Die meisten Stadträte wollen in Berufung gehen
Erstes Stimmungsbild nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe – Kritik an Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson - "Maßnahmen endlich umsetzen"

Kein Bier mehr nach Mitternacht: Gegen die Entscheidung des Gerichts wird der Gemeinderat wohl Berufung einlegen. Foto: Hoene
Von Anica Edinger
Heidelberg. Unter der Woche soll um Mitternacht Schluss sein, am Wochenende um 2.30 Uhr: Das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Sperrzeiten-Streit vergangene Woche hat bei einigen Kopfschütteln, bei anderen Freudensprünge ausgelöst. Es war die letzte Eskalation eines langen Streits, der schon seit Jahrzehnten zwischen Wirten und Feierwütigen auf der einen, und lärmgeplagten Anwohnern auf der anderen Seite in der Kernaltstadt rund um die Untere Straße schwelt.
Nun ist es erneut am Gemeinderat, einerseits zu entscheiden, ob Berufung gegen das Urteil eingelegt werden soll - und andererseits gegebenenfalls neue Geltungsbereiche für veränderte Kneipenöffnungszeiten in der Altstadt festzulegen. Schließlich stellte das Gericht nur bei vier Klägern fest, dass der nächtliche Lärm ihre Gesundheit gefährdet - und die wohnen in der Kettengasse und an der Ecke Untere Straße/Dreinkönigstraße. Die RNZ fragte bei den Fraktionen im Gemeinderat nach. Das ist ein erstes Stimmungsbild.
Wer will in Berufung gehen? Klar für eine Berufung positioniert haben sich bislang die SPD (7 Stadträte), die Linke (3), die FDP (3), die AfD (2), die Partei (1) sowie "Heidelberg in Bewegung" (1). Die Urteilsbegründung abwarten wollen die "Heidelberger" (3) und die CDU (7) - allerdings mit deutlicher Tendenz zur Berufung. Schon jetzt sagt die CDU: "Eine attraktive Kulturstadt, die um Mitternacht ihre Innenstadt schließt, ist für niemanden akzeptabel." Auch die SPD meint: "Wir halten das Urteil nicht für geeignet, um einen angemessenen Interessensausgleich herzustellen und den Konflikt zu befrieden. Insbesondere eine Sperrzeit von 0 Uhr an Werktagen halten wir für zu restriktiv." Deutliche Worte findet auch die FDP: "In einer Universitätsstadt mit über 40.000 Studenten, restriktivere Sperrzeiten als zum Beispiel in Baden-Baden einzuführen, wäre in meinen Augen ein Armutszeugnis", so Fraktionschef Karl Breer. Und Sahra Mirow schreibt für die "Linke": "Unter der Woche um Mitternacht schließen zu müssen, bedeutet nichts anderes, als das Freizeitleben zu Grabe zu tragen. Der Stadt wird damit nicht nur das Nachtleben genommen, die Innenstadt wird verödet." Die Grünen - die mit 16 Stadträten mit Abstand größte Fraktion im neuen Gemeinderat - halten sich unterdessen noch bedeckt. "Wir möchten in Ruhe die schriftliche Urteilsbegründung abwarten und diskutieren, ob wir uns für eine Berufung entscheiden."
Wer ist gegen die Berufung? Klar gegen eine Berufung sprechen sich die beiden Stadträte der Bunten Linken sowie die neue Arbeitsgemeinschaft aus Grün-Alternativer-Liste (GAL) und Freien Wählern (3 Stadträte) aus. Judith Marggraf (GAL) erklärt: "Wir begrüßen die Entscheidung des Gerichts, bedauern aber durchaus, dass das auch viele Gastronomiebetriebe trifft, die sehr verantwortungsvoll mit der Lärmproblematik umgegangen sind." Dass diese Entscheidung zu erwarten war, finden Hilde Stolz und Arnulf Weiler-Lorentz (Bunte Linke). Und: "Wir halten sie für richtig." Schließlich handle es sich beim nächtlichen Lärm "um eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit".
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Wie sollen die Probleme gelöst werden? "Es ist uns unverständlich, dass der zuständige Dezernent es versäumt hat, die vom Gemeinderat beschlossenen flankierenden Maßnahmen zur Lärmreduzierung auch umzusetzen", schreibt die CDU. Ordnungsbürgermeister Wolfgang Erichson hatte dies vor Gericht damit begründet, dass die Anwohner nicht bereit gewesen seien, am Mediationsverfahren teilzunehmen. Für die CDU war das "ein schwerer Fehler".
Deshalb müssten die Maßnahmen nun zeitnah umgesetzt werden - was fast alle Fraktionen im Gemeinderat auf RNZ-Anfrage so sehen. Die SPD spricht sich daneben für eine weitere Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) aus. Die Grünen fordern, dass in Heidelberg "das erfolgreiche Konzept eines Nachtbürgermeisters aus Mannheim" übernommen wird.
Richtig kreativ wird "Heidelberg in Bewegung", im Gemeinderat vertreten von Waseem Butt. Die Straßen, in denen die betroffenen vier Kläger wohnen, sollten in Ruhezonen mit speziellen Schallschutzmaßnahmen umgewandelt werden, ist eine der Ideen. Außerdem will HIB einen Konsumberater in Kneipen für offensichtlich Betrunkene, eine Fußgängerzone in der Poststraße, wo sich weitere Kneipen zur Entzerrung ansiedeln sollten sowie Streetworker für die Altstadt. Und schließlich: "Lärmgeplagte Anwohner sollen die Möglichkeit zum Wohnungstausch von der GGH in ruhigere Wohngegenden bekommen."
Die Bunte Linke zweifelt unterdessen gänzlich an der Wirksamkeit weiterer Maßnahmen zur Verringerung des Lärms. Sie findet: "Mittel- bis langfristig sollte die Anzahl der Gastronomiebetriebe in der Altstadt weiter abnehmen."
Was heißt das letztlich für die Entscheidung? Selbst wenn sich einige Fraktionen noch nicht endgültig positionieren wollen: Alles sieht danach aus, dass der Gemeinderat sich nach der Sommerpause dafür entscheiden wird, Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts einzulegen. Denn selbst wenn die Grünen sich gegen die Berufung entscheiden, sind immer noch - CDU wie auch Heidelberger ins Ja-Lager miteingerechnet - 27 dafür und 21 dagegen. Dann geht der Sperrzeiten-Streit in die nächste Instanz. Und die Geschichte geht weiter.



