehrslärms meist geschlossen halten.

Freiburg

Auch in Freiburg gibt es große Probleme mit nächtlichem Lärm, bestätigt Ordnungsamtsleiter René Frank: "Der Lärm geht aber nicht primär von Gaststätten aus." Stattdessen treffen sich in den Sommermonaten viele junge Menschen auf dem Augustiner- oder dem Lederleplatz. Frank: "Sie bringen ihr Bier mit."

Der Freiburger Augustinerplatz ist bei jungen Menschen nachts ein beliebter Treffpunkt. Viele bringen ihren eigenen Alkohol mit. Im Hintergrund zeigt die "Säule der Toleranz" den Nachtschwärmern farblich an, wann sie nach Hause gehen sollten. Wird die Säule rot, ist es Zeit zu gehen - allerdings bleiben viele gerade dann noch sitzen, weil der Rotton so eine gemütliche Stimmung erzeugt. Foto: dpa

Zu massiven Lärmbeschwerden komme es in jüngster Zeit vor allem am Lederleplatz. Das hängt laut Frank auch damit zusammen, dass in der Nähe ein nächtlicher Kiosk, ein sogenannter "Späti" aufgemacht hat, an dem sich die Feierwütigen mit Alkoholika eindecken können. "Wir führen mit dem Betreiber Gespräche und versuchen es im ersten Schritt mit einer Selbstverpflichtung, nicht so lange Alkohol zu verkaufen", berichtet Frank.

Der "Freiburger Weg" setze auf Dialog, betont der Ordnungsamtsleiter. So zeigt am Augustinerplatz zwar auch der Vollzugsdienst, wie der Ordnungsdienst in Freiburg heißt, ab Mitternacht Präsenz. "Die Mitarbeiter bitten dann die Besucher, den Platz zu verlassen." Bußgelder müssten aber so gut wie keine verhängt werden. Die "Säule der Toleranz", wie die Lärmampel auf dem Augustinerplatz heißt, habe nicht den erhofften Effekt gezeigt. Das kräftige Rot, das dem Partyvolk zeigen soll, jetzt doch bitte nach Hause zu gehen, wirke auf viele so gemütlich, dass sie extra noch länger sitzen blieben.

"Wir haben weniger mit Grölern zu tun, es geht mehr um lautes Lachen", beschreibt René Frank das Lärmproblem in Freiburg. Daneben bereiteten den städtischen Mitarbeitern aber auch die zunehmende Vermüllung der öffentlichen Plätze und das "wilde Urinieren" an Hauswände Sorgen. Doch nicht in erster Linie deswegen sei der Vollzugsdienst von zwölf auf 18 Mitarbeiter aufgestockt worden. Dabei ging es laut Frank eher um das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger. Denn nach dem Mord an einer Freiburger Studentin hat die Stadt mit der Polizei eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen. Gemeinsam zeigen die Ordnungshüter nun in der Universitätsstadt Präsenz. Dagegen sind weder die Sperrzeiten noch ein Alkoholkonsumverbot auf öffentlichen Plätzen derzeit in Freiburg ein Thema.

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