Heidelberger Politiker

Beschimpft wurden die meisten, attackiert noch keiner

Nach dem Angriff auf den Hockenheimer OB Dieter Gummer: Wie Heidelberger Kommunalpolitiker mit Aggressionen gegen sie umgehen - Sie wollen öffentlich sichtbar bleiben

17.07.2019 UPDATE: 18.07.2019 06:00 Uhr 2 Minuten, 28 Sekunden

Im November 2008 tauchten in der Bahnhofstraße diese "Fahndungsplakate" mit den Konterfeis von 21 Stadträten auf. Foto: Dorn

Von Micha Hörnle

Heidelberg. Wenn es so etwas wie einen "Sündenfall" im Umgang mit Kommunalpolitikern gab, dann ist er etwas mehr als zehn Jahre her. Zum ersten Mal fühlten sich viele Stadträte richtig diffamiert und an den Pranger gestellt, als im November 2008 Plakate mit 21 Porträts von Mitgliedern des Gemeinderats in Schaufenstern und Hauseingängen der Weststadt auftauchten: "Diese Stadträte haben unsere Bäume auf dem Gewissen." Das war der heftigste Auswuchs einer sehr hart geführten Debatte um den "Bebauungsplan Bahnhofstraße": Es ging um die Neubebauung des ehemaligen Justizzentrums und Finanzamtes an der Kürfürsten-Anlage, mit der auch die baumbestandene Bahnhofstraße neu angelegt wurde. Als die "Fahndungsplakate" hingen, waren gerade die alten Bäume in der Bahnhofstraße gefällt worden - und die Stimmung wollte sich nicht beruhigen. Noch heute fällt den Stadträten - egal auf welcher Seite sie damals gestanden waren - diese Episode ein, wenn sie danach gefragt werden, ob sie sich jemals bedroht fühlten.

Tatsächlich kann niemand, den die RNZ befragte, von Tätlichkeiten berichten - dafür aber von Verbalinjurien. So erhält der Stadtrat und CDU-Kreisvorsitzende Alexander Föhr "regelmäßig E-Mails, in denen ich bedroht werde". Wer dahinter steckt, weiß Föhr nicht, denn die Absender verwenden nie einen Klarnamen und haben einen "komischen Verteiler", mit dem sie denjenigen, die sie für die Zerstörung Deutschlands verantwortlich halten, nach dem Leben trachten. Doch Irregeleitete aus einer sehr rechten Ecke nimmt Föhr nicht weiter ernst. Allerdings geriet der Familienvater von der anderen Seite des politischen Spektrums aus ins Visier. Jedes Mal, wenn Föhr nach der Bedrohung durch den Linksextremismus fragte, folgte "ein gezieltes Ausforschen, ob man in meinem Privatleben Angriffspunkte findet". Sein Fazit: "Ich habe bisher keine Form der Bedrohung, aber Eingriffe in meine Privatsphäre erlebt." Ähnlich geht es der SPD-Fraktionsvorsitzenden Anke Schuster, die bei harten kommunalpolitischen Debatten schon einen schneidenden rhetorischen Wind spürte. Aber jedes Mal, wenn sie per E-Mail beleidigt wurde, setzte sie den Absender auf die Spam-Liste, er landete also automatisch im Papierkorb.

Derek Cofie-Nunoo, mittlerweile so etwas wie der grüne "Shooting Star" Heidelbergs, hat "über gelegentliche verbale Attacken hinaus nichts erlebt". Er führt das darauf zurück, dass er offensiv versucht, mit Leuten, die eine andere Meinung haben, ins Gespräch zu kommen. Und meistens klappt das auch. Auch rassistische Kommentare wegen seiner dunklen Hautfarbe erhielt er nie, zumindest nicht in Heidelberg: "Wenn, dann mal auf einem Sportplatz im Odenwald."

Allen drei Kommunalpolitikern gemein ist die Erschütterung über den Angriff auf den Hockenheimer Oberbürgermeister Dieter Gummer. Und dennoch halten sie daran fest, sich nicht zu verstecken. Mit nur ein paar Internetabfragen kann jeder an ihre Adressen gelangen. Anke Schuster sieht das ganz realistisch: "Wenn man das herausbekommen will, dann schafft man es auch. Meinem Demokratieverständnis entspricht es, wenn man Flagge zeigt und sichtbar ist." Und Föhr findet: "Man kann mich erreichen, darauf lege ich wert."

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Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner sagte auf RNZ-Nachfrage: "Wer als OB zur Wahl antritt, der muss wissen, dass man in dieser Funktion so nah an den Menschen dran ist wie kein anderer hauptberuflicher Politiker. Das ist auch mit einem Risiko verbunden. Davon darf man sich nicht einschüchtern lassen. Dann würden einige wenige Irrläufer der ganzen Gemeinschaft schaden. Wir haben eine tolle Gemeinschaft in unseren Städten. Wir sprechen offen und direkt miteinander. Damit steht und fällt das Amt des Oberbürgermeisters. Diese Offenheit lasse ich mir von niemandem nehmen."

Allerdings ist von Würzner bekannt, dass er als politisch exponiertester Heidelberger auch im Privaten hart angegangen wird; doch er thematisiert das selten. Der einzige, der Aggressionen gegen ihn öffentlich machte, ist Wolfgang Lachenauer ("Die Heidelberger"). Als er OB-Kandidat war, wurden im Oktober 1998 die Reifen seines Autos aufgeschlitzt; kurz zuvor war sein Haus in Handschuhsheim mit Farbe beschmiert worden. An Weihnachten 2016 wurde der Briefkasten seiner Neuenheimer Wohnung beschmiert - mit Parolen gegen die längeren Kneipenöffnungszeiten, für die Lachenauer ein paar Tage vorher gestimmt hatte.

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